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BERLIN/Pierre Boulez Saal, Klarinettenquintette vom Widmann und Mozart – Hagen Quartett, Jörg Widmann Klarinette

30.01.2018 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Pierre Boulez Saal, Klarinettenquintette vom Widmann und Mozart, 29.1.2018 – Hagen Quartett, Jörg Widmann Klarinette

 

„Jage die letzte Süße in den schweren Wein“, dichtete einst Rainer Maria Rilke. Jörg Widmann, der im Auftrag des Salzburger Hagen Quartetts ein über 40 minütiges, einsätziges Kammermusikwerk für Streichquartett und Klarinette geschaffen hat, verwendet diese schöne Parabel, um die wenigen wilden ungezähmten Ausbrüche in seinem ruhigen, durch unablässiges Fließen gekennzeichneten Opus zu begründen. „Wenn eine Schönheit zu groß wird, muss vielleicht auch ein Schrei folgen.“ Dieses Prinzip kennen ja jeder Konzert- und Opernbesucher, die ihre eigenen Emotionen am Ende einer gelungenen Aufführung durch heftigen Applaus und Bravogetös in den Raum schleudern. Jörg Widmann, selbst ein großer Solist auf diesem wundersamen androgynen Instrument der Klarinette Sopran und Bariton gleichermaßen (Florian Hauser im Booklet), ist natürlich am besten geeignet, seine Intentionen in berauschenden Klang zu gießen. So scheint die Klarinette in diesem melancholisch grundierten Adagio den unablässigen Strom der Streicher wie in Strauss „Metamorphosen“ zu erden, zu kommentieren und bis hin zu koboldhaftem „Entengequake“ zu konterkarieren. Manchmal wird der Klangteppich zur Trauer hin ausgebreitet, ornamentiert in feinen Strichen. Wenn die Spitze der Feder bricht, muss auffahrend improvisiert werden. Auf jeden Fall herrscht ein spätromantischer Duktus vor, der zu sagen scheint: „Geräusche, nehmt Euch nicht so wichtig“. Am Ende zittert und vibriert doch alles vor der Sehnsucht und der ewigen Suche nach wahrer Schönheit.

 

Das Hagen Quartett, das auch bei der Uraufführung des Widmann Quintetts in Madrid 2016 mit von der Partie war, bietet gepflegtes Quartettspiel, das harmonischen Ebenlaut vor die expressive Kante stellt. Schon bei der Gründung des Quartetts zu Beginn der 80-er Jahre war im Gegensatz zum Alban Berg Quartett klar (ich erinnere mich, beide Quartettformationen im Konzerthaus abonniert zu haben), dass klassische Prinzipien und ein klangliches Verschmelzen den Hagen-Leuten wichtiger war, als das konzertierende Element und das individuell dramaturgische Hervortreten der einzelnen Musiker. Das führt zu hoch ästhetischen Lösungen und feinsinnigem Quartettspiel, lassen aber manchmal nötige Kontraste und Konturen missen. Diesen Eindruck hatte ich auch im sog. „Stadler Quintett“, dem Klarinettenquintett in A-Dur, KV 581, von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1789. Eine nivellierte Dynamik der Streicher lässt den üppigen, jedoch knackigen Ton des Spiels von Jörg Widmann umso dominanter hervorleuchten. Das vor Leichtigkeit und melodischem Rausch überquellende Meisterwerk Mozarts perlt in dieser Kombination in adeliger Noblesse, spart aber Tiefgang und das Aufspüren harmonischer Kühnheit weitgehend aus. Nur Widmann trotzt seinem Instrument jene Töne ab, die auch in den sehr getragenen Tempi Schalk und Aberwitz aufblitzen lassen.

 

Anmerkung: Jörg Widmann ist Inhaber des Edward-Said-Lehrstuhls für Komposition an der Barenboim-Said Akademie und dem Pierre Boulez Saal seit der Eröffnung in besonderer Weise verbunden.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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