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BIEL/ Schweiz: ZAÏS von Jean Philippe Rameau. Premiere

«Es war doch alles nur ein Spiel»

01.05.2021 | Oper international

JEAN-PHILIPPE RAMEAU: ZAÏS – TOBS, Stadttheater Biel, Premiere: 30.04.2021

«Es war doch alles nur ein Spiel»

Mit der ersten Premiere nach dem zweiten Lockdown hat Theater Orchester Biel Solothurn seinen hervorragenden Ruf noch weiter ausgebaut. Anna Drescher bringt Rameaus «Zaïs» in einer handwerklich perfekten und höchst intensiven Inszenierung auf die Bühne. Wie oft wird die Frage gestellt, was uns Oper heute noch zu sagen habe? Hier wird sie beantwortet!

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«Zaïs», Prolog: Foto: Suzanne Schwiertz

Zaïs ist bereits die dritte Zusammenarbeit von Rameau mit dem Librettisten Louis de Cahusac. In seinem ersten Werk, das der Gattung «féerie» zuzuordnen ist, die verzauberte Welt der nahöstlichen Mythologie mit Genien, Sylphiden, Sylphen und anderen Luftgeistern thematisiert, erzählt Rameau die Geschichte, wie Amor, nachdem Oromazès aus dem Chaos die Welt geschaffen hat, auf die Erde herabgestiegen ist und den Menschen Glück geschenkt hat. Von Zaïs, dem König der Luftgeister, der sich, um die Liebe zur Schäferin Zélidie zu gewinnen, als Schäfer verkleidet hat, verlangt er aber seine Liebe einer Prüfung zu unterziehen. Zaïs treuer Gefährte Cindor soll Zélidies Standhaftigkeit prüfen. Aber weder mit dem Versprechen eines Königreichs noch grenzenloser Schönheit, Unsterblichkeit oder einem magischen Blumenstrauss kann er Zélidies Standhaftigkeit erschüttern. Den Blumenstrauss gibt Zélidie an Zaïs weiter: er soll ihn auf der Flucht vor dem machtvollen Konkurrenten schützen. Als Cindor Zaïs berichtet, Zélidie vermute, er werde den Blumenstrauss für weitere Liebschaften nutzen, beschliesst Zaïs seine Geliebte selbst zu testen. Er verkleidet sich als Cindor und versucht Zélidie dazu zu bringen, sich an Zaïs zu rächen. Als Zélidie sich zu diesem Cindor hingezogen fühlt, wird ihr klar, dass sie einem Zauber erlegen ist. Sie bricht auf, um Zaïs zu finden. Dieser, von ihrer Standhaftigkeit überzeugt, bittet Amor die Prüfung zu beenden. Zaïs legt seine Verkleidung ab, enthüllt seine wahre Identität und verzichtet, um ihr immer nahe zu sein, auf seine Unsterblichkeit. Nun steigt Oromazès vom Himmel herab und schenkt, beeindruckt von so viel Standhaftigkeit, beiden die Unsterblichkeit. Man feiert die Liebe und Standhaftigkeit: «Möge das Paar den Göttern als Vorbild dienen!»

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«Zaïs», Akt I: Foto: Suzanne Schwiertz

Anna Drescher (Regie, Mitarbeit Konzeption: Maximilian Hagemeyer) inszeniert die gleichermassen an Offenbach wie die Zauberflöte erinnernde Geschichte als Wette der Götter Oromazès und Amor, ob sich Zaïs und Zélidie treu sind. Hier schliessen die Götter die Wette ab, aber: das könnten ohne Weiteres auch zwei Menschen der Gegenwart sein. Dass uns die Oper etwas zu sagen hat, zeigt uns Drescher nun mit ihrer Inszenierung die von der Barock-Oper im Prolog über das Naturbild im Akt I, das Regie-Theater mit der Bar im Akt II, das Symboltheater mit dem Riesenbett aus Akt III bis zum Konzepttheater – die Figuren stehen quasi nackt, nur noch in Nachthemd und leger kombinierten Smoking auf der leeren, magisch beleuchteten Bühne – in Akt IV zur Essenz des Stückes, zur Botschaft «Spiele nie mit Menschen», vordringt. So gibt es auch kein Happy End: Zélidie ist als emanzipierte Frau nicht bereit Zaïs Entschuldigung «Es war doch alles nur ein Spiel» einfach so zu akzeptieren. Wie es Drescher gelingt von den Barockfiguren zum Mensch von heute zu kommen, ist ganz grosses, magisches Theater. Tatjana Ivschi hat Drescher dazu ein perfekt passendes Bühnenbild und Kostüme geschaffen. Für die angenehm zurückhaltende Choreographie der Tänzerinnen zeichnet sich Damien Liger verantwortlich.

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«Zaïs», Akt II: Foto: Suzanne Schwiertz

Einmal mehr ist dem TOBS gelungen ein absolut hochkarätiges Ensemble zu versammeln. Sebastian Monti gibt mit seinem wohlklingenden Haute-contre den Zaïs. Marion Grange steigert die Interpretation der Zélidie mit beklemmender Intensität von der «einfachen» Schäferin zur tief verletzten Frau. Wolfgang Resch gibt Zaïs Begleiter Cindor auf Augenhöhe mit seinem «Herrn». Matteo Loi als Oromazès und Adi Denner als Amour harmonieren bestens. Clara Meloni singt Une sylphide und La grande prêtresse de l’Amour. Im von Valentin Vassilev bestens präparierten Chor singen Adi Denner, Natalia Pastrana, Roxane Choux, Valentin Vassilev, Konstantin Nazlamov und Pierre Héritier. Sängerisch bleiben keine Wünsche offen!

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«Zaïs», Akt III: Foto: Suzanne Schwiertz

Die Sensation des Abends ist das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Leitung des neuen Thomaskantors Andreas Reize. Schon die Ouvertüre mit den Paukenschlägen, die beschreibt wie Oromazès aus dem Chaos die Welt schafft, gelingt perfekt. Nicht weniger mustergültig auch der weitere Verlauf der Oper: wohl kaum je dürfte Rameaus Instrumentationskunst so intensiv, seine Sturmszenen so saftig-kräftig erleben zu sein!

Ganz grosses Theater: Ein Traum!

Aufführungsdaten Biel

Sa, 01.05.21, 19:00; So, 02.05.21, 17:00, So, 30.05.21, 17:00; Fr, 11.06.21, 19:30

Sa, 12.06.21, 19:00; So, 13.06.21, 19:00; Di, 15.06.21, 19:30.

Aufführungsdaten Solothurn

Mi, 02.06.21, 19:30; Do, 03.06.21, 17:00; Fr, 04.06.21, 19:30; Sa, 05.06.21, 19:00.

 

01.05.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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