Berlin/ Staatsoper: „IL TROVATORE“ mit Anna Netrebko und Yusif Eyvazov, 14.07.16
Anna Netrebko. Copyright: Matthias Baus
Bravo Yusif Eyvazov! So die hörbar einhellige Publikumsmeinung während und nach dem Comeback der Il-Trovatore-Inszenierung von Philipp Stölzl aus dem Jahr 2013 in der Staatsoper im Schiller Theater.
Wie gut sie ist, und wie kundig der Filmemacher und mehrfache Opernregisseur die Figuren im Raum agieren lässt, und wie er, mitunter schelmisch, die mit langen Lanzen bewaffnete Soldateska (den spielfreudigen Chor, trefflich einstudiert von Martin Wright) bewegt, fällt erst beim erneuten Hinsehen so richtig auf. An Krach und Bum beim Volksfest fehlt es auch nicht.
Diesmal gibt es auf der Staatsopernbühne (eingerichtet von Conrad Moritz Reinhardt und ebenfalls Philipp Stölzl) mit Yusif Eyvazov als Manrico einen Neuling, den Gatten von Anna Netrebko. – Herrje, was rauschte schon alles an gespieltem Erstaunen über Annas Wahl durch den Blätterwald, wie wurden seine gesanglichen Leistungen fast hämisch infrage gestellt, vielleicht von Leuten, die ihn nie live gehört haben. So nach dem Motto, wer Anna haben will, muss jetzt Yusif mitbuchen.
Die Besucher dieser dritten und letzten Il-Trovatore-Vorstellung der Saison haben unvoreingenommen hingehört. Im zweiten Teil, als er seine Mitstreiter temperamentvoll zum Kampf gegen seinen Nebenbuhler Graf Luna auffordert, lodert es förmlich aus ihm heraus. Danach gibt es in diesem Abend die ersten Bravos überhaupt, und bald nicht nur für ihn. Welch ein knackiger, durchschlagkräftiger Tenor ohne Schärfen und mit strahlenden Höhen.
Ganz selbstverständlich kommt ihm das hohe C aus der Kehle. Der hat das Zeug für einen Heldentenor! Belcanto-Schmelz ist nicht so sein Metier, hohe Schauspielkunst auch nicht. Er äußert seine Gefühle mit Mimik und vor allem mit dem Blick seiner dunklen Augen.
Dennoch gelingen ihm die Liebesszenen mit Leonora (Anna Netrebko) und die Zärtlichkeit gegenüber seiner angeblichen Mutter, der Zigeunerin Azuena (Dolora Zajick), durchaus überzeugend. Sein Wutausbruch, als er Leonora der Untreue bezichtigt, kommt knallig. Ein glaubwürdiger Kämpfer und Liebender. Offenkundig weiß er, was er singt.
Staatsopernchor in der Inszenierung von Philip Stölzl. Copyright: Matthias Baus
Das weiß Simone Piazzola als Graf Luna sicherlich auch. Der singt mit mittlerem Stimmvolumen technisch einwandfrei und wohltönend, doch die verzehrende Liebe zu Leonora, die brennende Eifersucht gegenüber Manrico, der tiefe Hass auf die Zigeunerin – all’ das kann ich ihm nicht abnehmen. Dabei hat er doch als Italiener einen Riesenvorteil in dieser auf Italienisch gesungenen Aufführung. Der aber bleibt kühl bis ans Herz hinan und bekommt als Einziger beim Schlussapplaus ein Buh und reduzierten Beifall.
Singen als Job, das ist zuwenig, denn viele, die in dieser Vorstellung sind, haben vor knapp 3 Jahren den damals 72-jährigen Domingo als Graf Luna in dieser Baritonrolle erlebt. Richtig, in den schnellen Passagen war er mitunter kurzarmig, doch mit welch inniger Begeisterung hat er seine Liebe geäußert, mit welcher Kraft Zorn und Kampfgeist beschworen. Schmelz und Timbre sind vermutlich Gottesgaben, doch Gefühle sollte jeder Graf Luna hören lassen. Adrian Sâmpetrean, erneut als Kommandeur Ferrando, kann mit prächtigem, ausdrucksstarkem Bass und Körpersprache weit mehr überzeugen. Einen positiven Eindruck machen auch Anna Lapkovskaja als Inez und Florian Hoffmann als Ruiz.
