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BERLIN/ Staatsoper/ Werkstatt: AVENTURES/ NOUVELLES AVENTURES von György Ligeti/ SUR SCÈNE von Maurizio Kagel

25.11.2015 | Oper

Absurdes Musiktheater in Berlin: Drei Werke von György Ligeti und Mauricio Kagel (Vorstellung: 24. 11. 2015)

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Symbolisch für die Evolution? Die drei Sänger – Markus Hollop im Käfig zwischen Lydia Brotherton und Lena Haselmann – werden von Figuren mit Tierköpfen bestaunt und begafft  (Foto: Martin Koos)

In der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater Berlin, die schon seit Jahren selten gespielte Opern und moderne Musiktheaterwerke zur Aufführung bringt, wurden nun drei kammermusikalische Werke aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts gezeigt, die wohl zu den außergewöhnlichsten Kompositionen beziehungsweise Vokalstücken zählen: „Aventures“ aus dem Jahr 1962 und „Nouvelles Aventures“ (1962 bis 1965 entstanden) von György Ligeti (1923 – 2006) und dazwischen „Sur scène“ (1959 / 1960) von Mauricio Kagel (1931 – 2008).

Bei den beiden Werken des ungarisch-österreichischen Komponisten, die für drei Sänger und sieben Instrumentalisten geschrieben wurden, handelt es sich um eine „Musikalisierung“ von Sprachlauten und Wortfragmenten. Wie man dem Programmheft entnehmen kann, bezeichnete Ligeti seine beiden Klang-Abenteuer einmal als „Falsifikation“ des Prinzips Oper, gleichsam als Anti-Opern, später behauptete er, dass alle Klänge der Werke nichts außerhalb ihrer selbst bedeuten. Literarisch orientierte sich Ligeti am Dadaismus, wobei er die Grenzen zwischen Musik und Text so nivellierte, dass in der Folge beides untrennbar wurde. Die vokalen Aktionen wurden identisch mit den instrumentalen. Die „Aventures“ und die „Nouvelles Aventures“ gelten als Musterbeispiele für das später so genannte „Instrumentale Theater“.

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Szenenbild aus den „Nouvelles Aventures“ (Foto: Martin Koos)

Das kammermusikalische Theaterstück „Sur scène“ wurde vom argentinischen Komponisten Kagel für Sprecher, Sänger, Mimen und drei agierende Instrumentalisten geschrieben, wobei der Sprecher einen professoralen Vortrag über Geschichte, Ästhetik und Entwicklung der Musik nach 1945 hält. Ein gewisser sprachlicher Duktus erinnert in seiner intellektuellen Art bisweilen an den Philosophen Theodor W. Adorno, von dem im Programmheft ein für dieses Stück aufschlussreiches Zitat aus seiner „Dialektik der Aufklärung“ abgedruckt ist:

„Die Menschengattung einschließlich ihrer Maschinen, Chemikalien, Organisationskräfte – und warum sollte man diese nicht zu ihnen zählen wie die Zähne zum Bären, da sie doch dem gleichen Zweck dienen und nur besser funktionieren – ist in dieser Epoche le dernier cri der Anpassung, Die Menschen haben ihre unmittelbaren Vorgänger nicht nur überholt, sondern schon so gründlich ausgerottet wie wohl kaum je eine moderne Spezies die andere.“

 In Kagels „Sur scène“ wird Singen zum Grölen, Pausen werden mit sinnlosen Handlungen überbrückt, das Instrumentalspiel wird zum Kampf mit der Materie. All das, was bei bisheriger Musikausübung vermieden wurde, rückte der argentinische Komponist als optischen und darstellerischen Eigenwert ins Rampenlicht.

 Regisseur Michael Höppner arbeitete in seiner Inszenierung den philosophischen Ansatz  „Evolution – Aufklärung – Macht“ in den drei Werken auf drastische Weise heraus, wobei er keineswegs auf skurril-humoristische Szenen mit zum Teil absurder Komik verzichtete. Für die Ausstattung der Werkstattbühne, die mit allerlei musikalischen Geräten und Instrumenten angeräumt war, zeichnete Günter Hans Wolf Lemke verantwortlich. Kreativ war die Lichtgestaltung von Sebastian Alphons, der die Bühne oft in einen Grauton versetzte, bei dem die Köpfe des Publikums wie Masken wirkten.

Das kleine Sängerensemble, das stimmlich vor allem mit vokalen Spitzentönen zu brillieren wusste, war auch schauspielerisch stark gefordert. So mussten sie im ersten Werk Aventures – nur mit Fellen bekleidet – als Steinzeitmenschen mit Urwaldlauten agieren. Besonders eindrucksvoll dabei der Berliner Bass Markus Hollop, der auch mimisch glänzte, doch standen ihm die Mezzosopranistin Lena Haselmann und die amerikanische Sopranistin Lydia Brotherton kaum nach. Exzellent auch der Berliner Schauspieler Felix Theissen, der im kammermusikalischen Werk Sur scène den schwierigen Text des Sprechers wortdeutlich deklamierte, aber auch sehr bühnenwirksam agierte.

Das siebenköpfige Orchester, Mitglieder der Staatskapelle Berlin, das im ersten Stock der Werkstatt spielte, wurde vom Berliner Dirigenten Max Renne geleitet. Hervorzuheben sind die drei Solo-Instrumentalisten: die italienische Pianistin Alba Gentili-Tedeschi, die koreanisch-australische Pianistin Jenny S. Kim und der griechische Schlagzeuger Alexandros Giovanos, die am Schluss der Vorstellung vom Publikum, das sich an diesem oft humorvoll verlaufenden absurden Musiktheater bisweilen staunend, hin und wieder auch lachend erfreute, ebenso gefeiert wurden wie das Sängerensemble, das sogar mit Bravo-Rufen bedacht wurde.

Udo Pacolt

 

 

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