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BERLIN/ Staatsoper: SACRE von Sasha Waltz. Premiere

Berlin/Staatsoper: umjubelte „SACRE“-Premiere von Sasha Waltz, 26.10.2013

Von Ursula Wiegand

Sasha Waltz, L' après-midi d'un Faune, Foto Bernd Uhlig
Sasha Waltz, L‘ Après-midi d’un Faune

Seit Wochen sind die beiden Vorstellungen von „SACRE“ in der Staatsoper im Schillertheater komplett ausverkauft. Tanz-Fans wissen: wenn Sasha Waltz choreographiert, ist Besonderes zu erwarten: eine versiert durchkomponierte Verbindung von Tradition und zeitgenössischem Tanz.

Besonders ist außerdem diese erste feste Zusammenarbeit von Daniel Barenboim und Sasha Waltz, die mit ihrer Compagnie – Sasha Waltz & Guests – in diesem Jahr ihr 20jähriges Jubiläum feiert und darüber hinaus zur „Kulturbotschafterin Europas 2013“ ernannt wurde. Eigentlich müssten die Berliner Kulturverantwortlichen diese Frau auf den Händen tragen. Auch finanziell.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Opern erhalten weit mehr Subventionen als die Tanzszene. Als Sasha Waltz aufgrund dessen schon das Verlassen Berlins ins Auge fasste, ergriff Barenboim die Initiative und hat die international Hochgeschätzte an sein Haus gebunden. So wird Sasha Waltz  im Rahmen der FESTTAGE den „Tannhäuser“ inszenieren (Premiere am 12. April 2014). Der „Sacre“ wird in der Spielzeit 2014/2015 wieder aufgenommen, und das fabelhafte „Dido & Aeneas“ findet auch wieder gebührenden Platz im Spielplan.

Der jetzige Premierenabend unter dem Titel „SACRE“ gliedert sich in drei Teile. Den Anfang macht die Uraufführung „L’ Après-midi d’un Faune“ nach der gleichnamigen sinfonischen Dichtung von Claude Débussy. Ein der Musik entsprechend verträumtes Stück, jedoch vor klarfarbigem Hintergrund (Bühne und Kostüme: Guillaume Bruère). Ebenso verträumt wird es von Barenboim und der Staatskapelle Berlin untermalt.

Bei Sasha Waltz hat die Liebe diverse Facetten. Unaufhörlich streichelt ein Tänzer den nackten Rücken des wie abwesend schreitenden Fauns. Der beachtet ihn nicht, kniet vielmehr neben einer Schönen nieder und malt mit roter Farbe Kringel auf ihre Beine. Sie lehnt sich liebesbegierig zurück, doch für echten Sex ist der Faun offenbar zu träge. Der von ihm Verschmähte hat ohnehin schon das Weite gesucht.

Getanzt wird dieser sommerliche Nachmittagstraum von (in alphabetischer Reihenfolge) Israel Aloni, Jiri Bartovanec, Davide Camplani, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Luc Dunberry, Edivaldo Ernesto, Hwanhee Hwang, Virgis Puodziunas, Sasa Queliz, Judith Sánchez Ruíz, Mata Sakka, Yael Schnell und Joel Suárez Gómez.

Sasha Waltz, Scène d' Amour, Foto Bernd Uhlig, 3
 Sasha Waltz, Scène d‘ Amour, Foto Bernd Uhlig

Noch traumhafter gelingt das Stück „Scène d’Amour“ nach der Musik von Hector Berlioz. Es ist ein Ausschnitt aus seiner dramatischen Sinfonie „Roméo et Juliette“ und ebenso aus der gleichnamigen Choreographie von Sasha Waltz, die 2007 an der Pariser Oper uraufgeführt wurde. Diese Liebesszene gestalten Emanuela Montanari und Antonino Sutera, zwei Stars der Mailänder Scala. Sie machen das hinreißend und haben die „Chefin“ offensichtlich sehr gut verstanden.

