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BERLIN/ Staatsoper im Schiller Theater: Tristan und Isolde / Waltraud Meier, Gloriosa des heutigen Wagnergesangs, triumphiert als Isolde

19.10.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin/ Staatsoper im Schiller Theater: Tristan und Isolde 18.10.

Waltraud Meier, Gloriosa des heutigen Wagnergesangs, triumphiert als Isolde

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Waltraud Meier. Foto: Monika Rittershaus

 Standing Ovations für Waltraud Meier in einer auch sonst exzellent bis gut gesungenen Tristan-Repertoire-Aufführung im Schiller Theater. In völliger musikalischer Harmonie mit dem Wagner-Doyen unter allen Dirigenten, Daniel Barenboim, gelingen der charismatischen Sängerin magische Momente von Verinnerlichung und Entäußerung in Wagners Drama um Einsamkeit, Verrat und durch Lüge schuldhaft gewordener Liebe. Nach so vielen Jahren an der Weltspitze verkörpert Waltraud Meiers Stimme mit vollkommen ruhigem Klangfluss Schicksal und Tragik einer Figur rein aus dem Wort heraus. Mit apartem Luxustimbre und klug gewähltem ökonomischen Mitteleinsatz, setzt sie Höhepunkte nicht mit roher Lautstärke oder vokaler Muskulatur. Frau Meier schöpft  den Klang mit großer Intuition aus Gesangslinie und Text. Das Ergebnis ist einzigartig: In solch stimmlich hervorragender Verfassung wie an diesem denkwürdigen Samstagnachmittag in der Berliner Bismarckstrasse war ich (als bekennender Mödl-Bewunderer) vollkommen fasziniert von dem Grad an Übereinstimmung zwischen Kunstfigur, Darstellung und stimmlich-artistischer Umsetzung. Eines zum anderen gefügt ergibt jede gesungene Nuance, jede der unendlichen Abschattierungen in der Entwicklung des Dramas oder im repetitiven Gang zur Apokalypse des individuellen Scheiterns eine Theaterleistung zum Niederknien. Da ist es auch völlig unerheblich, dass Frau Meier nicht einmal mehr versucht, die beiden hohen Cs zu Beginn des Liebesduetts im 2. Akt zu singen. Im Gesamtgefüge der Partitur spielen diese beiden kleinen Noten kaum eine Rolle. Und mir ist lieber, auf zwei kleine Farbtupfer in einem Gemälde zu verzichten als auf die komplette tiefe Lage und damit die Grundierung der gesamten Partie wie bei anderen viel zu leichten hellen Sopranistinnen, die sich an Isolde wagen. Ganz selbstverständlich, dass Frau Meier auch als Darstellerin in Harry Kupfers Inszenierung aus dem Jahr 2000 im Einheitsbühnenbild eines gewaltigen gefallenen Engels von Hans Schavernoch beste Figur macht und als Zugabe noch blendend aussieht im roten Mantel.

 Die Arbeit des bekannten Regie- und Bühnenbildduos ist als trauriges Lied der unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, der Konvention, der Dogmatisierung, der Lüge nicht mehr möglichen Realisierung von außergewöhnlichen Beziehungen konzipiert. Der gewaltige Engelstorso mit Adlerflügeln als gestürzter Ganymed in die Mitte der Drehbühne gefallen taugt als Liebeslaube ebenso wie als organisch-gespenstisches Gebirge im Kampf aller gegen alle im 3. Akt. Peter Seiffert als Tristan hat es nicht immer leicht, den physischen Anforderungen der Personenführung in der komplizierten Bewegungschoreographie zu folgen. Noch immer vermag Seiffert mit unglaublicher Intensität zu faszinieren, wenngleich er mit seiner höhenlastigen Stimme genau den umgekehrten Weg von Frau Meier im Herbst seiner Karriere geht. Er setzt auf Kraft im Gegensatz zu Verfeinerung, auf immer mehr Kamikaze-Koste-es-was es-wolle-Attacken statt auf kluge Dosierung der Stimmmittel. Das Ergebnis: Nach wunderbar, unglaublich dicht gesungenen zwei Akten wird im dritten Akt die Überforderung plötzlich so massiv, dass zuerst untere Töne wegbrechen und die letzten Minuten nur noch mit Aktivierung der letzten Reserven erstemmt werden. Um klar zu sein, ich finde Herrn Seiffert insgesamt noch immer großartig als Tristan, die Darstellung und Identifizierung mit der Figur könnte intensiver nicht sein. Aber der Tribut an dieses Alles-Geben gefährdete einmal mehr das Durchhaltevermögen und lässt damit auch den Theaterbesucher besonders bei diesem großen Liebling der Berliner Opernafficionados gewaltig mitzittern.

