Berlin/ Staatsballett: Ballett-Gala in der Deutschen Oper, 14.09.2013
Am 1. Januar 2004 wurde das Staatsballett Berlin unter dem Intendanten Vladimir Malakhov gegründet. Zehn Jahre – das ist ein Grund zum Feiern, hat er doch aus den jungen Damen und Herren ein exquisites Ensemble geformt und Berlin, die seinerzeit unbedeutende Ballett-Stadt, wieder ins internationale Rampenlicht gerückt. Gäste aus aller Welt besuchen die Vorstellungen. Zur gestrigen festlichen Spielzeiteröffnung 2013/14 stand „ausverkauft“ über den Kassen der Deutschen Oper Berlin.
Vladimir Malakhov in „Voyage“, Foto Bettina Stoess
Es ist ein Jubiläum mit gewisser Wehmut, denn Malakhov wird nach dieser Saison dem Staatsballett Berlin Adieu sagen. Schön, dass er bei dieser Gala noch einmal das für ihn 1992 – von Renato Zanella – geschaffene „Voyage“ tanzt.
Doch 21 Jahre sind selbst für einen Startänzer fast eine Ewigkeit, zumal Malakhov zwei Knie-Operationen hinter sich hat. Seine Bewegungen sind vorsichtiger und kleinteiliger geworden. Der starke Beifall zeigt jedoch, dass die Zuschauer sich freuen, ihn live zu erleben. Ihr Applaus würdigt seine Verdienste.
Wenn der Beifall eines offensichtlich sachkundigen Publikums ein Maßstab ist, so hat der Auftakt mit dem Klassiker „Schwanensee“ (der Walzer aus dem 1. Akt) die Zuschauer trotz Mikhail Kaniskin wenig berührt. So etwas haben alle schon zu oft gesehen.
Dagegen ruft das traurig-schöne, von Marian Walter großartig dargebotene Solo „Lacrimosa“ (von Gyula Pandi), sofortigen Jubel und Bravos hervor. Marian Walter weint, sich in Todesangst zumeist am Boden windend, mit dem ganzen durchtrainierten Körper. So gut und so ausdrucksstark habe ich ihn noch nie erlebt!
Anschließend „Paguita“, ein Pas de Trois nach Marius Pepita, mit ähnlich knapper Publikumsreaktion wie beim 1. Stück. Solch altbackene „Brocken“ im Menü scheinen trotz guter Tanzleistung nicht mehr recht zu munden.
Mit einem Rückgriff in die Klassik-Kiste können nur Zwei begeistern: Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru. Denen schlägt schon beim Betreten der Bühne Applaus entgegen. Sie zelebrieren „Don Quichotte“ nicht nur in höchster Perfektion, sondern auch mit Humor. Gefühlte Minuten kann die überaus zierliche Jana, der Liebreiz in Person, auf einem Bein Pirouetten hinzaubern.
Dinu liefert dazu seine hohen, weiten Sprünge noch dazu in der Schräglage, setzt sie ganz leise auf und erhält schon bei diesem Springen Ovationen. Eine Glanzleistung sondergleichen, mit spitzbübischem Lächeln offeriert. Das Publikum jubelt. Zu recht. Aber noch lieber würde ich ihn in einem zeitgenössischen Stück sehen, denn der kann nicht nur Akrobatik liefern, sondern auch intensiven Ausdruck.
Diesbezüglich haben – neben dem „Lacrimosa“- die vorangegangenen Choreografien bereits Maßstabe gesetzt. So das Duett „Transparente“ von Ronald Savkovic. Partner der fabelhaften Beatrice Knop ist jetzt (statt Savkovic) Leonard Jakovina.
Und das kommt an. Denn nun werden die Schwierigkeiten der Zweisamkeit, die Sehnsucht nach Liebe nicht mehr beim Spitzentanz mit flehend ausgestreckten Händen veranschaulicht. Menschliche Empfindungen verlangen heutzutage andere Formen der Darstellung.
Hier wird – ähnlich wie Duett „They“ (von Tim Plegge) – gestreichelt und weggestoßen, die Partner über den Boden geschleift und doch über imaginäre Gefahrenstellen hinweg getragen. Tanzen mit dem Einsatz aller Gefühle, oft mit Risiko. In „They“ machen das sehr eindrucksvoll Michael Banzhaf und Shoko Nakamura. Erstaunlich, was die Japanerin, die im klassischen Tanz sehr unterkühlt wirkt, jetzt an Gefühlen herzeigen kann.
Nach der Pause dann drei Berliner Erstaufführungen, so „Heute ist das Gestern von Morgen“ (von Raimondo Rebeck). Ein intelligenter Titel, der durch die Tanzleistung von Krasina Pavlova und Arshak Ghalumyan ebenso klug belegt und belebt wird.
Die auch choreografisch begabte Tänzerin Xenia Wiest vertraut ihr Duett „Augenblick“ ihren Kollegen Elisa Carrillo Cabrera und Mikhail Kaniskin an. Die Frau anfangs als Scherenschnitt, später als geschmeidige, ausdrucksreiche Partnerin. Ein interessanter, gut gebrachter Ansatz einer schnell endenden Zweierbeziehung.
Vladislav Marinov in „Ballet 101“, Foto Bettina Stoess
Zum lustigen Höhepunkt wird das „Ballet 101“ (von Eric Gauthier). Doch das ist beileibe kein fertiges Ballett, sondern eine Summe verschiedenartigster gymnastischer Posen und Übungen, die ein Tänzer absolvieren oder beherrschen muss.
Der Humor begabte Vladislav Marinov macht tatsächlich in schneller Folge 101 Übungen, die eine Stimme vom Band einfordert. Er tut es erst der Reihe nach, dann auf plötzlichen Zuruf. Viele Minuten lang, oft grinsend und ohne ein Zeichen von Ermüdung. Bravo brüllen die amüsierten Zuschauer. Hut ab!
Deutlich tragischer dann der schon bekannte Pas de Deux „Hermann Schmermann“ (von William Forsythe). Wenn nun eine außergewöhnlich biegsame Tänzerin die ersten Takte in Bewegungen umsetzt, ist sofort klar, wer das ist: die bewundernswerte Nadja Saidakova. Als ihr Partner agiert, später wie sie im gelben Südseeröckchen, Federico Spalitta.
„Ballet Imperial“ mit Shoko Nakamura, Foto Bettina Stoess
Zuletzt wird’s wieder märchenhaft-klassisch. Beim „Ballet Imperial“ (von George Balanchine) bevölkern 31 Tänzerinnen und Tänzer die große Bühne. Die Damen in wippenden Glitzerröckchen, die Herren in bestickten Brokatwesten. Alles glamourös und alles wie gehabt.
Auch Shoko Nakamura tanzt nun wieder – zusammen mit Wieslaw Dudek – wie gewohnt, unglaublich perfekt und trotz ihres Lächelns wie unbeteiligt. Jetzt zählt nur Ausdauerleistung, nicht Gefühl, was eher dem Stück als ihr anzulasten ist.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Robert Reimer legt sich bei diesem Tschaikowsky-Konzert für Klavier (Solistin Alina Pronina) besonders ins Zeug, untermalt versiert diesen ausgedehnten Tanzbein- und Farbenrausch. (Bei den modernen Stücken kam die Musik vom Band).
Doch die glamouröse Kaiser- oder Zarenzeit ist vorbei, und nur das Glitzern von gestern ist gerade für ein Staatsballett in Berlin zu abgegriffen. Das wurde zu spät erkannt. Immerhin – das Publikum klatscht intensiv und belohnt damit alle Beteiligten.
Ursula Wiegand