Denn bei Sasha Waltz ist eine Frau nie das zuckersüße Vorzeigepüppchen, das von einem starken Mann gehoben und bei den Pirouetten unterstützt wird, um sich dann in einem Solo zur Schau zu stellen. Dennoch integriert der nun gezeigte, perfekt getanzte Pas de deux durchaus klassische Elemente, geht aber weit über die starren Bewegungsmuster hinaus und wird zu einer harmonisch fließenden Liebeserklärung.

Beide buchstabieren hier das ganze Vokabular einer schwärmerischen Beziehung und zeigen ihre Zuneigung mit allen Fasern. Und so liegt Antonio auch mal glücklich am Boden und lässt sich (dezent) liebkosen. Dass alles traurig enden wird, ist zuletzt auch schon zu spüren.  Atemberaubend schön und von den Zuschauern entsprechend gefeiert.

Sasha Waltz, Le sacre du printemps, a, Foto Bernd Uhlig
Sasha Waltz, Le Sacre du Printemps, Foto Bernd Uhlig

Zum wilden Höhepunkt wird erwartungsgemäß „Le Sacre du Printemps,“ von Igor Strawinsky, eine von Sasha Waltz neu choreographierte Deutschlandpremiere anlässlich der 100jährigen Wiederkehr der tumultartigen Pariser Uraufführung 1913.

Nach den anfänglich eher besinnlichen Passagen tobt unter Barenboims Händen bald die Staatskapelle los, schärft exakt die Rhythmen und die Dissonanzen, die Trompeten blasen, unterstützt vom Schlagwerk, wie zum Jüngsten Gericht. Nein – so hat Strawinsky die Bräuche im heidnischen Russland instrumentiert.

Jede Menge Tanzender füllen nun die Bühne, beten zunächst in stilisierten Bewegungen die Erde an, um dann erst frühlingsselig, dann immer rauschhafter und heftiger zu rennen und herumzuwirbeln. Eine Rhythmus-Orgie sondergleichen. Eine der jungen Frauen wird bekanntlich als „Frühlingsopfer“ auserkoren, ihr streift man ein Kleid rot wie dunkles Blut über. (Kostüme Bernd Skodzig).

Immer ekstatischer werden die Bewegungen, alle geraten, oft auch heftig zuckend, in einen hemmungslosen, faszinierend anzusehenden Rausch. Die Männer stemmen einige Frauen empor, in Opferpose legen sie ihre Köpfe nach hinten, als böten sie ihre Kehlen der herabhängenden, Tod bringenden Spitze an.

Schließlich reißt sich das „Frühlingsopfer“ – Maria Marta Colusi – wie von Sinnen  alle Kleider vom Leib. Diese Frau muss niemand töten, die opfert sich nackt und bloß selbst. Besessen tanzt sie, immer schneller, immer schneller, bis zu tot zu Boden sinkt. Großartig!!

Getanzt wurde dieses Stück außerdem von Liza Alpizar Aguilar, Israel Aloni, Jiri Bartovanec, Davide Camplani, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Luc Dunberry, Edivaldo Ernesto, Delphine Gaborit, Peggy Grelat-Dupont, Hwanhee Hwang, Sergiu Matis, Michal Mualem, Virgis Puodziunas, Sasa Queliz, Zaratiana Randrianantenaina, Orlando Rodriguez, Mata Sakka, Judith Sánchez Ruíz, Lászlo Sandig, Sophia Sandig, Yael Schnell, Corey Scott-Gilbert, Claudia de Serpa Soares, Xuan Shi, und Joel Suárez Gómez.

Sofort bricht der hochverdiente Jubel los. Die Zuschauer – darunter auch viele junge Menschen – rufen Bravi, kreischen und trampeln vor Begeisterung. Bescheiden nimmt Sasha Waltz die lautstarke Liebeserklärung entgegen.                   

Ursula Wiegand

 

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