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BERLIN/ Staatsoper: MACBETH

Grandios!

25.06.2018 | Oper

Bildergebnis für Berlin staatsoper macbeth
Anna Netrebko, Placido Domingo. Copyright: Bernd Uhlig

Berlin/ Staatsoper: Grandioser „MACBETH“ mit Anna Netrebko und Plácido Domingo, 24.06.2018

Zuerst die Hexen (die Chorsängerinnen) beim Leichenfleddern. Im Hintergrund ein nachtschwarzer Himmel mit rotfeurig explodierenden Bomben inmitten rauchdunkler Wolkenberge. Ein Video der gelungenen Art von Thomas Reimer, dem düstere altschottische Schlösser und eine menschenleere Gebirgslandschaft folgen.

Gleich anfangs diese besonders düstere und grausliche Szenerie, durch die der 82jährige Regisseur Harry Kupfer und sein Bühnenbildner Hans Schavernoch (72) das künftige Unheil aufs Deutlichste ankündigen. Das wirkt wie ein Remake des Films „Apokalypse now“ (von 1979), denn die erfahrenen „Alten“ sind hier am Werk, von denen einige als Kinder noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt und die Gefahren der Gegenwart vor Augen haben.

Nun zeigen sie deutlich und aufrüttelnd, dass sich seit den blutigen Kriegen und Morden im Schottland des 11. Jahrhunderts bis heute rein gar nichts geändert und sogar noch verschlimmert hat. Inklusive des Flüchtlingselends, das schon Shakespeare und dann Verdi aufgegriffen hatten. Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin liefert mit hörbarem Engagement den dazugehörigen Sound, den erstaunlicherweise der erst 34-jährige Verdi zur Uraufführung 1847 komponierte und 1865 teilweise überholte.

Selbst die operettenhafte Verkleidung der Potentaten (Kostüme: Yan Tax) scheint durchaus gewollt und zeigt auf, wie lächerlich diese wichtigen Herren eigentlich sind, selbst wenn sie wie Macbeth über Leichen gehen, um König zu werden und zu bleiben.

Mit dem 77jährigen  Plácido Domingo in der Titelrolle hat die Staatsoper, so sonderbar das klingen mag, einen schon von der Bühnenpräsenz und Schauspielkunst her überzeugenden Interpreten gewählt. Und der ist an diesem dritten Abend nach der Premiere auch gesanglich in bewundernswerter Verfassung.

Die Macbeth-Partie liegt ihm offensichtlich, und gleich beim ersten Ton klingt seine Stimme kräftig und stets angenehm. So bleibt das während der gesamten 3-stündigen Aufführung. Tonschön behauptet er sich auch in den zahlreichen Duetten und ist oft selbst dann noch zu vernehmen, wenn Barenboim zusammen mit dem Chor (einstudiert von Martin Wright) die Musik hochdramatisch aufschäumen lässt.

Schafft er das diesmal noch? Das hatte ich  – nach seinem Auftritt 2015 in gleicher Rolle im Schiller Theater – vorab etwas bang gedacht, denn kritiklose Schwärmerei und Ex-Helden-Verehrung sei anderen überlassen. Und anderen sei auch der immer wiederkehrende Einwand überlassen, dass ein ehemaliger Star-Tenor nicht wie ein „richtiger“ Bariton singen könnte und sollte.

Doch was soll dieses „Schubladendenken“, das einst auch brav zwischen E- und U-Musik unterschied? Zeiten und Menschen verändern sich und auch Ihre Stimmen. Die müssen klingen, müssen gut geführt und intonationsrein sein und den dargestellten Menschen mit all’ seinen Schicksalshöhen und -tiefen glaubwürdig darbieten. Nur darauf sollte es bei der Beurteilung ankommen. – Der nächste Star, der – wenn er gesund bleibt – diesen Weg gehen könnte, wäre wohl Jonas Kaufmann. Der hat – genau wie schon der jüngere Domingo – diese angenehme baritonale Färbung in der Stimme, die einem Tenor eine zusätzliche Komponente verleiht.

Giuseppe Verdi, Macbeth,  Staatsoper Unter den Linden 
Placido Domingo, Anna Netrebko. Copyright: Bernd Uhlig

Zurück zu Domingo, der an diesem exemplarischen Abend insgesamt überzeugt und zusammen mit der fabelhaften Anna Netrebko das „ideale Verbrecherpaar“ bildet. Beim Vorspiel wandert sie bereits als stumme, schwarz gekleidete Unglücksbotin, barfuß und mit einem großen Schwert in der Hand, durch die Reihen der getöteten Krieger.

