Berlin, Radialsystem: Händels „LA RESURREZIONE“ bebildert, 25.05.2012
Das Radialsystem an der Spree. Foto: Ursula Wiegand
Es war einmal – der Vatikan hatte die Aufführung von Opern verboten. Sie galten als eine zu sündige Form der Unterhaltung. Doch die Komponisten wussten sich zu helfen und boten stattdessen Oratorien. Auch der 23jährige Georg Friedrich Händel ging diesen Weg und schuf zum Osterfest 1708 das Auferstehungsoratorium „La Resurrezione“.
Das Ganze war höchst erstaunlich. Ein solches Auftragswerk für einen solch jungen Mann, dazu noch einen deutschen Protestanten! Händel hat das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht und erhielt auch erhebliche Unterstützung. Dirigiert wurde das üppig besetzte Orchester von Arcangelo Corelli, und die besten Solisten gestalteten die Gesangspartien dieser sozusagen heiligen Oper. Es muss eine prächtige Aufführung gewesen sein, dem Thema entsprechend. Der Glaube an Jesu Auferstehung von den Toten ist ja der Kern des christlichen Glaubens.
Jetzt zum Pfingstfest nähert sich das experimentierfreudige Radialsystem gemeinsam mit der renommierten Lautten Compagney Berlin dem gewaltigen Stück durchaus wie einer Oper. „Lux et terra“ lautet das Motto des bis zum 28. Mai dauernden Festivals dieser Spezialisten für Alte Musik. Während sich an den eigentlichen Opernhäusern die konzertanten Aufführungen reihen, macht man es hier umgekehrt. Wir sollen mit den Ohren sehen und mit den Augen lauschen.
Unter der engagierten Leitung von Wolfgang Katschner bringen die Instrumentalisten mit Einsatz, Seele und Könnerschaft Händels Partitur ebenso transparent wie großartig zum Klingen. Konzertmeisterin Birgit Schnurpfeil reißt die anderen mit. Insbesondere die Holzbläser und die Viola da gamba, gespielt von Ulrike Becker, dringen direkt ins Herz. Kein Verstimmen der historischen Instrumente stört diesen Wohlklang, und ihnen zuzusehen, bereitet ebenfalls Freude.
Die passend kostümierten Sängerinnen und Sänger (Ausstattung: Marion Schultheiss) versuchen nun, ihre Partien – soweit es der Inhalt des Werkes erlaubt – zu spielen. Eine zusätzliche Anforderung angesichts der oft wahnwitzigen Koloraturen, die sie bewältigen müssen. Händel hat ihnen viel zugemutet, doch alle werfen sich intensiv in diese Aufgabe.
Verantwortlich für die szenische Umsetzung des Oratoriums ist der südafrikanische (Tenor und) Regisseur Kobie van Rensburg, der ein Faible für Barockwerke besitzt. Von ihm stammen auch die Videoprojektionen, die das Geschehen zumeist „wortgetreu“ bebildern.
Den Anfang macht eine Abendmahlsdarstellung, jedoch eine mit zahlreichen Frauen. In der Tat haben sie sowohl im Libretto nach Carlo Sigismondo Capece als auch in Händels Musik die Hauptrollen inne. Beide machen zudem – was den kirchlichen Kontrolleuren wohl entgangen ist – Maria Magdalena offenbar zur echten Geliebten Christi.
Es bedarf also gar nicht des nach vorn gekippten Video-Doppelbetts mit dem kurz hinein projezierten Jesus (Lacher im Publikum), um dieses dem Text und den innigen Melodien zu entnehmen.
So wie diese Maria Magdalene klagt nur eine total Verzweifelte, die ihren heiß geliebten Mann verloren hat. Susanne Ellen Kirchesch beglaubigt ihren unendlichen Schmerz und ihren letztendlichen Jubel mit großer Innigkeit und einem klar perlenden Sopran. Eine imponierende Leistung.
Ebenso überzeugend Silvia Beltrami als Cleofe, die – laut Neuem Testament – zusammen mit Maria Magdalena der Kreuzigung beigewohnt hat. Ihre aufwändigen, langen Koloraturen meistert diese Altistin nicht nur bravourös, sondern auch wohlklingend. Völlig unverständlich, dass ihre Leistung beim Schlussapplaus nicht genau so mit einem Blumenstrauß belohnt wurde wie die von Susanne Ellen Kirchesch und Jasmin Hörner als Angelo.
Dieser weiß gekleidete Engel eröffnet das gesamte Geschehen mit vorauseilendem Jubilieren und rhythmischem Schlagen der Video-Flügel. Zwischenzeitlich ist dieser Himmelsbote ebenfalls zur Stelle, um die Handlung zu kommentieren und voranzutreiben.
Jasmin Hörner spielt ihn leicht lasziv, nicht nur beim Schmusen mit Luzifer, dem gefallenen Engel (Falko Hönisch, Bariton). Der ist, was Temperament und Stimmvolumen betrifft, ein wahrer Herrscher der Unterwelt, der sich vehement gegen sein Scheitern auflehnt.
Sehr weich dagegen und mit anfänglichen Intonationswacklern James Elliott als der Lieblingsjünger Giovanni (Johannes). Vielleicht behindert ihn seine Kostümierung, muss er zunächst doch als Blinder mit Stock und dunkler Brille auftreten. Später, als ihm der Engel die Brille abnimmt und er sehend wird, gefallen sein lyrisch samtener Tenor und seine gekonnte Phrasierung.
Schließlich räumen Kapuzenmänner die Felsen (weiße Kartons) vom Grab weg. Jesus ist auferstanden, das Grab ist leer. Durch seine Überwindung des Todes werden nun auch Adam und Eva erlöst, zwei schöne junge Sänger „oben ohne“, aber mit Apfel.
Zuletzt dienen diese Karton als Tischplatte. Früchte und Brot stehen bereit, roter Wein wird aus einer Thermokanne in Gläser gefüllt. Die Sänger prosten dem Publikum zu. Doch diese Abendmahlsvariante im Cocktailstil mit blasphemischem Touch ist keine dem Sujet angemessene Bebilderung. Schon im Verlauf des Stückes wirkte manches Detail arg simpel oder unfreiwillig komisch.
So gesehen ist das durchaus lobenswerte Experiment, dieses mehr als 300 Jahre alte Oratorium optisch in die Gegenwart zu holen, nicht überzeugend geglückt. Daher zuletzt kräftige Buhs fürs Regieteam, aber noch weit kräftigerer Beifall für die Sänger und die überaus lobenswerte Lautten Compagney Berlin.
Ursula Wiegand