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BERLIN/Staatsoper: LULU – "Lethargische Lulu" – Premiere

01.04.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin, Staatsoper im Schillertheater-  Berg: LULU, Premiere am 31.3.2012 – Lethargische Lulu


Mojca Erdmann in der Titelrolle. Foto: Bernd Uhlig

ANDREA BRETH, die unumstritten große Regisseurin, geht bei ihrer Deutung von Alban Bergs Lulu in Berlin einen gewagten Weg. Sie will das Stück weg vom realistischen Kammerspiel führen und inszeniert ein surreales Traumspiel, in dem die Figuren zeitlupenartig durch den von ERICH WONDER gestalteten teilabstrakten Raum schleichen: anfangs ohne Textzusammenhang, im zweiten und dritten Akt dann aber doch inhaltsbezogener. Alle sind in Trance, erinnern sich reminiszierend, abgesehen von dem seltsam hyperaktiven Athleten und dem aktiv Tanzbein-swingenden Neger. Breth bezahlt mit ihrer Deutung einen hohen Preis: denn sie zieht Wedekinds Dramenvorlage die wichtigsten Zähne: Spannung, Erotik, Sarkasmus und Triebhaftigkeit. Fast aseptisch choreographiert, sich vielen Höhepunkten verweigernd, schleppt sich so die Handlung zäh und auch textlich wird die beißende Ironie, mit denen sich Wedekinds Gestalten das Leben gegenseitig unerträglich machen, nicht angelegt. Gegen Ende jedoch verstört bei diesem unerbittlichen Konzept wiederum die Sehnsucht, doch große Oper darbieten zu wollen, wenn plötzlich Nebelwerfer und Feuerzauber die Bühne schmücken.
Der vielfach gedoubelte Jack, der Schlitzer, mordet hier überflüssigerweise mit Benzin überschüttender Pyrotechnik. Die zentrale vielnamige Frau Lulu/Mignon /Eva ist von Beginn an eine puppenhafte Schönheit, die nicht agiert, sondern emotionsloses Objekt der im Szenischen selten geäußerten männlichen Begierden ist. Einzig Gräfin von Geschwitz darf sich in ihrer homoerotischen Annäherung mehr körperliche Nähe zu Hauptfigur erlauben, die Männer bleiben fahl in grau gekleidet außen vor. (Kostüm: MOIDELE BICKEL).

Durch diese szenische Unterspannung kommt die Musik ausgestellt zum Tragen.
Und da erlebt man eine orchestral erstklassige, sängerisch exquisit besetzte Aufführung.

MOJCA ERDMANN scheint diese Rollenanlage in ihrer Interpretation sogar entgegenzukommen. Gleichsam instrumental schwingt sie sich mit betörender Sicherheit in die ätherischen Spitzen, dabei mit platin-edlem Timbre und immer auf makellose vokale Schönheit bedacht. Verruchtheit, Geheimnis oder gar Eros sind ihre Waffen nicht, sie ist der unterkühlte Engel, der sich nur kurz im Monolog herzliche Wärme gönnt.
Den Alwa derzeit wohl weltweit unübertroffen singt THOMAS PIFFKA mit natürlichem Habitus, enormer Tessiturreichweite und unforcierter, strahlender tenoraler Extremhöhe. Ebenfalls ein mittlerweile etablierter Vater Dr. Schön ist der punktgenau deklamierende MICHAEL VOLLE, der die Figur weicher als in der Salzburger Inszenierung, aber immer noch markant alpha-männlich mit stimmlicher Autorität zeichnet. STEPHAN RÜGAMER gefällt ausgenommen mit lyrischer Raffinesse und feiner Musikalität als Maler, während er als Neger obendrein mit biegsamer Körpereloquenz zusätzlich zur aufgetragenen Gesichtsfarbe Kolorit einbringt.
Ein Juwel an Präsenz und Grandezza ist DEBORAH POLASKI als Geschwitz. Bereits optisch im blauen eleganten Abendkleid ausgestellt, gelingt es ihr auch stimmlich, wie von der Regie her intendiert, ein zweites weibliches Zentrum zu Lulu zu bilden.

Auch die mittleren Partien sind mehr als ansprechend besetzt: Der Schigolch JÜRGEN LINN´s fährt einen mächtig tönenden Bass auf, der Gymnasiast wird von ANNA LAPROVSKAJA stimmstark und tonschön gesungen. GEORG NIGL macht sein schmales Stimmmaterial durch expressiven Spieleifer mehr als wett und WOLFGANG ABLINGER-SPERRHACKE kann im kurzen Auftritt als Prinz punkten. JOHANN WERNER PREIN bleibt im Hintergrund als Theaterdirektor. WOLFGANG HÜBSCH ist immerhin ein Monolog gegönnt, der allerdings den von Berg komponierten, hier schmerzlich fehlenden Prolog nicht ersetzen kann.

Überhaupt gibt es -leider- starke musikalische Eingriffe: so vermisst man außerdem den gesamten ersten Teil des dritten Aktes. Keine süffisanten Jungfrauenaktien. Stattdessen wurde DAVID COLEMAN beauftragt, eine weitere Version des Opernendes zu komponieren.
Abgesehen davon, dass dies bei der Premiere kaum gewürdigt wurde, ist dieser Versuch nicht  durchwegs gelungen. Wie die plötzliche üppige Bebilderung des Schusses wird auch Colemans Musik  sehr kulinarisch und nostalgisch. Nicht immer stilsicher zitiert sie einerseits thematisch das Gewesene, andererseits überfrachtet sie klangsüffig das inhaltlich herbe und profane Ende. Friedrich Cerhas Sparsamkeit trifft die szenische Trostlosigkeit besser. Eberhard Klokes jüngster 2010 verfasster anderer Versuch ist mir (noch) nicht bekannt.

DANIEL BARENBOIM und die Staatskapelle spielen Alban Berg auf höchstem Niveau. Alles klingt durchhörbar, dabei weich und geschmeidig. Und die emotionalen Passagen, die Zwischenspiele werden ungeheuer plastisch herausmodelliert.

Die musikalische Wiedergabe ist hinreißend und macht allein diesen Opernbesuch wert. Das die szenische Versuchsanordnung beim für die Sänger und die musikalische Seite lautstark jubelnden Publikum nicht angekommen ist, bekundet ein heftiges Buhgewitter beim Erscheinen des Regieteams.

Damian Kern

 

 

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