Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Staatsoper: ARIADNE AUF NAXOS. Hans Neuenfels‘ Abgesang auf das eigene Regietheater

21.06.2015 | Allgemein

BERLIN / Staatsoper: ARIADNE AUF NAXOS, 20.6.2015

 Hans Neuenfels‘ Abgesang auf das eigene Regietheater: Rabenschwarze antike Tragödie, die Komödie bleibt auf der Strecke

 „Wer an das bittere Ende einer Sache gelangt ist, dem fällt die Binde von den Augen, er gewinnt einen klaren Geist und kommt hinter die Dinge, beinahe wie ein Gestorbener.“

 Hugo von Hofmannsthal (Die Ironie der Dinge)

ariadne_278
Annika Schlicht (Dryade), Evelin Novak (Najade), Camilla Nylund (Ariadne), Sónia Grané (Echo). Monika Rittershaus

 Wuchtig und bedrückend beeindruckend drehen sich die letzten 20 Minuten der Oper wie ein Sog hin zum finalen Showdown der Ariadne, die sich mit einem bronzenen Dolch, den Bacchus aus der Hermesstatue wie Siegmund sein Schwert aus der Esche Stamm zieht, final erdolcht. Es ist frappant, welche Wirkung der so neu gedeutete Text im Finale um Schmerz und Geheimnis des Todes entfaltet. Das letzte Bild der in schwarz gehüllten auf dem Boden tot liegenden Ariadne, an die sich langsam der Komponist zärtlich anschmiegt, gehören zu den stärksten Theatermomenten dieses an sich von Regie und musikalischer Umsetzung her nur teils geglückten Abends.

 Wie im Film „Shutter Island“ kippt die Wirklichkeit in der Oper auf eine von Ariadne imaginierte Ebene der Obsession, des Freud‘schen Überichs der in Treue bis an den Tod an Theseus Geketteten. Ein in schwarz-weiß gehaltenes klinisches Experiment, an dem Najade (Evelin Novak), Dryade (Annika Schlicht) und Echo (Sónia Grané) als schwarze Ariadne-Fäden spinnende Krankenschwestern in der psychiatrischen Anstalt einer in Trümmern liegenden Nachkriegsbrache walten. Also geht treue Liebe zwangsläufig schlecht aus? In der Deutung durch Hans Neuenfels ja. Kein mystisches Entrinnen in eine Erlösung, Auflösung oder apotheotische Wandlung vom Menschen hin zu einem Sternenbild. Nichts Göttlich-Tröstliches darf sich in den Zerfall Ariadnes, an ihr in Entzücken des Schmerzes begangenes Harakiri mischen.

 Obwohl Hofmannsthal zur Ideengeschichte der Ariadne den Satz von Novalis zitiert, „dass nach einem unglücklichen Krieg Komödien geschrieben werden müssen“, lässt Neuenfels genau das nicht zu. Alles, was im Vorspiel befreiendes Lachen auslösen oder in der Oper mit lustvollem Augenzwinkern ein Wettstreit der Liebesmodelle Treu-Untreu sein könnte, wirkt verkrampft und grob vom Theaterboden gefallen, wie die Ziegelsteine und Säulentrümmer, die eine Wüste Insel bilden sollen. Völlig verschenkt ist die gesamte Commedia dell‘arte Nummer des auch sanglich vortrefflichen Vierergespanns mit Harlekin (Gyula Orendt), Scaramuccio (Stephen Chambers), Truffaldin (Grigory Shkarupa) und Brighella (Jonathan Winell). Die dürfen zwar als Soldaten, Seemann etc immer in grau gewandet (Kostüme Andrea Schmidt-Futterer) in der Theorie den Gedanken der Verwandlung verkörpern, ergehen sich meist aber nur in ungelenken Verrenkungen und peinlichen Rückfällen in die tiefste Mottenkiste Neuenfelsschen Regietheaters. Hier kann natürlich auch nicht fehlen, dass diese glorreichen Vier mit umgeschnallten Gummipenissen unmotiviert durch die Gegend wacheln. Das ist schade, denn es nimmt diesem so einzigartigen endzeitlichen Kunstwerk alles an Subtilität, Finesse und wienerisch barockem Charme.

 Das Vorspiel gerät in einem eher an Ikea als an ein reiches Haus gemahnendem kargen weißen Bühnenbild mit rosa Vorhang (Bühnenbild Katrin Lea Tag) dank der grandiosen Leistung von Marina Prudenskaya als Komponisten (sie hält als einzige des Abends jeden Vergleich mit den allergrößten Interpretinnen ihrer Rolle stand) zwar zu einem flammenden Manifest der Kunst. Aber da ist nichts vom Zauber der Bretter, die die Welt bedeuten, noch das Ironisch-Brüchige der Moliere‘schen Vorlage des Bürger als Edelmann lesbar. Elisabeth Trissenaar ist in der von Neuenfels neu geschaffenen Hosenrolle des Haushofmeisters eines reichen Parvenüs eine Fehlbesetzung. Das Witzige an dieser einzigen Sprechrolle ist ja die Persiflage des Wiener Bagatelladeltums, der lächerlichen, doch stolzen Attitüde des nicht mehr gesellschaftlich Legitimierten. Trissenaar macht daraus aber eher eine operettige Zweitbesetzung des Orlovsky. Roman Trekel gibt einen untadeligen Musiklehrer im schlotternden Leinenanzug. Dem Tanzmeister des Florian Hoffmann fehlt es an Höhe.

 Camilla Nylund singt die Titelrolle lyrisch differenziert, intonationssicher und engagiert mit etwas weiß timbrierter, in der vordersten „Maske“ sitzenden Stimme. An dramatischeren Stellen fehlt ihrem Sopran die nötige Expansionsfähigkeit. Rein optisch und schauspielerisch ist sie die ganz große Klasse. Brenda Rae ist eine vom Typ und dem exakten Reproduzieren der Noten her untadelige Zerbinetta. Für meinen Geschmack und im Vergleich zu großen Vorgängerinnen ist ihr federleichter Sopran aber zu soubrettenhaft und als solcher kaum dynamisch modulationsfähig. Nach der großen Arie gab es 30 Sekunden Applaus. Roberto Saccà kommt mit der mörderisch schweren Partie des Bacchus stimmlich gut zurecht, wenngleich manchmal weniger an brachialem Stimmeinsatz ein Mehrgewinn für den Hörer wäre.

Der Dirigent Ingo Metzmacher schließlich vermag es, der Staatskapelle Berlin einen durchsichtigen farblich reich abschattierten Klang zu entlocken, wenngleich sich ein silberner Streicherklangteppich (wie etwa der Wiener Philharmoniker) nicht einstellt. Interpretatorisch vermag Metzmacher die interessantesten Akzente eher in den üppiger orchestrierten Passagen zu setzen. In den Parlando Passagen und den breiten Legatobögen fällt die Spannung manchmal ab.

 Insgesamt hinterließ der im Finale extrem spannende Musiktheaterabend gemischte Gefühle. Da vor allem die komödiantischen Elemente fehlten bzw. für mich nicht erfahrbar waren, bleibt lediglich die kathartische Erkenntnis: Lass meine Schmerzen nicht verloren sein….

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

 

 

Diese Seite drucken