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BERLIN/ Staatsoper: „LA DAMNATION DE FAUST“ von Hector Berlioz

10.06.2017 | Oper

Berlin/ Staatsoper: „LA DAMNATION DE FAUST“ von Hector Berlioz, 09.06.2017

Faust, Florian Boesch als Méphistophélès, Foto Matthias Baus
Méphistophélès Florian Boesch. Copyright: Matthias Baus

„Das ist die beste Inszenierung, die ich je gesehen habe,“ schwärmt zuletzt ein etwa  Fünfzigjähriger neben mir. Einige Buhrufe sind auch zu hören, vermutlich von denjenigen, denen die ganze Richtung nicht passt. Doch schnell gehen sie im lang anhaltenden Jubel unter.

Offenbar haben nicht nur Simon Rattle, „Gastdirigent“ in der Staatsoper im Schiller Theater, und die dortige Staatskapelle Berlin mitsamt den Solisten überzeugt, sondern auch die Inszenierung von Terry Gilliam. Die bricht das Gewohnte ebenso auf, wie es Hector Berlioz mit seiner der Zeit vielfach vorauseilenden Musik getan hat.

Der „Faust“, bekanntlich ein mittelalterlicher Stoff, wurde durch Goethes Dichtung, gedruckt 1808, erneut ungemein populär. Auch Berlioz war davon begeistert. Dennoch hat er in dem weitgehend von ihm selbst verfassten Libretto vieles umgestellt, die Handlung in Szenen zerlegt, die mit Marguerite/Gretchen drastisch gekürzt und das ganze Werk „Légende dramatique“ genannt.

Berlioz hatte zunächst eine konzertante Version im Auge, und als solche wurde sie 1846 mit geringem Erfolg in Paris uraufgeführt. Im folgenden Jahr fand sie auch an der Berliner Hofoper Unter den Linden eine negative Resonanz. Denn „La damnation de Faust“ stößt, ausgehend von der französischen Romantik, in neue Bereiche vor, hat irritiert, aber den Neuerer Richard Wagner beeindruckt. Rattle nennt Berlioz ein Genie und lässt all’ die Farbigkeit der Partitur hören. Bis heute findet Berlioz in Frankreich weniger Anklang als in Deutschland.

Auch Terry Gilliam hat sich bei seiner Inszenierung, die 2011 für die English National Opera entstand, nach eigenen Worten in diese Musik hineingehört und dachte zunächst „das ist ein Albtraum“. So seine Äußerung im Programmheft. Um das Geschehen zu verdeutlichen, hat der amerikanisch-britische Filmemacher und Drehbuchautor eine „andere Erzählebene“ darüber gelegt.

Bildgewaltig spannt er einen Bogen – unterstützt  durch die Bühneneinrichtung von Hildegard Bechtler und den Videos von Finn Ross auf einer Riesenleinwand – von der Romantik über den 1. Weltkrieg, das Erstarken der NSDAP mitsamt der Olympiade 1936 bis zum  Zweiten Weltkrieg und dem Untergang des Dritten Reiches.

Das macht er teils ironisch, aber ohne ereignisferne Mätzchen. Terry Gilliam muss im Programmheft auch nicht erklären, wie was gemeint ist. Alles hat Logik. Eine (glücklicherweise harmlose) Bombenexplosion bei noch geschlossenem Vorhang verweist auf das Folgende.

Faust, gesungen von dem 42jährigen US-Tenor Charles Castronovo, ist hier auch anfangs kein auf alt geschminkter Mann, der beim Studieren das Leben verpasst, sondern einer, der sich bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ständig langweilt und weder mit sich selbst noch mit anderen etwas anfangen, geschweige denn Zuneigung empfinden kann. Castronovo singt seinen Part mit angenehmer Stimme, die vor allem in der Mittellage überzeugt. Mit den sehr hohen Tönen, die Berlioz seinem Faust in Gretchens Zimmer fast ironisch zumutet, hat er jedoch einige Mühe.  

Diesen ständig Gelangweilten stört das fröhliche Landvolk à la Goethes Osterspaziergang gewaltig. Der rettet sich auf einen ruhigen Berchtesgadener Felsen (!). „Ach, wie ich leide,“ stöhnt er, während zu seinen Füßen schon die Soldaten im Kampf vorwärts robben und zahlreiche sterben.

So einer lässt sich von Méphistophélès gerne verführen. Mal charmant tänzelnd, mal kraftvoll drohend wird der österreichische Bassbariton Florian Boesch dieser Rolle imponierend gerecht. Der führt ihn auch zu einer Nazi-Party, bei der die SA-Anhänger unter Führung von Brander (Jan Martiník) die Kommunisten bei der großartig gesungen „Amen-Fuge“ mit Genickschüssen töten. Starker Tobak, gewiss. Der Chor jedoch (einstudiert von Martin Wright) in einer Glanzrolle, und nicht nur in dieser Szene!

Weiter geht es mit den ersten Judenverfolgungen durch die Braunhemden (Kostüme: Katrina Lindsay). Auch Faust trägt bereits ein solches – der angepasste Quasi-Wissenschaftler, der mit der Schaufel zum Arbeitsdienst ausrückt. (Wie viele Geistesgrößen haben vor den Progromen die Augen verschlossen!).

Als Liebhaber zeigt sich dieser Faust bei der einzigen Szene in Gretchens Zimmer offenbar gewollt unbeholfen und unschlüssig. Im blauen Kleid mit Hütchen, schon etwas ängstlich, eilt sie die Treppe hinauf.  Später wird deutlich: sie ist Jüdin. Faust selbst setzt  ihr die germanisch blonde Gretchen-Perücke mit den langen Zöpfen als Tarnung auf schwarze Haar.  

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Magdalena Kožená, Charles Castronovo. Copyright: Matthias Baus

Fabelhaft verkörpert Magdalena Kožená als Marguerite diese junge Frau, darstellerisch und stimmlich. Warm und lyrisch klingt ihr intonationsreiner Mezzo, wenn sie die französische Variante des „Es war ein König in Thule“ singt. An Stelle von „Mein Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer“, lautet der Text in deutscher Übersetzung: „Die brennende Flamme der Liebe verzehrt meine Jugend.“ Von Liebesvollzug, Schwangerschaft und Muttermord ist hier nichts zu sehen. Später wird sie zusammen mit anderen Opfern als Jüdin deportiert.

Im Gegenzug zelebrieren Balletttänzer (Choreographie: Leah Hausman) und der Chor (!) eine Sport-Gymnastik-Show à la Leni Riefenstahl wie zur Olympiade 1936. Ja, Anlässe zum Nachdenken über Gegenwärtiges gibt es jede Menge.

Auch bei Berlioz erinnert sich Faust erst nach geraumer Zeit, von Méphistophélès informiert, an die vergessene „Geliebte“, erst jetzt unterzeichnet er den Pakt mit dem Teufel. Im Satansgalopp rasen beide dahin, umzingelt von schwarzen Unterweltsgeistern, die über das neue Opfer jubeln.

Bei Berlioz stirbt Faust, kopfüber aufgehängt an einem Swastika-Kreuz, doch eine Stimme aus dem Himmel (Anna Charim) verheißt Erlösung. Marguerites Seele gelangt wegen ihrer Liebe und Treue in den Himmel, begleitet von wunderbar romantischen Weisen, von Rattle und den Seinen ebenso wunderbar gespielt und vom Chorecht himmlisch gesungen.  

Ursula Wiegand

Letzte Vorstellung in dieser Saison am 11. Juni

 

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