Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Staatsoper REIN GOLD. Uraufführung der neuen musikalischen Fassung

10.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Berlin/ Staatsoper: „REIN GOLD“, Uraufführung der neuen musikalischen Fassung, 09.03.2014

„Es ist nicht alles Gold, was glänzt,“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Denn bei dieser „Musiktheater-Uraufführung von Nicolas Stemann“ in der Staatsoper im Schillertheater erleben wir einen Verschnitt. Eleganter ausgedrückt, eine „assemblage“, bestehend aus einem Bühnenessay von Elfriede Jelinek und Musikanteilen aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, nun bezeichnet als „Rein Gold“.

Jürgen Linn, Wotan in Rein Gold, Foto Arno Declair
Jürgen Linn (Wotan). Foto: Arno Declair

Frau Jelinek, Literatur-Nobelpreisträgerin, hat sich erstmals einem musikdramatischen Text gewidmet und aus Wagners Ringparabel eines ihrer Sekundärdramen gefertigt, angelegt als Diskussion zwischen Wotan und Brünnhilde. Hier aber hat diese Tochter noch zwei Geschwister, die gemeinsam immer wieder grübeln: „Also, Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie.“

Anschließend fragen sie: „Wieso wirken die Gesetze nicht, die Du doch selbst gemacht hast? Was ist geblieben von Deinem Weltenentwurf? Wozu dieses Haus, Papa, wozu Walhall, wozu diese Demonstration der Macht?“ Logische Fragen, die Wahrheit aus Kindermund.

Deutliche Kritik klingt an, wenn die Drei ihr Quasi-Verhör fortsetzen: „Wieso bezahlst Du die größeren und kleineren Arbeiter nicht, wieso bringen sie sich um für Gold?“ Damit sind wir sogleich auf den realen Großbaustellen der Gegenwart, wo solches leider ständig passiert, und sich fast keiner darum kümmert.

Hier fragen drei erwachsene Kinder, die Schauspielerin Katharina Lorenz und ihre Kollegen Sebastian Rudolph und Philipp Hauß. In Alltagskleidung (Kostüme: Marysol del Castillo), mit Mikrophon und Textbuch in den Händen, kämpfen sie sich pausenlose 2 Stunden 40 Minuten durch Elfriede Jelineks sich immer mehr verzweigende, hochintellektuelle Wort- und Gedanken-Volten. Unmöglich, das alles ohne Blicke auf den Skript vorzutragen.

Kaum etwas wird unausgesprochen gelassen. Natürlich geht es wie im „Ring“ um die Gier nach Gold und Geld, das Wotans Ende herbeiführt (und das auch Wagner immer dringend brauchte). Anschließend um den Kapitalismus als solchen, um Sklaven, die sich für das Geld der anderen abrackern, schließlich um die Funktion des Geldes, dem eigentlich Waren gegenüberstehen sollten, was aber nicht immer der Fall ist. Die Geldscheine, die schließlich von der Decke rieseln, sind oft nur noch ein Schein, d.h. leere Versprechen. Klug gedacht, die Finanzkrisen lassen grüßen.

Wotan ignoriert die Fragen seiner Kinder, streitet sich nur mal kurz mit Gattin Fricka darüber, wer denn für den teuren Prunkbau verantwortlich sei. Er ist ein geistig Abwesender, ein bereits Weltentrückter, der (bekanntlich) das eigene Ende herbeisehnt. „Papa, wo bist Du?“ rufen die Drei immer wieder. Ja, wo ist Gottvater in dieser weltweit ausufernden Misere.

Wotan – Jürgen Linn – bleibt ein tauber Papa und darf hier, ansonsten aller wichtigen Wagner-Partien kundig, nur „Ring“-Ausschnitte zum Besten geben. Er tut es mit volumigem, wohltönendem Bariton, muss sich aber in Nicolas Stemanns Inszenierung auch schauspielerisch einiges gefallen lassen und schon anfangs japsend auf der weitgehend kahlen Bühne zusammenbrechen. (Bühnenbild: Katrin Nottrodt).