Herausragend jedoch Anna Netrebko und Dolora Zajick, die beiden Sterne am Abendhimmel, zwei mit einer satten, – pardon – fast vulgären Tiefe, Dolora (Mezzo) auch mit schönen Höhen und beide mit fabelhaften Aufschwüngen.
Klar, dass wohl alle wegen Anna gekommen sind, und sie ist einfach hinreißend und noch Rollen ausfüllender als 2013. In ihrem weißen Reifrock, erneut mit blonder Perücke, bewegt sie sich, hübsch im Kreis schwingend wie eine Spieluhrpuppe über die karge Bühne, die spitz in den Zuschauerreihen hineinragt. Wenn ich mich nicht ganz täusche, hat Kostümbildnerin Ursula Kudrna diesmal den untersten Reifen entfernt, der wirklich sehr hinderlich war.
Anna, anfangs verliebt zwitschernd wie eine Amsel, gibt dann die, die das wahre Leben lernen muss, aber es in der Hand behält. Vor allem ab dem differenzierteren zweiten Teil erhalten die beiden „Hauptdarstellerin“ die Möglichkeit, all’ ihr immenses Können zu herzuzeigen, zumal sie Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin auf Händen trägt, sie umschmeichelt, einen gelungenen Verdi-Sound liefert und so auch die robusten Szenen prächtig zum Klingen bringt.
Zum ersten Höhepunkt wird das Klostergeschehen mit Anna als angehender Nonne, dann das plötzliche Treffen mit Manrico mitsamt den Liebeschwüren, danach sein plötzlicher Abschied, ihre Angst um ihn als Eingekerkerter, ihr Selbstmord (hier mit dem Dolch), das letzte Wiedersehen. Wie da jeder Ton eingefärbt ist, alle Ängste und Glücksmomente superfein phrasiert und abschattiert werden – wer kann das ebenso ans Herz gehend wie Anna Netrebko? Ganz still wird es, bis auf die wenigen, die wohl gar nichts mitempfinden und weiter laut ungeniert husten.
Als indirekte Gegenspielerin Dolora Zajick als Zigeunerin, die voller Liebe den aus dem Palast geraubten Sohn großgezogen hat und sich ständig um ihn sorgt. Auch sie in jeder Phase glaubhaft. Eine, die den Feuertod ihrer Mutter nie verwunden hat und beim Gedanken daran die Selbstkontrolle verliert. Hier ist es, das „Emotionsgewitter“, wie Stölzl sich seinerzeit äußerte.
Die grausliche Geschichte, die sie Manrico fast fiebrig erzählt, lässt Sensiblen wahre Schauer über den Rücken laufen. Sie soll und will den Feuertod der Mutter rächen, und wider Willen erfüllt sich dieser Wunsch. Graf Luna ersticht Manrico, der ihn einst verschont hat, und tötet so, ohne es zu wissen, den eigenen Bruder.
Eigentlich bricht er nach dieser Nachricht verzweifelt zusammen. Domingo ist förmlich vor Schmerz zusammengebrochen, doch Simone Piazzola ist keine Erschütterung anzumerken. Die Zerstörung der eigenen Brudersuche, die Reue über seine Untat – bei ihm bleibt auch das nur eine tönerne Behauptung.
Riesiger Beifall zuletzt, jede Menge Bravos für Anna Netrebko, aber fast ebenso für Dolora Zajick. Schließlich „standing ovations“, auch für Barenboim und die Seinen. Großartiger hätte die Staatsoper-Saison 2015-2016 nicht enden können. Ursula Wiegand