Maja Müller, Ernst Wilhelm Lenik. Copyright: Sabine Haymann.
„Vater“ von Florian Zeller mit dem Euro-Studio Landgraf in Koproduktion mit den Schauspielbühnen Stuttgart im Kronenzentrum Bietigheim am 10.10.2018
EIN VERWIRRENDES LABYRINTH
Ernst Wilhelm Lenik überzeugt hier in der facettenreichen Rolle eines Vaters mit Namen Andre, dessen Alltag sich aufgrund einer Demenzerkrankung mehr und mehr in ein verwirrendes Labyrinth verwandelt. Er verdächtigt seine Umgebung des Diebstahls. vermisst ständig seine Uhr, findet sich in dem seltsamen Glasbau (Ausstattung: Markus Ganser) und in der subtilen Regie von Rüdiger Hentzschel nicht mehr zurecht: „Ich will nicht mit einer Diebin zusammen sein!“ Er ist davon überzeugt, dass das Pflegepersonal etwas im Schilde führt. Mit den von seiner Tochter Anne ( Irene Christ) organisierten Pflegehilfen zerstreitet er sich ständig – und seine Wahrnehmung verschiebt sich ebenfalls unaufhaltsam, was in der Inszenierung recht plastisch zum Vorschein kommt: „Wie lange wollen Sie eigentlich noch alle so verarschen?!“ Die Auseinandersetzung mit dem Pfleger endet für den Vater in einem Weinkrampf. Er will seine Wohnung nie verlassen. Aber seine Biografie löst sich dadurch immer mehr auf. Das Stück wird hier zur subjektiven Kamera. Man befindet sich im Kopf des alten Mannes und versucht, den Ausgang aus diesem Labyrinth zu finden, was aber schwer möglich ist. Andre ist hier auf der Spurensuche nach sich selbst, es ist eine seltsame Reise ins Innere, Wahn und Wunschvorstellung verschwimmen immer mehr, was auch seine jüngere Tochter Laura (mit vielen Nuancen: Franziska van der Heide) nicht mehr verhindern kann.
Das Stück wird konsequent aus der Sicht des Vaters beschrieben: „Ich liebe es, die Leute zu überraschen!“ Trotz der humoristischen Einlagen gibt es auch tragische Passagen – nämlich dann, wenn der Greis merkt, dass er seiner Umgebung nicht mehr gewachsen ist: „Sie reden mit mir wie mit einem Bekloppten!“ Im Rollstuhl sitzend fühlt er sich den Leuten schutzlos ausgeliefert. Und immer wieder wird Johann Sebastian Bachs Präludium in C-Dur BWV 924 eingeblendet.
In weiteren Rollen fesseln Benjamin Kernen als Annes Freund Pierre sowie Tim Niebuhr als Mann und Nina Damaschke als Frau. Ist „Vater“ ein berühmter Balletttänzer mit Vorliebe für Stepptanz oder ein Ingenieur? Wohnt Anne mit ihrem Mann in Paris oder mit ihrem Liebhaber in London? Ganz allmählich vermag der 80jährige die Personen nicht mehr zu erkennen, was beklemmend ist.
Viel Beifall vor allem für Ernst-Wilhelm Lenik.
Alexander Walther