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BONN: DER TRAUM EIN LEBEN von Walter Braunfels. Premiere

31.03.2014 | KRITIKEN, Oper

BONN: DER TRAUM EIN LEBEN          (Walter Braunfels)        Premiere am 30. März 2014

 „Besser verbannt als verkannt“, sagte der Komponist Walter Braunfels von sich in schlechten Zeiten. Ihm widerfuhr nun freilich beides. Als „Halbjude“ wurde er 1933 seines Amtes als Direktor der Kölner Musikhochschule enthoben (die er seit 1925 gemeinsam mit Hermann Abendroth leitete). Er verließ Deutschland aber nicht, sondern ging in die „innere Emigration“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zur Wiederaufnahme seiner Kölner Tätigkeit gebeten, die dann aber nur noch drei Jahre währte. In dieser Zeit entstand u.a. die Oper „Verkündigung“, welche 1948 in Köln Premiere hatte. Es gibt davon sensationellerweise einen klanglich freilich etwas bescheidenen Mitschnitt. Erfolge wie bei „Prinzessin Brambilla“ (Stuttgart 1909, ML: Max von Schillings) oder „Die Vögel“ (München 1920, ML: Bruno Walter) stellten sich mit diesem Werk aber nicht ein. Sicher wirkte noch die Ächtung durch die Nazis nach, aber auch die Dispute innerhalb der modernen Musik waren dem Interesse am retrospektiv empfindenden und schreibenden Komponisten abträglich. Zwölftöner und Post-Romantiker, so könnte man verkürzend den Stilkampf seit den fünfziger Jahren bezeichnen, als Donaueschingen ein Mekka der Avantgarde war.

 Insgesamt hat sich Einiges zum Guten gewendet. Franz Schreker wird wieder häufiger gespielt (im Moment scheint allerdings eine Pause eingetreten), Alexander von Zemlinsky fand (vor allem im konzertanten Bereich) eine umfängliche Förderung durch den Dirigenten James Conlon (in seiner Amtszeit beim Kölner Gürzenich-Orchester 1989-2002), Berthold Goldschmidt erfuhr in seinen letzten Lebensjahren unerwartet starke Anerkennung. Auch mit Walter Braunfels scheint es (langsam) aufwärts zu gehen. Dirigenten wie Günter Wand, Dennis Russell Davies und Manfred Honeck setz(t)en sich für das (vor allem sinfonische) Oeuvre ein, aber auch im Opernbereich tut sich Einiges. So gibt es auf DVD eine Aufführung der „Vögel“ aus Los Angeles (ML: James Conlon), CDs von „Prinzessin Brambilla“ beim Wexford Festival, „Verkündigung“ in einer konzertanten Aufführung  unter Dennis Russell Davies (Kölner Philharmonie 1992, bei Warner gerade wieder aufgelegt). Weiterhin auf dem Markt ist eine Aufnahme der letzten Braunfels-Oper „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ unter Manfred Honeck. Die späte szenische Uraufführung des Werkes in Berlin war die letzte Regiearbeit des bereits vom Tode gezeichneten Christoph Schlingensief.

 „Der Traum ein Leben“ (geschrieben 1934-1937) hat ein besonderes Schicksal. Bruno Walter wollte das Werk 1938 in Wien uraufführen, wozu es aus bekannten politischen Gründen nicht kam. Nach dem Krieg gab es hier und da Interesse (kurioserweise auch in Buenos Aires), doch alle diese Pläne zerschlugen sich. Durch den Dirigenten Kurt Schröder, der am einst sehr opernaktiven Hessischen Rundfunk wirkte, kam es 1950 zu einer Aufführung mit Strichen, andererseits mit Sängern vom Range einer Annelies Kupper, eines Heinrich Bensing, Alexander Welitsch, Otto von Rohr. Erst  2001 wagte man in Regensburg die szenische Uraufführung (kompletter Mitschnitt auf Youtube, allerdings bildlos). Schon dort hatte man ein Problem wie jetzt auch in Bonn, nämlich, dass es  kein gedrucktes Notenmaterial gibt. Das BEETHOVEN ORCHESTER spielt unter WILL HUMBURG also aus handschriftlichem Material  in Fotokopie. Diese im Grunde aberwitzige Situation lässt ahnen, warum auch viele andere Werke aus ihrem Dornröschen-Schlaf noch nicht erlöst sind.

 Nach seinen Erlebnissen als Soldat im Ersten Weltkrieg trat Walter Braunfels zum katholischen Glauben über, was sich vor allem auf seine Vokalkompositionen auswirkte. „Die religiösen Werke  beanspruchen die Seele sehr“, sagt der inzwischen über 90jährige Pianist Michael Braunfels über seinen Vater, und deshalb wollte er „halt mal wieder spielen.“ So kam es trotz  widriger Lebensumstände  zu dem dramatischen Märchen „Der Traum ein Leben“ nach Franz Grillparzer (fast strichlose Textübernahme durch den Komponisten), der wiederum auf Voltaire zurückgreift.

