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BERLIN/ Staatsoper: ORFEO ED EURIDICE von Chr. W. Gluck. It’s never too late

28.03.2016 | Oper

Berlin/Staatsoper: „ORFEO ed EURIDICE“ von Christoph Willibald Gluck. It’s never too late, 3. Vorstellung, 27.03.2016

Bejun Mehta (Orfeo), Anna Prohaska (Euridice) und Nadine Sierra (Amor), Foto Matthias Baus
Bejun Mehta (Orfeo), Anna Prohaska (Euridice) und Nadine Sierra (Amor), copyright Matthias Baus

Die alte griechische Sage vom Sänger Orpheus, der seine geliebte Eurydike durch einen frühen Tod verliert und ihr bis in den Hades folgt, um sie zurück ins Leben zu holen, hat die Jahrtausende überdauert. Ein Mythos von Liebe und Treue, der Dichter und Komponisten zum Schaffen angeregt hat.
Am 18. März hatte Christoph Willibald Glucks Version in Italienisch Sprache als „Orfeo ed Euridice“ in der Staatsoper im Schillertheater Premiere, gestaltet von – kaum zu glauben – zwei Debütanten auf diesem Gebiet: Daniel Barenboim und Jürgen Flimm. Mit berührenden, klaren Samtklängen untermalt Barenboim mit der Staatskapelle Berlin Glucks Reformoper, die der als „Azione teatrale per musica“ bezeichnet hatte.

Außerdem beweist (Noch)Intendant Jürgen Flimm – nach „Le Nozze di Figaro“ – erneut, dass er das Inszenieren bestens beherrscht. Gekonnte Personenregie ohne Mätzchen und das Füllen der Räume sind sein Metier. So überraschen nun zwei Herren über 70 mit einer voll überzeugenden Darbietung.
„It’s never too late“, lässt sich dazu nur sagen und ebenfalls zum Stararchitekten Frank O. Gehry (geb. 1929 in Toronto), der die Ideen fürs Bühnenbild beigesteuert hat. Genauer formuliert war es wohl seine Crew, „in Kooperation mit Gehry Partners, LLP,“ ist auf dem Programmzettel vermerkt.

Auf der anfangs dunklen Bühne steht ein leerer Sarg, dahinter lodert ein Feuer im Ofen. Offenbar ist darin Euridices Leichnam verbrannt worden. Orfeo presst noch ihr Brautkleid an sich. Eine tiefschwarz gekleidete Trauergesellschaft (Kostüme: Florence von Gerkan) singt einen wunderbar wehmütigen Grabgesang (der Chor, einstudiert von Martin Wright). Jede und jeder legt eine weiße Kalla-Büte am Sarg nieder, Orfeo streut aus einem Geigenkasten dunkle Erde in das Grab, will dann mit seinem Schmerz alleine gelassen werden und klagt bitterlich.

Wie Countertenor Bejun Mehta, einer der weltbesten in seinem Fach, seinen Kummer und seine Verzweiflung mit geschmeidiger Kehle hörbar macht, geht zu Herzen und müsste jeden Stein erweichen. Selbst Jupiter (Wolfgang Stiebritz) ist gerührt und schickt Amor, der ihm helfen soll, die Geliebte zurück ins Leben zu holen. Nadine Sierra in ihrem Rollendebüt bringt einen wohlgeführten, schön gerundeten Sopran ins Spiel. Eine junge Frau im Hosenanzug, die Orfeo tatkräftig aus seiner Depression reißt und fortan ständig aufpasst, dass er in der Unterwelt seine Euridice nicht anschaut.
Zum Gang in den Hades verhelfen ihm hier rüde, durch Masken getarnte Männer. Mit blutverschmiertem Hemd kommt Orfeo im von Eisklötzen gekennzeichneten Hades an. In dieser grauslichen Kälte findet er seine Liebste nicht, sondern im Elysium. „Che puro ciel“, singt nun Orfeo, fasziniert vom klarem Himmel und all’ der unerwarteten Helligkeit. Die Seligen (der Chor) singen ihre Weisen auf einer bunten modernen Skulptur. Paare, die Damen in Weiß, tanzen im Sonnenlicht (Choreographie: Gail Skrela)

Hier ruht nun Euridice im Brautkleid in einem Zimmer auf einem weichen Bett und will zunächst gar nicht ins mühselige Erdendasein zurück. Doch Orfeos Flehen erweckt ihre Liebe erneut. Umso mehr verletzt sie jedoch des Gatten scheinbares Desinteresse, der ihr keinen Blick schenkt. Lieber tot bleiben, als mit einem lieblosen Mann zusamenzuleben, ist ihr vorläufiges Fazit.

Anna Prohaska mit ihrem klaren, ausdrucksfähigem „Barocksopran“ und ihrer Schauspielkunst ist die Idealbesetzung für diese Rolle. Erst verträumt, dann aufsässig und schließlich vor lauter unerwiderter Liebe zu Tode betrübt, gestaltet sie diese Partie. Noch größere Qualen lässt Mehta in dieser Situation hören. Ein Traumpaar, das hier notgedrungen einander nicht versteht und schon vor der Wiedervereinigung die „Szenen einer Ehe“ durchleidet.

Orfeo blickt bekanntlich zurück, tot bricht Euridice zusammen. Orfeos Selbstvorwürfe und der große Augenblick: das „Che farò senza Euridice“, auf Deutsch als „Ach, ich habe sie verloren“ bekannt. Ein Trauergesang in freundlichem C-Dur!, der nichts von der tiefen Verzweiflung Orfeos ahnen lässt. Dass gerade diese Arie einen Sänger vor Herausforderungen stellt, räumt Mehta im abgedruckten Interview ein. „Meistens finde ich die richtige Lösung erst eine Woche vor der Premiere,“ sagt er.
Das C-Dur passt allerdings zum Text von Ranieri de’ Calzabigi. Nach seinem Libretto kehrt Euridice dennoch auf die Erde zurück. Das Publikum sollte nicht zu traurig gestimmt werden, so die Absicht. – Jürgen Flimm folgt dieser Variante nicht und wählt das harte antike Ende. Zuletzt steht Orpheus wie zu Beginn erneut in dem dunklen Raum und streut aus dem Geigenkasten erneut dunkle Erde in Euridices Grab. Sein glücklicher Traum weicht der Realität. Ein richtiger und berührender Schluss.  

Ursula Wiegand
Weitere Termine 22.  und 24. Juni sowie am 01. und 03. Juli

 

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