Dann, bei Lichte besehen, räkelt sie sich zunächst wie eine schwarze Pantherin auf einem schneeweißen Sofa. Die Lady ist bekanntlich die treibende Kraft in dem unheilvollen Geschehen. Mit Hilfe des Gatten, der das hinterhältige Morden erst lernen muss, will sie Königin werden. Ihre ersten Töne schleudert sie wie Blitze in den Saal. Dass sie ihren Mann wg. seiner Skrupel und Wahnvorstellungen eigentlich verachtet, wird in ihrem Gesicht bald ebenso deutlich wie in ihrer alles umfassenden Superstimme.

Bei ihren Cavatinen im ersten Akt ist das Publikum noch etwas zurückhaltend, doch für die Cabaletta „Or tutti sorgete, ministri infernali“ erhält sie sogleich tosenden Zwischenapplaus. Die erste Halbzeit gehört weitgehend ihr, dieser Powerfrau, die nach der Ermordung des alten Königs Duncan und nun selbst Königin geworden, die Gäste – im schulterfreien giftgrünen Abendkleid – munter zum Feiern auffordert. Und immer wieder mit Verve davon abzulenken versucht, dass ihr Mann – nach dem weiteren Mord an seinem Ex-Gefährten Banquo (Kwangchul Youn, gerade zum Kammersänger ernannt,  mit kräftigem Bass) von schaurigen Wahnvorstellungen heimgesucht wird.

Wenn Anna, wie von Verdi komponiert, die tiefen Töne „gurgelt“ und so noch mehr in die seelischen Abgründe hinunter steigt, ist immer Gefahr im Verzug. Wann wird Anna Netrebko – falls ihre Tiefe noch mehr an Volumen gewinnt – mal die Carmen singen? Vom Typ her würde das exzellent passen.   

In der zweiten Halbzeit, dem 3. und 4. Akt, hat Domingo seine großen Szenen. Zunächst bei den erneut befragten Hexen, deren Weissagung er total missversteht und sich nun für unbesiegbar hält. Jetzt ergreift er selbst die Initiative zum Weitermorden, stürzt sich auch auf die von seinem Sinneswandel begeisterte Lady. Mordlust macht sexy, sie reißt ihm das Hemd weg, doch das Bett mit den beiden fährt per Hubbühne diskret hinunter.

Im vierten Akt glänzt akustisch der Flüchtlingschor, der um sein verlorenes und zerstörtes Vaterland trauert, durch Malcolm (Florian Hoffmann) und vor allem durch Macduff (Fabio Sartori) jedoch neuen Mut gewinnt. Mit knalligem Tenor stattet Sartori diese Partie aus, ganz ohne den früheren Schmelz. Ist das rollenbedingt oder eine Stimmveränderung? Dem Publikum gefällt’s, wie der sofortige Zwischenbefall beweist.

Die Lady kann die Rückeroberung des Landes – nun auch vom Wahnsinn heimgesucht – nicht mehr verhindern. In einem weißen Hemd wandelt sie umher, betreut vom Arzt (Dominic Barberi) und ihrer Kammerfrau (Evelin Novak). Immer wieder versucht sie, das Blut von ihren Händen zu entfernen und gibt damit ihre Mittäterschaft zu erkennen. Selbst löscht sie die Kerze in ihrer Hand und damit auch ihr Lebenslicht. Eindringlich.

Erwähnt seien auch Jan Martiník (als Mörder und Erscheinung), Thomas Vogel als Diener sowie Raphael Küster und Niels Domdey, zwei Solisten mit klaren Stimmen aus dem Kinderchor.

Die berührendste Szene folgt kurz vor Schluss. Macbeth ist alleine und sieht trotz der angeblich positiven Prophezeiungen sein Lebensende nahen. Er weiß, welch falschen Weg er nur wegen der Krone gegangen ist und um dessen Folgen: „Tutto il sangue, ch’io versai, grida in faccia dell’ eterno!“ (All das Blut, das ich vergossen, schleudert die Ewigkeit mir nun ins Antlitz!). Wie Domingo diese Zeilen singt und mit sparsamer Körpersprache begleitet – das geht unter die Haut. Im Saal ist es mucksmäuschenstill. Für viele wird das der Höhepunkt des gesamten Abends und sofort mit stürmischen Bravi belohnt.

An denen und an standing ovations mangelt es für diese insgesamt außerordentliche Aufführung auch zuletzt nicht. Sie gelten vor allem Anna Netrebko, Plácido Domingo und Daniel Barenboim mit der Staatskapelle.   Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen, genau wie die bisherigen ausverkauft, am 29.06. und am 02.07. 2018  

 

 

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