Paul Lorenger (Schwarze Gazelle | Keikobad) und Camilla Nylund (Die Kaiserin). Copyright Hans Jörg Michel
BERLIN / Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 23.9.2018
Zweite Aufführung der Serie
Die in einem Irrenhaus angesiedelte Inszenierung von Claus Guth, die am 9.4.2017 noch im Schillertheater ihre Premiere feierte, ist nun für fünf Vorstellungen in die Staatsoper unter den Linden transferiert worden. Es handelt sich um eine Koproduktion mit dem Teatro alla Scala di Milano und dem Royal Opera House Covent Garden London. Das optisch kühle, in ihren Mitteln minimalistische Bühnenbild – ein karger holzgetäfelter Raum, eine bewegliche Rückwand mit Drehbühne, ein Laufbang über die Bühne – steht der spätromantischen Musik diametral entgegen. Als einziges poetisches Zugeständnis dürfen drei Tänzerinnen als Schwarze Gazelle (Keikobad), Weiße Gazelle und Falke durchs Geschehen schreiten, flattern, hatschen. Krankenbetten auf der Bühne, in denen die Protagonisten sich ständig tummeln, nerven mich mittlerweile genau so wie Koffergeschwader oder gelackter Hochglanzschick.
Von der Premierenbesetzung sind nur noch Camilla Nylund als Kaiserin und Michaela Schuster als Amme übrig geblieben, die anderen Hauptrollen fanden in Simon O‘Neill als Kaiser, Michael Volle als Färber und Elena Pankratova als Färberin neue Interpreten.
Die Staatskapelle Berlin ist der Star des Abends. Simone Young, die nach Hamburg nun „Die Frau ohne Schatten“ auch in Berlin dirigiert, weiß der reich schillernden Jugendstilmusik viel an Atmosphäre, flirrenden Details und funkelndem Bläsersound abzugewinnen. Sie wählt eher breite Tempi, lässt den musikalischen Fluss seinen Weg nehmen und weiß gleichzeitig mit scharf konturierten Leitmotiven die innere Dramatik dieses tiefenpsychologisch so schmerzhaft schönen Märchens anzuheizen. Das Orchester spielt mit hoher Präzision, das luxuriöse Klangbild fügt sich wie ein gotisches Kirchenfenster aus tausenden farbenintensiven musikalischen Zellen und Motiven. Young setzt auf transparente Strukturen, die kühl schimmern und erst am Ende des ersten und dritten Aktes an Wärme zunehmen. Wo es geht, nimmt Simone Young das Orchester kammermusikalisch zurück, freilich lässt sie den aufgestauten Energien am Ende des zweiten Aktes oder beim Schlussquartett auch mal gehörig Raum.
Als Figur und stimmlich hat Michael Volle als Färber wohl die rundeste Leistung des Abends geliefert. Mit seinem glutvollen, edel timbrierten Heldenbariton ist er derjenige, der stimmlich – wie auch schauspielerisch – die große Humanität atmet, die das Stück freisetzen soll. Vulkanartige Ausbrüche („Das Weib ist irre“) meisterst er ebenso glaubwürdig und souverän wie das geerdet fürsorgliche “Fürchte Dich nicht“. Eine ganz große Leistung, die mit denjenigen der besten Vorgänger auf Augenhöhe zu bestehen vermag.
Für mich beinahe auf einer Stufe mit Volle agiert Elena Pankratova als die ,unguided missile‘ des Stücks, die Färberin. Könnte sie von der Bühnenaktion her noch einen Zahn zulegen, so ist sie stimmlich schier überwältigend. Was bei dieser russischen Diva so fasziniert, sind die üppige Fülle des Soprans, die absolute musikalische Treffsicherheit und die unerschöpflichen Kraftreserven, mit der Pankratova die immens schwierige Partie der Färberin singt. Auch die exponiertesten Lagen klingen saftig, kein Vibrato trübt die Stimmlava, die sich in einem breiten Strom in den Zuhörerraum der Staatsoper ergießt. Ereignishaft.
Die Kaiserin wird von Camilla Nylund mit ihrem hellem, eher instrumental geführten Sopran ganz und gar perfekt gesungen. Jede Note sitzt, wobei noch immer Raum nach oben und unten zu bleiben scheint; kein einziger scharfer Ton ist auszumachen, was bei dieser von der Tessitura immens hoch gelegenen Partie an ein Wunder grenzt. Dass die Kaiserin im der Regie von Guth die ganze Geschichte nur träumt, gibt der Figur etwas seltsam hybrid Passives, unentschieden zwischen Beobachten und Agieren, Erleiden und Entscheiden. Die wunderschönen Soloszenen im dritten Akt samt Melodram hat man schon mit mehr Glut und innerer Anteilnahme singen gehört. Insgesamt dennoch eine bemerkenswerte stimmliche Leistung.
Leider ist der neuseeländische Heldentenor Simon O‘Neill der Rolle des Kaisers nicht gewachsen. Von Beginn an klingt sein Tenor eng (ängstlich?), die extremen Höhen werden nur mit äußerster Kraftanstrengung erreicht und klingen unangenehm gepresst. Schade.
Bleibt Michaela Schuster als Amme. Von der dämonischen Figur her und als Darstellerin ist diese intelligente Künstlerin ein Naturereignis. Rein stimmlich reizt sie mit ihrem hohen Mezzo ebenso alle Finessen eines klug durchdachten Sprechgesangs bis hin zu beeindruckenden Passagen in der mächtigen, aber auch vibratoreichen Mittellage. Allerdings hält Schuster längere hoch gelegene Phrasen nicht durch und kommt bei Spitzentöne des öfteren hörbar an ihre Grenzen. Als Bühnenerscheinung ist Schuster jedoch immer wieder ein großes Erlebnis. Beim vom Geisterboten (hervorragend Boaz Daniel) befohlenen Abgang der Amme im dritten Akt ereignet sich ein kleiner Zwischenfall im Publikum: Ein Mann in schwarzen Jeans, grasgrünem engem Kleid darüber, Sonnenbrille und Baseballkappe mitten im Parkett stößt wiederholt dumpfe Laute aus, worauf er rasch den Saal verlässt.
Die Staatsoper unter den Linden hat genügend Kräfte, um auch all die anderen Rollen, wie die Brüder des Färber, die Stimmen der Wächter der Stadt oder die Kinderstimmen adäquat zu besetzen. Lieder war das Haus überhaupt nicht ausverkauft, was in Anbetracht des selten gespielten aufwändigen Stücks und der überwiegend erstklassigen Besetzung schon verwundert. Vielleicht ist aber nur der Wettereinbruch mit einem Temperatursturz von 20 Grad innerhalb von zwei Tagen in Berlin für diese Publikumsknappheit ursächlich. Die letzen drei Aufführungen finden am 29. September, 5. und 14. Oktober statt.
Dr. Ingobert Waltenberger
Foto: Paul Lorenger (Schwarze Gazelle | Keikobad) und Camilla Nylund (Die Kaiserin)
Copyright Hans Jörg Michel