Theater BONN: „GIULIO CESARE IN EGITTO“ konzertant – G.F. Händel at it’s best
(am 1.1.2017 – Karl Masek)
Der Neujahrstag ist in aller Regel kein idealer Tag fürs Theater: Das Publikum hat Silvesterfeiern hinter sich, muss sich von Sekt, Silvestermenü und Bleigießen erholen, hat ein Schlafdefizit auszugleichen. Da ist es schon kühn, ausgerechnet an diesem Tag eine Premiere anzusetzen.Das Theater Bonn hatte diese Tollkühnheit, eines der absoluten Meisterwerke Händels zu bringen.
„Giulio Cesare“ gilt als die am reichsten instrumentierte Oper Händels. Die Geschichte Cäsars und Cleopatras mit dem beinahe übermütig-gelösten Liebeshappyend nach Krieg, Mord, Intrigen, Rache, politischen Winkelzügen und opportunistischen Wendehälsen, inspirierte den Großmeister aus Halle zu sinnlicher, psychologisch verfeinerter Tonsprache. Sie stellt an Interpreten und Publikum höchste Ansprüche.
Umso wichtiger, derlei im Vorfeld mit Nachhaltigkeit zu bewerben und das Konzept dieser Werkwahl zu betonen, will man ein volles Haus von neugierigen Opernbesuchern. Doch gerade das schien nicht passiert zu sein. Eher entstand der Eindruck, in Sparpaket-Zeiten eine „billige“ konzertante Premiere zwischen zu schieben, die ein schmales Budget nicht übermäßig belastet. Schon das Programmheft war von ärgerlicher Mickrigkeit und liebloser Machart. Keine Infos zum Werk und die immerhin fünf Fassungen des 1724 am King’s Theatre, Haymarket, London uraufgeführten Werks „of Händels best“, keine Infos über die Mitwirkenden und ihre Biografien. Ein Programmheft sollte schon „zum Lesen einladen“. Auch keine Werkeinführung, wie das in fast allen Opernhäusern von Wien und München bis Zürich und Frankfurt längst zum Qualitätsstandard vor Beginn einer Vorstellung gehört. Da hat die Dramaturgie am Theater Bonn Nachholbedarf…
Voll war also das Theater nicht nur wegen des Neujahrstages nicht. Was schade war. Wurde dem Publikum doch eine exzellente Aufführung zum Neujahrsgeschenk gemacht! Das allein hätte sich ein volles Haus verdient.
Wolfgang Katschner am Pult war das Gravitationszentrum des konzertanten Geschehens. Er leitete die Aufführung präzise und straff, nahm mehrheitlich rasante Tempi. Das Klangbild war gleichsam elektrisch aufgeladen. Das Beethoven Orchester Bonn legte sich mächtig ins Zeug und glänzte mit kompakter Tongebung. Besonders lobende Erwähnung verdienen die herrlichen Soli der Violine, der Quer- wie Blockflöte und besonders die fabelhafte Hornistin in der Cesare-Arie „Va tacite e nascosto“ aus dem ersten Akt. Da brandete prompt zum ersten Mal an diesem Abend großer Jubel auf…
Cesare“ Terry Wey – Foto: Theresa Wey
Besonders gefeiert wurde Terry Wey in der Titelrolle. Sieben Arien hatte er zu bewältigen (eine achte war gestrichen), ausladende Accompagnato-Rezitative und das große Schlussduett zum Lieto fine mit Cleopatra kamen noch dazu. Terry Wey zog alle Register seines Altus. Händel gibt ihm auch ein Füllhorn herrlichster Musik zu singen. Cesares Arien entsprechen der typischen Darstellung eines edelmütigen Herrschers in einer Barockoper, gleichwohl auch seine „soldatischen Tugenden“ betonend. Hinreißend, mit welcher Natürlichkeit, Leichtigkeit er seine geschmeidige Ausnahmestimme einsetzt. Die aberwitzigsten Koloraturgirlanden kommen locker daher als wäre dies das Leichteste auf der Welt. Wenn Cesare gleichsam von der privaten, empfindsamen Seite gezeigt wird, macht Wey seinem Ruf als sensitiver Legato- und Schwebetonweltmeister alle Ehre…
„Cleopatra“ Sumi Hwang – Foto: theater-bonn.de
Sängerisch auf Augenhöhe Sumi Hwang als perfekte Cleopatra. Auch sie deckt ein weites Spektrum an Gefühlen ab von jugendlicher Unbekümmertheit, Koketterie bis hin zur Schwermut in der Arie „Se Pieta di me non“. Ein besonders Highlight bescherte sie gemeinsam mit Cesare beim Duett Nr.43 „Caro, Bella“. Ihr Sopran (sie singt mittlerweile „Mimi“ und „Donna Anna“) hat sich barocke Koloraturen-Agilität erhalten.
Gattin und Sohn des grausam geköpften Pompeius werden eher eindimensional gezeichnet. Cornelia ist in Trauer verhaftet, Sohn Sesto in obsessiven Racheschwüren. Ceri Williams stattet diese Mutterrolle mit eindringlichen Klagetönen in ihren Arien und scharfer Artikulation in den Rezitativen aus. Katrin Leidig ist als Sextus Pompeius ganz kämpferischer Held, auch zum Rachemord bereit. Sie nennt einen schön timbrierten Mezzosopran ihr eigen und setzt diesen ausdrucksstark ein. Berührend das Lamento-Duett der beiden im 1.Akt.
Für Cesares Gegenspieler hatte Händel spürbar weniger Sympathien. Der böse, brutale, genusssüchtige Tolomeo wird mit abgerissen anmutenden Phrasen geschildert, seine Unberechenbarkeit und wendehälsische Wankelmütigkeit wird mit Intervallsprüngen und kurzen
melodischen Linien beglaubigt. Owen Willetts singt ihn mit sinnlich schillerndem Countertenor.
Auch die kleineren Rollen hielten Spitzenniveau. Die angenehmen Baritone Daniel Pannermayr (Curio) und Giorgios Kanaris (Achillas) treiben die Handlung immer wieder vorwärts. Die junge Studentin der Hochschule für Musik und Theater Köln, Manon Blanc-Delsalle, lässt
als Nireno mit hübscher Stimme aufhorchen.
Ein musikalisch geglückter, mit vielen Bravorufen und mehr als zehn Minuten Applaus belohnter Start in ein hoffentlich friedvolleres Jahr 2017 war das jedenfalls in Bonn! Für Neugierige und Kurzentschlossene seien die vier Reprisen wärmstens empfohlen: 7./28.1., 29.3. und 15.4.!
Karl Masek