 Die Handlung beschreibt die Metamorphose eines existenziellen Denkens. Der junge Rustan  sehnt sich nach Abenteuern, nach Betätigung seiner Manneskraft und entwindet sich deshalb der Liebe, welche ihm Mirza entgegen bringt. Den Figuren seines realen Lebens begegnet er in traumhaften Gestalt-Modifikationen wieder. Rustan erlebt Abenteuer über Abenteuer, die ihn emotionell anfachen, aber auch ernüchtern und ängstigen. Zum Schluss die Erkenntnis: „Dass der Schatz, den fern ich suchte, hier an meiner Seite strahlt …“. Das ist auf Mirza bezogen und erinnert ein wenig an die Situation von Schrekers “Fernem Klang“. Während dort der männliche Protagonist stirbt, beginnt für Rustan ein neues, auf reicher Erfahrung beruhendes Leben.

 Dieses Geschehen in orientalischem Milieu gibt Braunfels viel Gelegenheit, die Klangwelt von Richard Strauss anzuzapfen. Aber er geht, auch hier mit Strauss vergleichbar, über Wohlklang immer wieder hinaus, wagt bizarre, sogar aggressive Harmonik. In seiner Musik brodelt und schillert es. Die Versöhnlichkeit der Schlussszene kann natürlich nicht anders als in einem delikaten Dur enden. Das alles wird vom Beethoven Orchester unter dem ungestüm gestikulierenden, aber präzise fordernden Will Humburg bestens realisiert. Deutschlandradio, Westdeutscher und Süddeutscher Rundfunk werden den Mitschnitt der Premiere zu unterschiedlichen Terminen senden. Eine CD-Veröffentlichung sei dringlichst empfohlen.

 Die Handlung der Oper ufert mitunter etwas aus, der leicht wagnernd wirkende Text ebenfalls. Mit Kürzungen wäre dem freilich nicht beizukommen. Regisseur JÜRGEN R. WEBER macht hingegen etwas schier Geniales, auch wenn sein Konzept keineswegs neu ist. Er transferiert die Begebenheiten ins Theatermilieu. Auf der Hinterbühne (in Bonn ist es realiter die Vorderbühne) erlebt man das Techtelmechtel zwischen dem jungen Paar Mirza und Rustan (Vorspiel), welches sich in den folgenden drei Akten phantasmagorisiert. Da schwelgen Bühnenbildner HANK IRWIN KITTEL und vor allem Kostümbildner KRISTOPHER KEMPF in kostbar-virtuosem Dekor (die Produktion dürfte nicht ganz billig sein). Man könnte die Story fraglos mit einem mehr ernsten, strengen Unterton erzählen, Weber setzt indes auf Unterhaltung. In ihrer visuellen Fülle überwältigt seine Inszenierung, witzige Surtitles unterstreichen ihren ironischen Tonfall. Das Ganze gerät zu einer nachgerade irrwitzigen Show. Kommt Braunfels dabei zu kurz? Nein! Den komödiantischen Eruptionen des Komponisten wird fraglos sehr kompakt, aber auch feinsinnig und hintergründig entsprochen. In summa: ein toller Abend (durchaus für Jung und Alt) – und hoffentlich Initialzündung für weitere Braunfels-Aktivitäten.

 Von den Bonner Sängern ist als erstes MARK MOROUSE (Rustans Diener Zanga) zu nennen. Sein in allen Langen ausgeglichener Bariton besitzt Höhenpotenz, Klangfülle und maskuline Farbe. In dem Geschehen, eine Art Mischung aus Mozarts „Zauberflöte“ und Wagners „Siegfried“, ist er ein papagenohafter Maitre de plaisir, für Morouse Gelegenheit, auch sein eminentes komödiantisches Können unterBeweis zu stellen. Für Zangas Herrn Rustan ist ein heldischer Tenor gefordert. ENDRIK WOTTRICH, Bayreuth- und Wagner-erfahren (sein Bonn-Debüt gab er 2000/01 indes mit Verdis Carlo), leistet konditionell Beachtliches, aber sein Singen hat mitunter schon etwas Gewalttätiges. Dafür bringt MANUELA UHL, als Mirza (in den Traumakten Prinzessin Gülnare) eine attraktiv schlanke Erscheinung, ihren mezzofarbigen Sopran wunderbar schmiegsam zum Leuchten. ANJARA I. BARTZ ist mit dem „alten Weib“ eine wirkungsvolle Dämonenrolle gegönnt, die sie szenisch lebendig ausfüllt. Der inzwischen 73jährige GRAHAM CLARK hat als skurriler Kaler weitgehend Sprechgesang zu liefern (einmal allerdings auch einen fulminanten Spitzenton). Vom Bonner Ensemble (zu dem auch Morouse gehört) schlagen sich weiterhin gut: ROLF BROMAN (Massud/König von Samarkand), JOHANNES MERTES (Karkhan), JOSEF MICHAEL LINNEK (Kämmerer) und LUDWIG GRUBERT (Mann vom Felsen). Aus dem hervorragenden Chor (VOLKMAR OLBRICH) treten CHRISTINA KALLERGIS und NINA UNDEN als Genien kurz solistisch hervor. Für alle riesiger Premierenbeifall. Ob die Begeisterung in den folgenden Vorstellungen anhält, sollte das Haus  allerdings nüchtern bilanzieren.

 Christoph Zimmermann

 

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