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BERLIN/ Staatsoper: DER FREISCHÜTZ von Carl Maria von Weber. Premiere

19.01.2015 | Allgemein, Oper

Berlin, Staatsoper:  „DER FREISCHÜTZ“ von Carl Maria von Weber, Premiere , 18.01.2015

Anna Prohaska, Ännchen, Burkhard Fritz, Max, Dorothea Röschmann, Agathe, Foto Katrin Ribbe
Anna Prohaska (Ännchen), Burkhard Fritz (Max) und Dorothea Röschmann (Agathe). Foto: Katrin Ribbe

Wie soll man heutzutage mit dem „Freischütz“, der „deutschen Nationaloper“, umgehen? Dieses doch recht düstere Dorfdrama ganz arglos vom Blatt wie eh und je darbieten oder mit gegenwärtigem Blick?

An der Staatsoper im Schillertheater hat man sich für letzteres entschieden und die Inszenierung Michael Thalheimer anvertraut, dem Mann fürs Moderne und für radikale Verkürzungen. Mit der aufs Wesentliche reduzierten „Emilia Galotti“ 2001 am Deutschen Theater Berlin wurde er berühmt. Die war ein einmaliger Geniestreich und eine Wegmarke.

Und jetzt? „Ich bin total unbeleckt und unvoreingenommen,“ hat er freimütig in einem Vorab- Interview mit der Berliner Zeitung auf die Frage geantwortet, ob er sich andere Freischütz-Inszenierungen angeschaut habe. Und ähnlich unbeleckt kommt seine Lesart nun daher.

„In der Vorbereitung habe ich mir ein paar „Freischütz“-Inszenierungen auf DVD angeschaut, einfach um mich zu informieren und um nicht etwas zu machen, was es schon einmal gab – aber nicht, um mich beeinflussen zu lassen.“

Es soll also immer etwas Neues sein, das ihn von anderen unterscheidet. Das ist schwierig. Seine weiteren Berliner Regiearbeiten habe ich fast sämtlich gesehen und wurde mehr und mehr enttäuscht. Doch sein Name zieht, und so ist dieser Freischütz seine 5. Opernregie. Die übliche Crew bringt er mit. So hat ihm Olaf Altmann erneut das Bühnenbild gefertigt, einen schimmernden, abschüssigen Trichter hinten mit einem Loch, der entfernt an den Zeittunnel in Götz Friedrichs „Ring“ erinnert.

Durch dieses Loch winden sich die Interpreten, gehen vorsichtig hinunter und starten dann zumeist mit Rampensingen. Die Damen immerhin in langen schlichten Kleidern (Kostüme: Katrin Lea Tag).

„Mich interessieren bei einer Oper in erster Linie die Geschichte, der Text, die Figuren, und erst in zweiter Linie die Musik,“ äußerte er später im genannten Interview. Aha, dann ist er ja der geborene Opernregisseur. Immerhin räumt er ein, dass die Musik ihm gefällt und sie die Geschichte auf ihre Art weitererzählt und Der Freischütz beinahe zur Lieblingsoper wird. Ein posthumes Kompliment an den Komponisten.

Dass der Wald und vor allem die finstere Wolfsschlucht etwas Bedrohliches haben, ist Thalheimer natürlich voll bewusst und ein Angelpunkt. Ohnehin kommt das in Webers Musik und mit ihrer Darbietung durch die Staatskapelle Berlin unter Sebastian Weigle mit düsterer Kraft zum Ausdruck. Allerdings tragen die stimmgewaltigen Chormitglieder gleich anfangs dürre blattlose Stämme mit sich herum, so als laufe der Wald wie im letzten Akt von Macbeth. Einige Zweige zieren stolperträchtig den Boden des Trichters.

Erwartungsgemäß hat Thalheimer die Dialoge fast gänzlich gestrichen. Das ist kein Verlust, selbst wenn es Newcomern das Verständnis der Handlung erschwert. Sein bester, nett ironischer Einfall ist der total traditionelle Auftritt junger Mädchen mit dem Ohrwurm „Wir winden dir den Jungfernkranz“. Einmal bleiben sie mit offenen Mündern mitten im Singen stecken. Sicherlich eine Metapher für die bald auftretenden Schrecken.

Die Hauptdarsteller dürfen sich jedoch nicht so locker wie die Mädchen geben, und theatralische Gesten hasst Thalheimer sowieso. Die Dorfbewohner sieht er als traumatisierte Menschen, geprägt vom 30jährigen Krieg, nach dem das Stück spielt. Max, aus Angst den Probeschuss zu verfehlen und damit seine Agathe zu verlieren, ist gänzlich verstört. Da ja alles anders als bei den übrigen Regisseuren sein soll, müssen Agathe und Ännchen sich mit Verrenkungen bewegen, als hätten sie ihre Gliedmaßen nicht mehr ganz unter Kontrolle. (In Thalheimers „Tartuffe“ an der Berliner Schaubühne sind alle hochgradig debil). Nebel und Theaterblut, das sich Agathe und Ännchen ins Gesicht schmieren, sind offensichtlich nicht tabu.

Nichtsdestotrotz überlebt Carl Maria von Webers wunderbare Musik und schmettern die Chöre, einstudiert von Martin Wright, einen knackigen Jägerchor. Großes Lob verdienen vor allem die beiden Damen. Anna Prohaska mit ihrem klaren Sopran singt hier kein munteres Girlie, sondern eine handfeste junge Frau.

Dorothea Röschmann als Agathe widerlegt Thalheimers strenge Vorgaben mit warmen romantischen Tönen und schöner Phrasierung. Ihr „Leise, leise, fromme Weise…“, ganz innig gesungen, wird zum Höhepunkt des Abends und sogleich mit Applaus belohnt. Zuletzt erhält sie den meisten Beifall.

Bei den Männern gefällt mir stimmlich und darstellerisch Falk Struckmann als Kaspar am besten. Burkhard Fritz als Max, der einen Jammerlappen geben muss, sind seine Qualen anzuhören. Die relativ kleinen Rollen von Fürst Ottokar und Erbförster Kuno sind mit Roman Trekel gut , mit Victor von Halem weniger gut besetzt. Den Kilian gibt Maximilian Krummen, den angeblich greisenhaften Eremiten der 31jährige Jan Martiník. In der Sprechrolle des schwarzen Jägers Samiel schleicht Peter Moltzen vom Deutschen Theater mit nacktem, blutbefleckten Oberkörper ständig durchs Geschehen.

„Ins Schwarze getroffen,“ jubelte Carl Maria von Weber nach der gefeierten Uraufführung im Jahr 1821. Danach trat sein Freischütz den Siegeszug durch die europäischen Opernhäuser an. Die jetzige Darbietung verfehlt weitgehend das Ziel. Während die Sängerinnen und Sänger und der Chor herzlichen Beifall erhalten, muss das Regieteam einige Buhs einstecken. Dass sich das Missfallen in Grenzen hält, ist wohl Carl Maria von Weber zu verdanken.

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 21., 24. und 30. Jan. sowie am 5. und 8. Februar.

 

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