Berlin, Festival Tanz im August: „MIRROR & MUSIC“, 10.08.2012
Saburo Teshigawara. Foto: Sakae Oguma
Tiefe Dunkelheit und greller Elektrosound. Schroff beginnt „Mirror & Music“ von Saburo Teshigawara, mit dem er und seine Compagnie KARAS das Internationale Tanzfest „Tanz im August“ an diesem Abend eröffnen.
Tänzer in Kutten und Kapuzen schälen sich fast unmerklich aus der Finsternis, bedrängt vom Gedröhn. Dann vorne Altmeister Teshigawara, ein offensichtlich Suchender mit manchmal abgehackten oder nur angedeuteten Bewegungen. Mitunter zittert er wie Espenlaub, als erlitte er gerade einen Anfall.
Ein Mensch in einem Schreckensszenario, mit Verzweiflungsgesten, mit oft sonderbar verdrehtem Körper, um anschließend wieder „ganz normal“ zu agieren, so als sei nichts geschehen.
All’ das bietet dieser charismatische Startänzer in verblüffendem Tempo, angereichert mit einem schier unerschöpflichen Kaleidoskop an Details. Nach der Verkrampfung die Auflösung, die sichtliche Erleichterung. Und stets bleibt seine Darstellung voller Ästhetik, ja voller Unschuld.
Teshigawara, auch für Bühne, Lichtgestaltung und Kostüme verantwortlich, setzt bewusst, aber doch mit japanischem Feingefühl auf krasse Kontraste. Dem düsteren Chaos lässt er abrupt strahlendes Licht und sanfte Barockweisen folgen. (Musik vom Band, Auswahl: Saburo Teshigawara und Izumi Nakano).
Mirror & Music. Foto: Bengt Wanselius
Mädchen mit wehenden Haaren laufen nun beschwingt über die große Bühne im Haus der Berliner Festspiele, als wäre gerade der Frühling gekommen und hätte die Zuversicht Oberhand gewonnen. Die Arme fliegen wie kaum mit dem Körper verbunden.
Ein Spiegel ist nicht zu sehen, die Tänzer spiegeln sich selbst zu der übergangslos wechselnden Musik. In den pausenlosen 75 Minuten, die auch dem Publikum Konzentration abverlangen, bespiegeln sie ihre Ängste und Behinderungen, ihre Freude und ihre Erlösung.
Bewusstseinsfindung durch Klänge, Vermischung von Raum und Zeit, alles scheint ineinander verwoben, manchmal prall, öfter wie dahinschwindend. Selbst minutenlanges Hüpfen, als wären gerade Lockerungsübungen angesagt, geschieht hier, als sei solches ganz selbstverständlich.
Wie in diesem Werk – uraufgeführt im September 2009 am New National Theatre Tokyo – traditionelle Tanzformen aufgelöst und überzeugend umgestaltet werden und dennoch eine verblüffende Grazie bewahren –das bleibt Teshigawaras Geheimnis.
Die insgesamt acht Tänzer werden zuletzt intensiv bejubelt, allen voran der „spiritus rector“. Mit seiner Compagnie gestaltet er einen großartigen Auftakt für „Tanz im August“. Dass es gerade 8 Interpreten sind, kommt vielleicht nicht von ungefähr, gilt doch die harmonisch geformte 8 in Japan als Glückszahl. Hoffen wir also, dass die 8 Künstler diesem europaweit beachteten Tanzfestival bei der anstehenden Umorganisation nach 24-jährigem Bestehen viel Glück bringen.
Ursula Wiegand