 Stephen Milling als König Marke klagte mit balsamischem Wohllaut über Betrug und Verrat  des Tristan. Beeindruckend von Statur und Präsenz gerät sein Abschied von Tristan zu „dem eines Liebenden zu einem Geliebten und nicht des Oheim von seinem seinen Verletzungen erlegenen Neffen“ (Kupfer). Grandios. Boaz Daniel von der Wiener Staatsoper ist in letzter Minute für Tómas Tómasson als Kurwenal eingesprungen. Nach den Worten einer Sprecherin des Hauses ist Herr Daniel drei Stunden vor Vorstellungsbeginn am Flughafen in Berlin angekommen. Dass sie dabei Klingsor mit Kurwenal verwechselt hat, hat eine kurze Schocksekunde im Publikum ausgelöst. Ob vielleicht doch nicht Tristan, sondern Parsifal gegeben wird. Boaz Daniel sang den Kurwenal kräftig mit leichten Intonationstrübungen zu Beginn, konnte sich aber bis zum herausfordernden dritten Akt zu einer exzellenten Leistung steigern. Ekaterina Gubanova als Brangäne kann stimmlich aus dem Vollen schöpfen, vokal gelingt alles bestens. Als Figur bleibt sie etwas bieder und blass. Uneingeschränktes Lob gebührt der Jugend des Hauses, die im Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden behutsam auf Größeres vorbereitet werden. Stephen Chambers als Melot und Maximilian Krummen als Steuermann vermögen neben den mächtigen Wagnerstimmen in den großen Rollen mit jungem Klang und Verve bestens zu bestehen. Florian Hoffmann als Hirt und Stimme eines jungen Seemanns gab eine sympathische Kostprobe seines Talents. Die Herren des Staatsopernchors, einstudiert von Frank Flade, peitschen im richtigen Duktus mächtig die Spannung an.

 Wie immer in der Staatsoper versammeln sich am Ende der Aufführung die Staatskapelle Berlin und der Dirigent auf der Bühne, um gleichsam als Akteure des Stücks vor den Vorhang zu treten. Das passt trefflich zum interpretatorischen Ansatz Daniel Barenboims, der bei allen groß gespannten musikalischen Bögen das Orchester „mitleidend“ teilhaben lässt am Schicksal der Figuren.  Jedes instrumentale Detail der Partitur ist in expressives Licht getaucht und macht so vieles von dem konkret hörbar, was Wagner im Text nur andeutet oder gar nicht ausspricht. Das Orchester begleitet nicht, sondern ist eigener und manchmal eigentümlicher Träger des seelisch-dramatischen Geschehens. Oder anders gesagt: Barenboim macht in den wildesten ekstatischen Wogen der Leidenschaften selbst jede kleine Schaumkrone noch plastisch hörbar und klangdramaturgisch bedeutsam. Dass seine Musiker ihm traumwandlerisch folgen und eine Klangkultur entfalten, die ihresgleichen sucht, ist bei Barenboim selbstverständlich. Auf solche Art und Weise – und das ist in die Wiener Staatsoper genau so – kann eine Repertoireaufführung unvermutet zu einem großen Fest werden. So geschehen im Schiller Theater am 18. Oktober 2014. Große Ovation.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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