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BREGENZER FESTSPIELE Seebühne CARMEN Premiere

20.07.2017 | KRITIKEN, Oper
Text

Gaelle Arquez als „Carmen. Copyright: APA/ Dietmar Stiplovsek

BREGENZ Festspiele Seebühne
CARMEN von Georges Bizet
Premiere am 19.September 2017

 

Bregenz hatte die besseren Karten, aber nicht beim Wetter!

Keine Frage, zunächst hatten die Veranstalter mit dem Publikum die besseren Karten und deren Einnahmen. Geduldig und plastikverhüllt, ließ es sich in den Regen hinausschicken, wo es die pausenlos gebotene Vorstellung auf den nassen Sitzen mit Disziplin verfolgte, bis sich der Himmel endlich über dem Bodensee so etwa ab dem Beginn des vierten Aktes erbarmte und seine Dauerergüsse einstellte. Ich denke aber, dass damit immer noch die bessere Lösung gewählt wurde, als im Festspielhaus lediglich den konzertanten Anteil einer solchen Produktion zu erleben, denn die Entsorgung des vielen Plastikanteils, womöglich bereits nass, hätte mehr Unruhe verursacht, noch dazu, da es für derlei Kunststoffgarderobeartikel im Haus keine Ablagen gab. Und obendrein galt es, die gesamten Einnahmen zu lukrieren, denn im Haus wäre nur ein kleinerer Anteil des Publikums anwesend und daher nur ein geringer Teil des Gesamtkartenerlöses zu erzielen gewesen. Es gibt, glaube ich, keine Veranstalter, die sich die Versicherung bei Freilichtaufführungen leisten könnten.

Daher scheint sich die Notwendigkeit bei Freiluftaufführungen durchzusetzen, auch bei Regen zu beginnen und das umhüllte Publikum wenigstens bis zur erforderlichen Mindestlänge der Aufführung hinzuhalten, um die unversicherten Einnahmen für das Unternehmen zu sichern. Dass dabei die Reaktionen der Festspielgäste je nach Festspielort unterschiedlich sein können und sich das ostösterreichische Publikum als weitaus undisziplinierter herausstellte, konnte man dabei feststellen.

Und Bregenz hatte die besseren Karten auf der Bühne in dem von Es Devlin gestalteten Bühnenbild mit den weithin zu sehenden kartenspielenden Händen einschließlich zigarettenhaltenden Fingern und „echtem“ Rauch, der dem Stummel entströmte.
Hatte sie auch mit den bunten Kostümen der Anja Vang Kragh, mit der, mit den ständig wechselnden Motiven auf  den riesigen Spielkarten gezeigten Video-Show des Luke Halls und mit der, vor allem im zweiten und vierten Akt der Lichtshow von Bruno Poet im wörtlichen Sinne erzeugten poetischen Bilder.

carmen crossculture night bregenzer festspiele ©anja koehler | andereart.de urheberrechtlich geschütztes bildmaterial. keine unerlaubte veröffentlichung und vervielfältigung! bildnachweis "anja koehler" oder "anja koehler | andereart.de" ist voraussetzung.

Carmens schicksalhafte Karten, rauchende Zigarette inbegriffen! ©anja koehler | andereart.de

In diesen verschwenderischen Bildern gestaltete Kasper Holten leider keinerlei aufregende Regieeinfälle, das Stück lief solide und ohne sonderlichen Neudeutungen ab, bis auf den Schlussgag. Bei dem versinkt die Vorderbühne leicht im Laufe der Schlussszene und Don José ersäuft seine Carmen ungnädig in den Fluten des Bodensees. Und Carmen treibt als Leiche bis zum Abgesang ihres Mörders und den Schlussmotiven des Orchesters unter Wasser –  und hält so lange die Luft an! Jedenfalls hat Gaelle Arquez diese guten Lungen und ein kleines Sauerstoffgerät dazu. Und dazu auch überzeugenden, aber nicht allzu erotischen Gesang. Aber dass der Herr Regisseur zu den wenigen wiederkehrenden Takten der Toreromusik vor dem tödlich endenden Streit keine optischen Einfälle hatte, außer die dunkle Bühne, das wirkte angesichts des vielen technischen Schnickschnacks, den er sich bauen ließ, eher peinlich.

Der Don José von Daniel Johansson bewies als Soldat und als Schmuggler solide Standhaftigkeit, als liebend Schmachtender und einem, mit kopfig meliertem Beiklang versehenen Schlusston seiner Arie genügend lyrisches Unterfutter für seine Anbetung, um im Schlussteil aber auch mit dramatischere Tönen aufwarten zu können. Das passte dann zu seinem auffallend brutalem Verhalten Carmen gegenüber.

Elena Tsallagova strengte sich als Micaela gehörig an, ihre Hochtöne von den höchsten Höhen der Kulisse aus zu erreichen, punktete allerdings mit schöner Phrasierung. Scott Hendricks hingegen war wieder einmal ein Escamillo, dem die richtigen Kraftlackel-Töne zur Verfügung standen, wie sie einst von einem Gian Giacomo Guelfi geboten wurden. Oder war das nur die gute Tonanlage, die ihn so klingen ließ?

Paolo Carignani am versteckten Pult im Festspielhaus spulte das Stück pausenlos, ja man könnte fast sagen atemlos und mit sich steigernder Dramatik über die Bühne, wurde damit wenigstens der literarischen Vorlage einer Novelle eher gerecht, als dem französischen Charme der Musik Bizets. Dass es hie und da zu Abstimmungsschwächen zwischen Bühne und dem versteckten Orchester kam, sei als betriebsbedingte Folge derartiger Arbeitsteilungen vermerkt.

Leider habe ich keinen Besetzungszettel des Premierenabends ins Programmheft beigelegt bekommen. Ich darf daher den anderen, nicht genannten nur beste Arbeit zugestehen! Ich will aber peinliche Verwechslungen in dieser Kritik vermeiden und muss daher um Entschuldigung bitten.

Dass durch die mumienhaften Plastikverkleidungen das Publikum während der Vorstellung den Künstlern so gut wie keinen Applaus zukommen ließ – oder besser zulassen konnte – wirkte  seltsam. Den Feinden von Applaus sei es gesagt, so würde Zirkus Oper nicht lange mehr existieren.

Der teils begeisterte Schlussapplaus des sich enthüllt habenden Publikums galt vor allem den beiden singenden Damen, besonders der Carmen der Arquez.

Fazit: Ohne Regen sehenswert! Und wo sieht man sonst im zweiten Akt eine gedoubelte Carmen ins Wasser springen und entfliehen und die echte Carmen im vierten Akt als eine wie echt wirkende Wasserleiche enden!
Und ein Feuerwerkerl light gab es auch zu der Einleitungsmusik des vierten Aktes und störte daher nicht sonderlich.

Peter Skorepa
OnlineMerker
20.7.2017

 

 

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