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BERLIN/Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE. Dritte Aufführung der Premierenserie – Richard Wagner gewinnt locker das Match gegen Dmitri Tcherniakov

19.02.2018 | Oper

BERLIN / Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE, 18.2.2018

Dritte Aufführung der Premierenserie – Richard Wagner gewinnt locker das Match gegen Dmitri Tcherniakov

 

Eigentlich wollte ich nicht über die Regie schreiben so nach der Idee von Lysistrata: Wenn die schreibende Zunft nicht einmal an musikfeindliche Inszenierungen anstreift, sie sozusagen ignoriert geschweige denn sich mit ihnen ins Bett legt, wird der faule Zauber irgendwann einmal aufhören. Dazu bedarf es aber absoluten Gleichmuts und nicht Zorns über eine Verballhornung der beiden Hauptfiguren. Dennoch wollen wir der Musik trotz Empörung über so entschieden pubertären bzw. alle als Spießer abstempelnden Unsinn auch das kritische Primat zugestehen.

 

Daniel Barenboim ist und bleibt der Berliner Wagner „Heilige“. Was er aus der Staatskapelle Berlin an unermesslich subtilen Feinheiten, delikatem Streicherklang, edlem Holz in einem die leiseren Töne der Partitur betonendem Gesamtkonzept herausholt, das lässt selbst die hartgesottensten Wagnerianer noch immer die sprichwörtlichen Schauer über den Rücken laufen. Erst recht dann, wenn dieser scheint‘s für Wagner geborene Dirigent an genau den emotional dichtesten Stellen die „Sau“ rauslässt und das Orchester zu dämonischer Wärme und ekstatisch elementarer Urgewalt der Leidenschaften aufpeitscht. Hier geht das auf , was Wagner in einem Brief an Franz Liszt als „vollblutigste Konzeption“ bezeichnete. Barenboim löst aus der Musik genau die „feinen geheimnisvoll flüssigen Säfte, die beim Zuschauer alles überwältigen können, was irgendwie Klugheit und selbstbesorgte Erhaltungskraft sich ausnimmt.“ (Wagner an Mathilde Wesendonck, Luzern). Auch wenn es manche Regisseure nicht wahrhaben wollen, genau deswegen gehen auch viele im Publikum in deren Augen moderne Spießer und Liebesunfähige heute noch in die Oper. 

 

Rein stimmlich agieren die beiden Hauptprotagonisten Andreas Schager als Tristan und Anja Kampe als Isolde in voller Eintracht mit dem prächtigen Orchester. Der Steirer Andreas Schager ist ein Phänomen, ja ein einzigartiges stimmliches Weltwunder. Er stellt heute exakt das im heldischen Wagnergesang dar, was Lauritz Melchior in den vierziger Jahren und Wolfgang Windgassen in den fünfziger Jahren verkörperten. Mit einer Leichtigkeit ohnegleichen durchmisst er musikalisch die Höhen und Tiefen der Figur, ohne selbst im mörderisch schweren dritten Akt auch nur irgendwie an vokale Grenzen zu stoßen. Dabei gibt Andreas Schager in jeder Minute alles, schont weder Material noch Reserven, von denen er unbegrenzt zur Verfügung zu haben scheint. Aber nicht nur die ungezügelten Ausbrüche und dramatischen Passagen überwältigen, Schager berührt auch mit einem herrlichen Mezzavoce und Legato in der Mittellage sowie ruhiger Stimmführung, neben bloßer Stimmkraft die wichtigsten Atouts für einen wahren Heldentenor. Auch Anja Kampe als Isolde verdient ein Loblied. Bei ihr sind es vor allem das herrlich warme Timbre und die unglaublich intensive Identifikation mit der Rolle, die verblüffen. Auf einer leichtgängigen Kontraalttiefe ruht eine luxuriöse, sämig samtene Mittellage, auf der sich Anja Kampe flugs zu hochdramatische Höhen aufschwingen kann. Selbst die hohen C‘s kommen wie geschmiert. Keine kühle Nordische ist da am Werk, die fesche Deutsch-Italienerin setzt Isolde so glutvoll in Szene, wie sich Wagner die Rolle wohl von der legendären Schröder-Devrient imaginiert haben wird. Kurzum: Berlin hat das derzeit wohl überzeugendste Traumpaar dieser Oper für die beiden Hautrollen parat. Das Publikum hat verstanden, was es da zu hören bekommt und überschüttet die beiden am Ende  mit lautstarken Ovationen. Untadelige Gesangsleistungen bieten auch Ekaterina Gubanova als Brangäne und Boaz Daniel als Kurwenal. Stephan Milling als König Marke verschenkt den zweiten Akt in seltsam teilnahmsloser Monotonie und läuft erst im dritten Akt zu Höchstform auf. Die dem Opernstudio angehörenden Adam Kutny als Steuermann und Linard Vrielink als Hirt/junger Seemann erfreuen mit ihrer Frische und jugendlichen Emphase. Im Programm ist auch Florian Hanspach-Torkildsen  aus dem Orchester unter der Besetzung gelistet. Er darf das Englischhorn im dritten Akt in einem Alkoven auf dem Bett sitzend auf der Bühne spielen und tut das außerordentlich kultiviert und mit dem gehörigen melancholisch bis traurigen Klang des Instruments. 

