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BONN: THAIS von Jules Massenet

02.06.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Opernrarität in Bonn: „Thaïs“ von Jules Massenet (Vorstellung: 1. 6. 2014)

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Foto-Copyright: Thilo Beu

 Am Opernhaus Bonn kam eine szenisch nur selten gespielte Oper zur Aufführung: „Thaïs“ von Jules Massenet (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln). Die Comédie-lyrique in drei Akten, deren Libretto Louis Gallet nach der gleichnamigen Novelle von Anatole France verfasste, kam 1894 in Paris zur Uraufführung. Berühmt wurde aus dieser Oper das Violinsolo Méditation. Zuletzt gab es vor einigen Jahren eine konzertante Serie in Wien, Barcelona und Paris mit Starbesetzung (René Fleming und Thomas Hampson bzw. Gerald Finley) in den beiden Hauptrollen.

Die Handlung in Kurzfassung: Der Mönch Athanaël will die Kurtisane Thaïs, die für ihn die Sündhaftigkeit der Stadt Alexandria symbolisiert, bekehren. Thaïs erliegt seiner Beschwörung, gibt ihr früheres Leben auf und entsagt ihrem Liebhaber Nicias. Nach einer Wanderung durch die Wüste vernimmt die sterbende Thaïs im Kloster nicht mehr die Liebesbeteuerung Athanaëls, der ihr endlich seine Liebe gesteht, sondern erlebt die Vision eines ewigen Lebens.

 Zu seiner Inszenierung gab der in Mexiko geborene Regisseur Francisco Negrin ein Interview. Daraus ein Zitat: „Ich möchte nicht nur interpretieren, was millionenfach vor mir interpretiert wurde. Dann entwickelt sich schnell eine Art Spiel: Sehen wir doch mal, wie dieser Regisseur das Stück verändert hat. Das halte ich für langweilig. Für mich ist die Kunst verloren, wenn sie sich nur um sich selbst dreht, anstatt sich mit dem Leben als solches zu befassen. Doch solange wir die Oper aus heutiger Sicht betrachten und auch etwas Neues wagen, wird es immer ein Publikum dafür geben.“

Das Stück zu verändern, halte ich nicht für langweilig, sondern – gelinde ausgedrückt – für ein Vergehen an den Dichter und Komponisten, das einem Regisseur nicht zusteht oder nicht zustehen sollte! Francisco Negrin tat es nicht, sondern schuf eine packende Inszenierung mit opulenten und pittoresken Bildern (Bühnenbild: Rifail Ajdarpasic) und passenden Kostümen, die Ariane Isabell Unfried entwarf.  Er zeigt zur Ouvertüre Athanël auf einem Kreuz liegen, auf dem er sich gegen Versuchungen des Teufels zu winden scheint. Auch symbolisiert der Regisseur das Abgründige durch vier Schakale, die immer wieder die Bühne bevölkern.

Mit der zarten französischen Sopranistin Nathalie Manfrino wurde vom Theater Bonn eine ideale Interpretin für die Titelrolle engagiert, die sowohl die erotische Seite der Kurtisane wie auch ihre Läuterung zur Frommheit anschaulich darstellt. Stimmlich überzeugte sie mit ihrem sehr wandlungsfähigen Sopran ebenfalls  – von lyrisch zarten Tönen bis zu den dramatischen Höhen. Athanël wurde vom stämmigen aserbaidschanischen Bariton Evez Abdulla dargestellt, dessen muskulöser Oberkörper eher einem Ringer oder Stemmer glich als einem asketischen Mönch. Mit seiner mächtigen Stimme verstand er es aber, seine Leidenschaften exzellent ausdrücken.

 Den reichen Alexandriner Nicias, den Liebhaber von Thaïs, gab Mirko Roschkowski, gleichfalls ein Hüne von Gestalt, der durch seine kraftvolle Tenorstimme überzeugte. Dem alten Mönch Palémon lieh der estnische Bassist Priit Volmer seine tiefe, warm klingende Stimme. Auch die kleineren Rollen waren adäquat besetzt: Yuhi-Rango Binama gab einen honorigen Weisen, der Thaïs in Alexandria zur Seite steht, der Bass Sven Bakin einen Diener, die Mezzosopranistin Charlotte Quadt und die Sopranistin Stefanie Wüst zwei Sklavinnen und Susanne Blattert die Äbtissin Albine mit wohlklingendem Mezzosopran. Der Chor des Theaters Bonn, dem in dieser Oper durch mehrere Rollen eine wesentliche Bedeutung zukam, agierte als Volk von Alexandria sowie als Nonnen und Mönche stets stimmgewaltig (Einstudierung: Volkmar Olbrich).

Für einen musikalischen Höhepunkt sorgte der Geiger Mikhail Ovrutsky mit der einschmeichelnd gespielten „Méditation“, einem der berühmtesten Violinsolo-Stücken der Musikgeschichte, die im weiteren Verlauf der Oper „Thaïs“ immer wieder als Leitmotiv erklang. Sie wurde von der Regie durch den Einsatz einer großen Lichtscheibe mit vielen grellen Scheinwerfern im Hintergrund der Bühne begleitet, die quasi der Kurtisane den Weg zur Reue und zur Kirche leuchten sollte (Licht: Thomas Roscher). Von der katholischen Kirche wurde die Büßerin aus dem Ägypten des 4. Jahrhunderts übrigens heiliggesprochen, ihr Gedenk- und Verehrungstag ist der 7. Oktober.

 Das Beethoven-Orchester Bonn gab die lyrisch-romantische Partitur des Komponisten, die auch sakrale Anklänge aufweist, unter der Leitung des Schweizer Dirigenten Stefan Blunier in allen Facetten zum Besten und wurde zum Schluss vom Publikum ebenso gefeiert wie das Sängerensemble, wobei Nathalie Manfrino für ihre Darstellung der Titelrolle mit vielen Bravorufen bedacht wurde.

 Udo Pacolt

 

 

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