Premiere „Pinocchio“ von Lucia Ronchetti am 28.2.2021 in der Staatsoper Unter den Linden/BERLIN
Goldmünzen und gute Fee
Copyright: Staatsoper Berlin
„Ich möchte ein ordentlicher Junge werden“ – das hat sich der aus Holz geschnitzte Pinocchio fest vorgenommen. Er will zwar gerne brav sein, aber er steckt voller Streiche. Auf seinem Weg zu einem lebendigen Menschen muss er seinen Mut beweisen. Und Pinocchio hält zu seinem Vater, dem Holzschnitzer Geppetto. Dabei muss er sich gegen den gierigen Fuchs, den gefräßigen Kater und zwielichtige Zirkusdirektoren sowie einen riesigen Walfisch durchsetzen, der ihn schließlich verschlingt. Und im Leib des Ungeheuers entdeckt er auch seinen Vater. Der Walfisch wird dabei geschickt durch riesige, wallende blaue Tücher symbolisiert. Beide können sich befreien und die Geschichte nimmt ein gutes Ende.
In der subtilen Inszenierung von Swaantje Lena Kleff (Bühnenbild: Friederike Lettow; Kostüme: Miriam Schubach) spielt der Zauber des Puppenspiels eine große Rolle (Konzeption Puppenspiel: Emilia Giertler; Puppenbau: Ida Herrmann). So treten die szenischen Vorzüge dieser reizvollen Kinderoper von Lucia Ronchetti deutlich hervor.
Die hervorragende Sopranistin Sarah Aristidou lässt als Pinocchio ihre schillernden und elektrisierenden Intervallspannungen und Koloraturen höchst virtuos Revue passieren. Tremolo- und Glissando-Passagen, Glockenspiel-Sequenzen, chromatische Figurationen und betörende Legato-Bögen stehen hier musikalisch dicht beieinander, denn die italienische Komponistin Lucia Ronchetti beherrscht die Sprache der kammermusikalischen Instrumental-Behandlung ausgesprochen souverän. Gelegentlich blitzen sogar Renaissance-Strukturen und barocke Formen auf. Einmal hört man einige Takte aus Frederic Chopins „Trauermarsch“ aus der berühmten zweiten b-Moll-Klaviersonate. Mitglieder der Staatskapelle Berlin mit Henny Maria Rathmann (Violine), Isa von der Wedemeyer (Violoncello), Kaspar Loyal (Kontrabass), Merav Goldman (Horn) und Martin Barth (Schlagzeug) lassen unter der einfühlsamen Leitung von Adrian Heger die linkischen Bewegungen des Hampelmanns lebendig werden und harmonisch in tausend Farben aufleuchten: „Ist diese arme Holzpuppe tot oder lebendig?“ Diese schwierige Frage kann auch der wiehernde Esel nicht beantworten.
Die vergnügliche Inszenierung lässt deutlich werden, wie die blau gekleidete gute Fee den armen Pinocchio immer wieder auf den rechten Weg zurückführt. Fuchs und Kater können ihm letzendlich auch nicht die Goldmünzen rauben, denn die gute Fee gibt sie ihm wieder zurück. „Ich habe das Leben als Holzpuppe satt!“ resümiert Pinocchio, der zuletzt sogar im Zirkus landet. Die Inszenierung von Swaantje Lena Kleff besticht durch viele bunte Bilder, die die schwebenden Holzpuppen in flimmernden Sequenzen einfangen. So kann man hier zwischen Märchen und Realität gar nicht mehr richtig unterscheiden. Trotz der harmonischen Kühnheit ist diese Oper nach dem berühmten Buch von Carlo Collodi für Kinder durchaus geeignet. Einzig die riesige, rasant wachsende Nase bekommt man nicht zu Gesicht.
Alexander Walther