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BERLIN/ Staatsoper: „AMOR VIEN DAL DESTINO“, Barock vom Feinsten

28.04.2016 | Oper

Berlin/Staatsoper: „AMOR VIEN DAL DESTINO“, Barock vom Feinsten, 27.04.2016

 

Robin Johannsen als Giuturna, Foto Thomas M. Jauk
Robin Johannsen als Giuturna, Foto Thomas M. Jauk

300 Jahre begraben und nun diese glanzvolle Auferstehung in der Staatsoper im Schiller Theater! René Jacobs, der Experte für solche Fälle, hat mit „Amor vien dal destino“ (Die Liebe kommt zum Schicksal) von Agostino Steffani (1654–1728) einen vergessenen Schatz gehoben und erweckt diese Barockoper mit Verve zu neuem Leben. Ein dreieinhalb-Stunden-Werk voller musikalischer Farbigkeit, gespickt mit schönen Melodien, von der Akademie für Alte Musik Berlin mit Können und Engagement dargeboten.

Regisseur Ingo Kerkhof lässt die Protagonisten zunächst fast wie Spieluhrfiguren agieren und das immer mit einem Augenzwinkern. Er hüllt diese antike Herz-Schmerz-Story (Text von Ortensio Mauro nach Kapiteln aus Vergils „Aeneis“) in ein locker charmantes Kleid, verlässt sich zu Recht auf die Schauspielfreude der Sängerinnen und Sänger und bewahrt so das Stück trotz der zahllosen Liebesseufzer vor peinlichen Übertreibungen.

All’ die Tragik und Tränen der jungen Leute werden zwar ernst genommen, aber doch mit gewissem Abstand betrachtet. Dafür sorgt vor allem ein schlaksiger, höchst lebendiger Amor, gespielt von Konstantin Bühler. Wenn er nicht slapstickartig herumtollt, pflanzt er unaufhörlich Halme für ein Kornfeld (Bühnenbild: Dirk Becker).

Mit flauschigen weißen Watteperücken ist die Richtung gleich vorgegeben, doch die machen bald den Frisuren über weiß geschminkten Gesichtern Platz. Ein Karneval der Liebe beginnt voller Sehnsüchte, Missverständnisse und Verzweiflung bis zu Mord- und Selbstmordgedanken. Das alles in einer zum Werk passender Bekleidung (Kostüme: Stephan von Wedel). Nichts wird in dieser Inszenierung durch die moderne Mühle gedreht. Eine gewisse Ironie genügt, um drei Jahrhunderte zu überbrücken.

Dass dieses bestens gelingt, ist in erster Linie den großartigen Sängerinnen und Sängern zu verdanken. Steffani hat Arien für alle Gemütszustände komponiert, und es sind die Damen, die sie besonders einfühlsam und mit fabelhafter Technik darbieten. Wenn im Prolog Robin Johannsen als Venere den Giove (Rupert Enticknap) mit ihrem ausdrucksreichen Sopran anfleht, ihren Sohn Enea – nach der Flucht aus dem zerstörten Troja – nicht länger über die Meere irren zu lassen, erweicht das selbst einen Gott.

Das eigentliche Stück beginnt mit dem Hochzeitstag von Lavinia, die um des lieben Friedens willen die Frau des tapferen Turno werden soll. Der ist in die Schöne total verliebt, sie aber trägt das Traumbild von Enea im Herzen und weist ihn ab.

Katarina Bradic, Lavinia, und Olivia Vermeulen, Turno, Foto Thomas M. Jauk
Katarina Bradic, Lavinia, und Olivia Vermeulen, Turno, Foto Thomas M. Jauk

Große Klasse, wie nun Katarina Bradić als Lavinia und Olivia Vermeulen als Turno ihre Positionen darlegen. Der dunkle Mezzo, eher ein Alt, von Katarina Bradić hebt sich dabei gut vom höher gelagerten, hoch hinauf reichenden Mezzo von Olivia Vermeulen ab.