 

Ein pseudopsychologischer Gag der Regie? Der Besetzungszettel wartet auch noch mit Tristans Papa und Mama auf. Kristin Becker als schwangere Mutter und Mike Hoffmann als abendlich erschöpfter kleinbürgerlicher Patriarch sollen wohl sichtbar machen, welche schrecklichen Vorgeburts-Traumata der kleine Tristan durchmachen muss, damit er zu so einem Kretin der Sonderklasse heranwächst, wie wir ihn im ersten und zweiten Akt auf der Bühne erleben. Nämlich als großkotzigen aufgeblasenen „eh schon wissen“ Manager, supercool und kindisch zugleich. Dieser Tristan ist nach der Idee der Regie mariniert im eignen Saft. Die Begegnung mit Isolde löst nach dem Genuss des mit welchen Drogen auch immer gewürzten Liebestranks Lachkrämpfe aus. Kichernd wälzt sich unsere hehres Liebespaar am Boden, bis bekanntlich Marke eintrifft und Bericht einfordert. Noch krasser ist die Personen- bzw. Bewegungsregie im zweiten Akt: Da gerieren sich Tristan und Isolde nicht als Lover (was ist Sex? hoppala war da was in der Musik?), sondern als würden sie einem imaginären Fussballmatch zuschauen, wo die eigene Mannschaft permanent Tore schießt. Tristan lugt auf dem Höhepunkt der orchestralen Erregung kurz herein, singt sein  Isolde, verschwindet wieder, um mit Sektflasche wieder aufzutauchen. Es ist ja Party und erst darin das Rendez-Vous mit der Geliebten.  Die beiden recken ihre Arme in die Höhe, ballen die Fäuste in präpubertärer Ausgelassenheit, aseptisch nebeneinander versteht sich, bevor sie sich in zwei Fauteuils gefläzt auf die zugegeben mühsame Diskussion über das Wörtchen „und“ einlassen. Tristan wirkt hierbei wie ein Macho-Guru, dem die völlig apathische Isolde nachplappert, was ihr der Geliebte vorkaut. Beim eigentlichen Liebesduett „Oh sink hernieder Nacht der Liebe“ zückt Tristan einen Notizzettel und liest den Text ab wie ein Erstklassler bei seinem ersten Gedichtversuch. Damit aber gibt der Regisseur seine beiden Protagonisten der Lächerlichkeit preis. Und genau das ist für mich unverzeihlich. Wenn Romantik und Gefühle so schrecklich sind und nur noch die Karikatur davon herzeigbar ist, warum dann noch Theater? Hier entsteht eine emotionale Kluft zwischen der Partitur, der Musik auf der einen Seite und dem Bühnenbild und der Aktion auf der anderen. Dieser Gap kann auch durch eine noch so gut argumentierte intellektuelle Wortdrechslerei nicht überwinden geschweige denn geflickt werden. 

 

Der Ordnung halber: Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov verlegt die Handlung ausschließlich in heutige Innenräume (das kennen wir schon von Marthaler und Guth), die Natur wird ausgeblendet. Lediglich das Meer darf via Monitor in den schicken Konferenzraum auf einer Yacht verschämt ein virtuelles Auge werfen. Der zweite Akt spielt in einem großbürgerlichen Salon/Ballsaal, der sich via Schiebetüren zu einem Speisesaal öffnet, statt. Der dritte Akt zeigt einen altmodisch tapezierten Raum in einer heruntergekommenen Villa auf der Bretagne (ja Kareol ist in Frankreich), wo Tristan seine Kindheit verbrachte.

 

Für die Statistiker: Daniel Barenboim hat für den ersten Akt 1h 23, den zweiten 1h 22, und den dritten Akt 1h 17 gebraucht, insgesamt somit 4h 02. Zum Vergleich die bekanntesten Tonaufnahmen: Furtwängler 4h 15; Karajan 4h 05, Thielemann 3h 55, Böhm Bayreuth 3h 39.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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