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BIETIGHEIM/ BISSINGEN/ Kronenzentrum: DIE LEGENDE VOM HEILIGEN TRINKER von Joseph Roth. Das Wunder lässt nicht auf sich warten

 Joseph Roths „Die Legende vom Heiligen Trinker“ im Kronenzentrum Bietigheim-Bissingen

DAS WUNDER LÄSST NICHT AUF SICH WARTEN

Joseph Roths „Die Legende vom Heiligen Trinker“ im Kronenzentrum mit dem Theater Wahlverwandte/BIETIGHEIM-BISSINGEN 15.Dezember 2016

TM-15-12-16-Die Legende vom heiligen Trinker-Foto Theater Wahlverwandte-HP4
Copyright: Theater-Wahlverwandte HP4

Für das Wiener Urgestein Ernst Konarek ist die Darstellung des Andreas eine Paraderolle. Dieser Andreas ist ein Trinker, der unter den vielen Brücken von Paris lebt. Eines Abends bekommt er von einem gut gekleideten Herrn 200 Francs mit der Auflage, diese Schulden an die kleine Heilige Therese in der St. Marie de Batignolles abzutragen. Von diesem Moment an wird er von Wundern geradezu heimgesucht.

In der subtilen Darstellung von Ernst Konarek ist dieser Andreas aber auch Joseph Roth selbst, der in einer Pariser Klinik krepierte. Obwohl Andreas die 200 Francs längst versoffen und mit Frauen durchgebracht hat, gelangt er auf wundersame Weise immer wieder zu gleichen Summe: „Ich habe Lust genossen und muss dafür bezahlen.“ Er hat also immer wieder den besten Willen, der kleinen Heiligen Therese seine Schulden zu erstatten. Diese Therese wird zum Teil von Lisa Wildmann sehr facettenreich dargestellt, die auch virtuos in andere Rollen bis hin zum leichten Mädchen schlüpft. Andreas alias Ernst Konarek gelingt es jedoch nie, seine Schulden loszuwerden. Die Heilige Therese kommt zuletzt jedoch als himmelblaues Wunder zu ihm und erlöst ihn von dieser Last.

In der schlichten Inszenierung der gebürtigen Bietigheimerin Silvia Armbruster sieht man zuletzt ein großes leuchtendes Kreuz als Fanal für eine bessere Welt. Der zerlumpte und obdachlose Pole im Vorkriegs-Paris ist „zu jenem langsamen Untergang entschlossen, zu dem Trinker immer bereit sind.“ Hinzu kommen Wunder und Abenteuer, die ihm plötzlich viel Geld bescheren. Das ist die feine Ironie dieser hintersinnigen Geschichte, deren tieferen Gehalt die Regisseurin Silvia Armbruster bestens erfasst. Der Heilige Trinker haucht sein Leben schließlich zu Füßen seiner Heiligen, einer Statue, aus: „Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod.“

Man spürt bei dieser gelungenen Inszenierung, dass sich Joseph Roth zu Flaubert, Tolstoi, Dostojewski und Hofmannsthal bekannte. Ernst Konarek trägt zusammen mit dem weiteren wandlungsfähigen Darsteller Wolfgang Seidenberg die Maske des Soldaten, Legitimisten, Österreichers, Katholiken, Spötters, Leidenden, Propheten, Romantikers, Neuerers, Erben, Weisen und Leidenschaftlichen facettenreich zur Schau. Und Ernst Konarek schlüpft sogar in die Rolle einer verrückten Dame mit Pelzmantel. Poetische Augenblicke werden dabei ebenso liebevoll nachgezeichnet. So sieht man zum Beispiel die kleine Heilige Therese,  die in einer Filmsequenz als kindliche Nonne erscheint. Tiefe Glockenschläge unterstreichen dieses seltsame Geschehen. Wie in Trance und sehr beschwörend redet die kleine Heilige Therese immer wieder auf den Trinker ein, der den Wert des Geldes schließlich auch zu schätzen weiß. So möchte der Trinker bei seinem Tod schließlich Rosen regnen lassen. Aber er genießt auch ausgelassen sein Leben, es kommt sogar zu einem feurigen Tangotanz. Die Aufführung ist allerdings ganz auf Ernst Konarek zugeschnitten. Zugleich wird das kalte Europa kritisiert und karikiert. Nominiert wurde die Inszenierung für den INTHEGA-Preis 2013 und 2014.

Alexander Walther