Insgesamt hat letztere, durch das Geschehen bedingt, als Turno (früher eine Kastratenrolle) weit mehr Möglichkeiten, diverseste Stimmungsschwankungen überzeugend zu artikulieren. Angefangen von schwärmerischer Liebe über Enttäuschung und Zorn wegen Lavinias Weigerung bis zu wilden Racheschwüren gegenüber ihr und dem (rundlichen) Konkurrenten bringt diese glasklare Stimme alles. Jeremy Ovenden als Enea kann dabei nicht ganz mithalten. Sein Tenor lässt mitunter die erforderliche Wendigkeit vermissen. Körperlich gelingt es beiden, also Frau und Mann, diese beim sicherlich gut geübtem Degenkampf zu beweisen.

Doch eine liebt Turno von Herzen, ohne es zu zeigen: Lavinias Schwester Giuturna, Robin Johannsen in dieser Doppelrolle. Noch weit mehr Farben legt sie in ihre schöne Stimme, wenn sie sehr charmant versucht, Turno mit einem Gleichnis klarzumachen, dass sie der richtige Hafen für ihn ist.

Der kapiert aber gar nichts, der liebt die Falsche und sie den Falschen. Ein Missverständnis mit fast tragischem Ausgang verhindert darüber hinaus lange das Zusammenkommen von Lavinia und Enea, meint sie doch bei seiner Schwärmerei, sie sähe seiner eigentlichen Geliebten nur ähnlich. Eine Angebetete in Dauer-Melancholie.

Letztlich wollen die Noch-Nicht-Paare nur noch verzweifelt sterben, Lavinia und Enea sowieso, aber auch Turno, weil er Giuturna beleidigt hat. Wie Olivia Vermeulen Turnos Reue, der seine Brust zum tödlichen Stich anbietet, in fein ziselierte Koloraturen fasst, gehört zu den Höhepunkten des Abends und wird mit Zwischenapplaus (mit dem generell nicht gegeizt wird) belohnt.

Ihn mit dem von Enea ausgeborgten Degen tatsächlich zu erstechen, bringt Giuturna aber doch nicht übers Herz. Erst jetzt erkennt er, dass nicht kalte Schönheit zählt, sondern wahre Liebe. Wobei in dieser Besetzung Robin Johannsen den Vergleich mit Katarina Bradić garantiert nicht zu scheuen braucht.

Zwei jedoch finden dieses vertrackte Liebesgewusel der jungen Leute recht albern und machen ganz praktisch Nägel mit Köpfen: Gyula Orendt (Bariton) als Eneas Gefährte Corebo (später auch als Faun tätig) und Mark Milhofer (Tenor) als Lavinias Amme Nicea. Orendt turnt und flitzt über die Bühne, singt auch mal im Falsett. Milhofer gibt die Sexgeile und adretten schwarzen Kleid. Ein Buffo-Paar zum Kaputtlachen. Beide „lassen nichts anbrennen“. Später finden sie ihr Versteck im kräftig gewachsenen Kornfeld.

Dass ein Vater seine Tochter nicht aus Staatsräson zu einer Ehe zwingen sollte, lernt König Latino erst allmählich und zuletzt durch einen Traum. Mit warmem Bassbariton verdeutlicht Marcos Fink sein Schwanken zwischen Vaterliebe und der Verantwortung für sein Land. Die schließliche Entwirrung aller Liebesknoten und die bereits mit Enea geschlossene Freundschaft ermöglichen ihm, dem Gattentausch zuzustimmen.

Alles wird gut, endlich haben sich die Richtigen lieb. Nach der Weissagung sollten Lavinia und Enea die Stammeltern eines großen Reiches werden. Lavinia, noch immer etwas verstört, braucht jedoch eine Weile, ehe sie ihren Traummann anstrahlt. „Ein Bett im Kornfeld“ werden sie wohl nicht gleich aufschlagen, doch Venere (wieder Robin Johannsen) singt bereits ein himmlisches Halleluja.

Heftiger Beifall, der bei Olivia Vermeulen und Robin Johannsen zurecht um einige Phon stärker ausfällt, belohnt alle Beteiligten an dieser Barock-Delikatesse. Wie sehr René Jacobs geschätzt und diese Wiederentdeckung begrüßt wird, war ebenfalls deutlich herauszuhören. Weitere Termine: 30.04. sowie 04. und 07.05.          

Ursula Wiegand

 

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