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BERLIN: RAPPRESENTATIONE di ANIMA et di CORPO“

18.06.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin, Staatsoper: „RAPPRESENTATIONE di ANIMA et di CORPO“, 17.6.2012


Johannes Weisser (Corpo) und Ensemble. Foto: Hermann und Clärchen Baus.

Auch im 20. Jahr seiner Gastspiele an der Staatsoper, jetzt im Schillertheater, schafft es der Barockexperte René Jacobs, erneut zu verblüffen und diesmal ein fast völlig unbekanntes Werk zu präsentieren. Sein Titel in deutscher Übersetzung lautet: „Das Spiel von Seele und Körper“.

Bei diesem Stück hat sich allerdings Jacobs selbst gefragt, ob es „eine Oper, ein Oratorium oder vielleicht doch etwas anderes, dazwischen liegendes“ sei. Da das im Heiligen Jahr 1600 uraufgeführte Werk Szenen und Tanz bietet, aber keine gesprochenen Dialoge enthält, hat Jacobs nach eigenen Worten nichts dagegen, es eine Oper zu nennen. Aus der deutlich längeren Partitur hat er eine kurzweilige 90-minütige Aufführungsfassung entwickelt und bringt sie mit der Akademie für Alte Musik Berlin zum Funkeln.

Eigentlich gilt Monteverdi als Vater der Oper. Sein L’Orfeo erblickte aber erst 1607 das Licht der Welt. Jetzt lernen wir, dass auch ein Monteverdi das Rad nicht erfunden hat, sondern Vorgänger hatte, beispielsweise Emilio de’ Cavalieri, den Komponisten dieses Werkes.

Wie dem auch sei. Zusammen mit Achim Freyer – verantwortlich für Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzeption – wird dieser Abend zu einem klangreichen, bildmächtigen und durchaus spannenden Spektakel.

Trapezförmig schiebt sich der Bühnenboden Richtung Zuschauer. An beiden Seiten kauern und stehen Gestalten in dunklen Mänteln und schwarzen Hüten. Die Finger stecken in weißen Handschuhen, die ihre puppenhaften Gesten unterstreichen. In diesen Kostümen stecken die Mitglieder der fabelhaft singenden Chöre, einstudiert von Frank Markowitsch.

Insgesamt suggeriert dieses Bild das „finstere Mittelalter“, die Zeit vor der Reformation. Inzwischen hat aber die Gegenreformation wieder die Oberhand gewonnen. Also Schluss mit Martin Luthers „Freiheit des Christenmenschen“ und zurück zum kirchenkompatiblen Katholiken, der aller Sinneslust, wenn auch ungern, entsagt, um seine Seele vor dem ewigen Höllenfeuer zu retten.

Nur die späteren Himmelsfreuden zählen, nur sie sind erstrebenswert. (Wie praktisch für die Herrschenden. Die hungernden und geschundenen Untertanen sehen ihre Leiden als Eintrittsbilletts fürs Paradies).

Das (damals) kurze Leben nicht zum Sündigen zu nutzen, mahnen Tempo (die Zeit) und Consiglio (der Ratgeber) in Bänkelsängermanier, beide überzeugend gesungen und gestaltet von Gyula Orendt. Ebenso eindringlich empfehlen jedoch Intelletto und Piacere, von Mark Milhofer bestens interpretiert, in der ohnehin knappen Zeit lieber das Leben zu genießen.

Corpo, der Körper, dem Johannes Weisser seine schöne volle Stimme leiht, peinigt sich selbst mit Pfeilen im Leib wie der gemarterte Hl. Sebastian, nur um seine Begierden zu zügeln und allen Versuchungen zu widerstehen. Am deutlichsten werden diese von Luciana Mancini verkörpert, der in schriller Eleganz gekleideten Vita mondana. Doch das alles ist nur eitler Tand. Als ihr das Kostüm vom Leibe gleitet, steht dort, umgeben von roten Höllenschwaden (Licht: Olaf Frese), ein Totengerippe.

Anders Anima, die in Unschuldsweiß agierende Seele. Marie-Claude Chappuis singt diese Rolle tatsächlich mit Seele, hat stimmlich bereits die Himmelshöhen erklommen. Auch dann noch, als selbst sie in ein mausgraues Büßergewand schlüpfen muss. Das klingt spartanisch, doch die Szene ist in ständiger Bewegung, zumal die guten und die bösen Einflüsterer eigene Mannschaften aufbieten, wie Schutzengel und Himmelsstimmen, bzw. Gehilfen der Verführer sowie eine verdammte Seele.

Doch einige Regieeinfälle sorgen dafür, die Ermahnungen zur Tugend nicht allzu wörtlich zu nehmen. Vor jedem der drei Abschnitte treten zwei Jungen des Staats- und Domchores nach vorne und schildern kurz den Inhalt. „Und nun beginnt das Spiel,“ sagen sie zuletzt und animieren die Besucher zum Hineinspazieren ins spätmittelalterliche Jahrmarktspektakel.

Also alles eine Spielerei? Vielleicht haben die Mitglieder der Bruderschaft des Heiligen Filippo Neri, in deren Räumen das Werk uraufgeführt wurde, die Doppelbödigkeit des intensiv propagierten hehren Strebens gar nicht bemerkt. Vielleicht – diesen Gedanken legt die Inszenierung nahe – ist das ganze Leben nur ein Spiel mitsamt der plakativen Paradies- und Höllenbilder, die heutzutage so fremdartig anmuten.

Dem besonderen Charme dieser fernen früheren Welt und der exzellenten Darbietung erliegen wir jedoch an diesem großartigen Abend mit Vergnügen. Die Bravos und der lang anhaltende kräftige Beifall beweisen es.

Ursula Wiegand

 

 

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