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BERLIN/Haus der Berliner Festspiele/ Foreign Affairs: PARTITA 2 mit Anne Teresa De Keersmaeker

Berliner Festspiele/ Foreign Affairs: „PARTITA 2“ mit Anne Teresa De Keersmaeker, 29.06.2013


Boris Charmatz und Anne Teresa De Keersmaeker, Foto: Herman Sorgeloos.

Die Zuschauer werden zuvor gewarnt: Gleich wird der große Saal im Haus der Berliner Festspiele dunkel werden. Richtig. Aus der totalen Finsternis erklingen nun Geigenklänge. Amandine Beyer, die französische Barockexpertin, spielt die „Partita Nr. 2“ in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Kein Räuspern, kein Husten stört diese sehr besondere Einstimmung. Das vorwiegend junge Publikum lauscht, harrt der kommenden Dinge und wundert sich womöglich ein bisschen.

„Partita 2“ heißt auch das Tanzstück, das Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz zu dieser Musik in zweijähriger Arbeit entwickelt haben und nun im Rahmen der Reihe „Foreign Affairs“ als deutsche Erstaufführung darbieten. Es wirkt auf sympathische Weise so, als würden die beiden immer noch vorsichtig ausprobieren, wie man Bach tanzen kann.

Frau De Keersmaeker hatte davor, wie im Interview zu lesen ist, eine gewisse Scheu vor Bachs außerordentlichen, sie innerlich berührenden Werken. Und das, obwohl sich diese Partita, wahrscheinlich entstanden kurz vor 1720, auf die damals gängigen Tänze bezieht. Als Allemande, Courante, Sarabande, Gigue und Chaconne sind dementsprechend die einzelnen Sätze bezeichnet.

Anne Teresa, die 1982 ihr erstes Solo tanzte und mit Choreografien zur Musik von Steve Reich der Moderne ihren persönlichen Stempel aufdrückte, hat in dem experimentierfreudigen Boris Charmatz den passenden Partner gefunden.

Beide sind zwar völlig unterschiedlich, doch das macht auch einen gewissen Reiz aus. Sie eher klein und zart, er der deutliche größere Kraftprotz mit einem Hang zur Ironie. Als Anne Teresa ihm, dem Performance-Künstler, diese Partita als Tanzsujet vorschlug, hatte auch er Bedenken: „Ich habe noch nie eine erfolgreiche Choreografie zu der Musik von Bach gesehen. Das ist ein Berg, den es zu erklimmen gilt,“ äußert er.

Ist das gelungen? Irgendwie schon und in fast tastender Weise. Auf der völlig kahlen Bühne (Idee: Michel François) gehen die beiden oft umher, vor allem im Kreis, so als wollten sie diese Musik in all’ ihrer Perfektion ebenfalls einkreisen.

Doch halt! Anfangs tanzen sie gänzlich ohne Musik, und es wirkt, als hätten sie die gerade gehörten Melodien im Kopf gespeichert und machten jetzt den Versuch, diese tänzerisch umzusetzen. Sie rennen, sie gehen, machen kleine Hüpfer. Mitunter lassen sie sich fallen, stehen schnell wieder auf. Sie im schwarzen Kleidchen, er im Jogging-Outfit, beide in Turnschuhen (Kostüme: Anne-Catherine Kunz).

Mal berührt er mit dem Finger seinen Mund, mal fasst sie sich kurz an den Busen oder streicht zärtlich über die eigene Wange. Mehrmals trägt die Zarte den schweren Partner auf ihrem schmalen Rücken. Abwechselnd liegen sie mitunter am Boden. Dann formt der/die andere zwei Uhrzeiger mit den Beinen, die stundenweise vorrücken und die Schritte hemmen. Gelegentlich summen sie leise, doch im Saal herrscht erneut eine gespannte Stille.

Im dritten und letzten Teil des Stückes sind Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz zusammen mit der Violinistin Amandine Beyer auf der Bühne. Noch einmal spielt sie die gesamte Partita Nr. 2, während die beiden Tänzer um sie herum ihre Bewegungen wiederholen und verdichten.

Noch immer machen sie wohlweislich keinen (oft zu beobachtenden, lächerlich wirkenden) Versuch, jeden Taktteil genau zu nachzutanzen. Nein, es sind erneut die Schritte, das Gehen, die absichtlich unvollendeten oder abgebrochenen Gesten. De Keersmaeker sieht es als gemeinsame Erforschung einer „lebendigen Architektur“, Charmatz eher als „musikalisches Labyrinth“.

Für mich bleibt diese solchermaßen bildhaft gemachte Partita Nr. 2 der Versuch einer Annäherung an Johann Sebastian Bach, den Mount Everest der Musik. Insgesamt ergibt sich während dieser 70 Minuten ein schwebender, nachdenklich machender und sehr poetischer Eindruck. Das kommt an, das ist schön und wird vom Publikum intensiv bejubelt.

Ursula Wiegand

 

 

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