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BERLIN/Musikfest/ Philharmonie: DEUTSCHES SYMPHONIE-ORCHESTER BERLIN / Sokhiev

Philharmonie/ Musikfest Berlin: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, 11.09.2013

Das Musikfest Berlin will gerne Besonderes, selten Gehörtes bieten, und mit Tugan Sokhiev, dem Chef des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO), lässt sich das auch verwirklichen. Er bringt – gleichzeitig als Eröffnungskonzert für seine 2. Saison bei diesem Orchester – slawische Musik. Die drei Komponisten stammen aus dem böhmisch-polnischen Raum, mussten aber aus politischen Gründen zeitweise ins Exil gehen.

Tugan Sokhiev dirigiert das DSO, Foto Kai Bienert
Tugan Sokhiev dirigiert das DSO, Foto Kai Bienert

Der Musik vertrauen sie ihre Geschichte und ihr Geschick an, und es ist glatter Unsinn, wenn im Programmheft gleich eingangs behauptet wird, „Die Musik erzählt keine Geschichten.“ Oder soll das nur Widerspruch hervorlocken? Später wird ja haarklein beschrieben, was aus den Noten herauszuhören wäre.

Bei Leoš Janáčeks „Sinfonietta”, komponiert 1926 für ein Sportfest, muss man/frau nicht die Ohren spitzen und grübeln. Das Stück greift eine Militär-Fanfare auf. Auch Janáčeks Glücksgefühl, ausgelöst durch die Staatswerdung der Tschechoslowakei im Oktober 1918, klingt an. Nun sieht er, nach eigenen Worten, seine Stadt Brünn mit ganz anderen Augen.

Allerdings hat das immerhin 8 Jahre gedauert. Auch waren die Sätze zunächst mit Fanfare, Burg, Das Königskloster, Straße und Rathaus in seiner Stadt Brünn benannt. Doch die ganz große Euphorie scheint nach diesen 8-9 Jahren schon abgeklungen. Nun tragen die Sätze die üblichen Bezeichnungen.

Der 1. Satz (Allegretto – Allegro – Maestoso) beginnt mit Trommelwirbel und schmetterndem Blech. 14 Trompeten blasen uns zusammen mit Posaunen, Tuben und Hörnern den Marsch, dass die Ohren beben. Schön gesanglich klingt das Andante im 2. Satz, im 3.  setzen sich die Streicher gekonnt in Szene. Die Scherzo-artigen Rhythmen des leichtfüßigen 4. Satzes münden erneut in geballte Fanfaren-Feierlichkeit, diesmal mit Einsatz des gesamten Orchesters. Ein effektvolles „Sinfoniechen“, mit Elan dargeboten.

 Maxim Rysanov, Foto Irina Podushko
Maxim Rysanov, Foto Irina Podushko

Sehr viel sanfter das „Rhapsody-Concerto” für Viola und Orchester von Bohuslav Martinů. Das recht kurze, sehr melodiöse Werk in 2 Sätzen hat er in New York geschrieben. Wehmut weht aus den Noten, die überwiegend zarten Passagen überspielen Martinůs innere Zerrissenheit. Schmerzlich berührt wirkt auch Maxim Rysanovs Viola, doch diese lyrischen Passagen klingen dennoch etwas lau. Dass er auch Temperament besitzt, beweist der sympathische Künstler erst in der virtuosen Zugabe, die erfreut applaudiert wird.

Nach der Pause dann der eigentliche Knaller: Béla Bartóks Ballett-Pantomime Sz 73„Der wunderbare Mandarin“ in vollständiger Fassung, instrumentiert von 1923-26 und regelrecht in den Saal geschleudert. Bartok empfand das Stück als seine beste Komposition, meine Ohren empfinden es als gewalttätig. Vielleicht wird es deshalb selten gespielt. Konrad Adenauer, damals Kölns Oberbürgermeister, ließ es nach der Uraufführung an der Kölner Oper (im Nov.1926) verbieten, denn „Sex and Crime“ sind sein Inhalt. Auf alle Fälle braucht es eine ganze Reihe perfekter Bläser, und die besitzt nicht jedes Orchester.

Bekanntlich benutzen 3 Strolche ein Mädchen als Lockvogel und rauben die Freier dann aus, so den alten Kavalier. Ihr sind bei all’ dem Krawall einige melodische Oboensequenzen zugedacht, einem schüchternen Jüngling Harfenklänge.

Ansonsten geht es musikalisch querbeet und ruppig durch die (angeblichen) Schrecken einer Großstadt. Einige Male ist auch recht deutlich Gershwins „Rhapsodie in Blue“ herauszuhören. Leider nicht lange, denn es geht um drei Mordversuche an dem reichen Mandarin, dazu hat Bartók stärker ins Volle gegriffen. Diese Tötungen misslingen, doch beim letztlich erreichten Sex mit dem zunächst abweisenden Mädchen haucht der Mandarin sein Leben aus.

Sein Verscheiden begleitet der Ernst Senff Chor, einstudiert von Steffen Schubert, mit Summen und dann einem ständig wiederholten „A“. Zu einem Amen reicht es bei dieser surrealistisch inspirierten Komposition nicht. Trotz der bravourösen Leistung des Orchesters reicht es auch nicht zu einem starken Applaus. Auf die schwüle Hitze der gewaltträchtig wirkenden Partitur reagieren die Zuhörer eher befremdet und suchen schnell das Weite.

Ursula Wiegand

 

 

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