Die Kinder schleppen ihn Richtung Staatskapelle Berlin, die leicht erhöht im Hintergrund sitzt und mitunter von den Akteuren nach vorne und hinten geschoben wird. Diese brillanten, wagnerkundigen Musiker ziehen sich unter der Leitung von Markus Poschner glänzend aus der Affaire. Ein Video (Claudia Lehmann) darf auch nicht fehlen. Als Linn später wie auf Walhall weit im Hintergrund singt, ist sein Gesicht live auf Großbildschirmen zu sehen.

Seine Gesangspartnerin als Brünnhilde ist die fabelhafte Rebecca Teem. Laut Programmheft ist sie vom Mezzo-Fach in den dramatischen Sopranbereich gewechselt und macht seitdem als Brünnhilde international Furore. Hier imponiert sie mit rundem Gesang und glasklaren Spitzentönen. Von chronologischer Reihenfolge kann übrigens bei allen hier zu hörenden Wagner-Szenen oder –Schnipseln nicht die Rede sein.

Ebenfalls ein Labsal sind die drei schönen Rheintöchter Narine Yeghiyan, Katharina Kammerloher und Annika Schlicht. Die singen verführerisch und sehen in ihren langen, goldglitzernden Gewändern äußerst attraktiv aus. Neben schmeichelnd girrenden Tönen müssen sie gelegentlich auch haarscharf am Ton vorbei singen. Na ja.

Da Stemann versucht, Jelineks spiralförmige Endlos-Gedanken aufzulockern, steht Rebecca Teem auch mal, bunt ausstaffiert, wie in einer TV-Show als Waltraut aus Königswusterhausen (einer kleinen Stadt bei Berlin) auf der Bühne. Klar, es geht um Jelineks Kritik an der Mediengesellschaft mit ihren i-pads und anderen Internet-Wunderwaffen, hier in einem güldenen Schwert (!) eingebaut.

Vordergründig geht es jedoch um die Suche nach dem Helden, nach dem anfangs schon die drei Kinder verlangt hatten. Der soll alles wieder ins rechte Lot bringen. Das Publikum wird aufgefordert aufzustehen, um bei der Heldensuche mitzuhelfen. Die allermeisten machen das tatsächlich und dürfen sich auch gleich wieder setzen. Einige haben schon weit früher den Saal verlassen, vermutlich irritiert durch die hinzugefügte Komposition für Elektronik/modularen Synthesizer, kundig dargebracht von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel.

Rebecca Teem, Brünnhilde, Philipp Hauß, Schauspieler, Foto Arno Declair
Philipp Hauß (Siegfried), Rebecca Teem (Brünnhilde). Foto: Arno Declair

Der Held Siegfried, hier der Schauspieler Philipp Hauß, wird tatsächlich gefunden. Brünstig singt ihm Brünnhilde (Rebecca Teem) ihr begeistertes Liebesverlangen entgegen. Er, höchst verlegen, bringt keine strahlenden Töne aus der ungeübten Kehle. Es sind jedoch die gewollt lustigsten Momente des gesamten Abends, der mir zugegebenermaßen reichlich lang wird. Doch plötzlich werde (nicht nur) ich durch laute Knalle aufgeschreckt. Leblose Körper fallen von der Decke auf den Boden, eine Anspielung auf die NSU-Prozesse.

Am Ende dieser neuen „Gesamtkomposition“ in Bild und Ton läuft noch ein großer, knallroter Plüschteddy in aufrechtem Gang über die Bühne. Ein kleines Mädchen sammelt Geldscheine ein. Und da Tiere und Kinder immer gut ankommen, erhalten die beiden fast ebenso kräftigen Beifall wie alle übrigen Mitwirkenden.

Die beiden Wagner-Interpreten, insbesondere Rebecca Teem, sowie die Staatskapelle mit ihrem Dirigenten werden zu Recht besonders gefeiert. Nur ein winziges, schüchternes Buh der ansonsten offenbar hoch zufriedenen (zwischendurch brav aufgestandenen) Zuschauer begrüßt das Regieteam.

Warum muss ich jetzt eigentlich an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ denken? – „Papa, wo bist Du?“ hatten die Kinder gegen Schluss noch einmal gefragt. Vielleicht hätten sie „Wagner, wo bist Du?“ rufen sollen.

Nur zwei weitere Termine am 12. und 15. März.

Ursula Wiegand

 

 

Diese Seite drucken