BERLIN / Pianosalon Christophori – Sebastian Bohren und Thomas Hoppe spielen Schumann, Bach und Busoni, 16.3.2018
Sebastian Bohren. Copyright: Marco Borggreve
Eigentümlich bizarr und großartig zugleich, wild patiniert in die Jahre gekommen mit lockerer nonchalanter Atmosphäre, so präsentiert sich der in Wedding – in einer mit allen möglichen Klavieren und Teilen davon angeramschten Gewerbehalle – angesiedelte Pianosalon Christophori. Eine schräge Berliner Institution für Kammermusik, Liederabende, Jazz auf erstaunlich hohem Niveau. Die Eintrittskarten sind zugleich Programm, auf der Rückseite werden die Gäste und Freunde zu den nächsten Events eingeladen. Alkoholische und nicht alkoholische Getränke sind im Preis zu jeweils 25 Euro inbegriffen (Self service). Sitzplätze können unter www.konzertfluegel.com reserviert werden.
Der Abend ist ein besonderer, gibt doch der CD-Freunden längst als einer der besten und musikalischsten Geiger der jungen Generation bekannte Schweizer Sebastian Bohren eine ausgesprochene Rarität zum Besten, nämlich die zweite Violinsonate von Ferruccio Busoni in e-Moll, die dem tschechischen Violinisten und Komponisten Ottokar Novacek gewidmet ist. Gidon Kremer und Valery Afanassiev haben sie auf CD eigespielt. In den Konzertsälen fristet sie trotz der ungeheuren musikalischen Qualitäten ein Schattendasein. Sebastian Bohren und der in Berlin lebende exquisit aufspielende Pianist Thomas Hoppe setzen sich nun für diese Rarität im Brackwasser deutscher und italienischer Tradition mit großem Einsatz und Hingabe ein. Currywurst mit Orangenzesten sozusagen. Obwohl harmonische Einflüsse von Liszt bis Wagner, von Bach, Beethoven und Brahms auszumachen sind, ist dieses einsätzige 35-minütige Monster in drei Abschnitten doch eine eigene musikalische Welt, in die der Hörer mit Gewinn und Freude tauchen mag. Keine falsche Sentimentalität oder aufgeblasener Pomp trübt das formal strenge, und doch so abwechslungsreiche kammermusikalische Juwel. Auch einen kleine Reverenz an Bach ist in den Variationen zu finden. Es handelt sich um das geistliche Lied „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele“, das im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach überliefert ist, wahrscheinlich jedoch nicht von Bach selbst stammt.
Sebastian Bohren kreiert eine eigene Welt, er nimmt sofort durch einen ganz persönlichen Ton gefangen, der ganz der strengen Form und der tief empfundenen Intuition des Augenblicks geschuldet ist. Kein in glatte Schönheit nivellierte und wie Nougatpralinen einfach zu konsumierende Virtuosität ist da auszunehmen. Bohren erzählt in tausendfach variierten Bogenstrichen und einer stupenden Vielfalt an klanglichen Valeurs von absoluter Musik und ihren Möglichkeiten, direkt ins Herz menschlicher Emotionen zu tauchen. Wohlklang um jeden Preis ist überhaupt nicht das Credo dieses Magiers auf seinem Instrument, dafür jedoch eine hohe Wahrhaftigkeit im Ausdruck und eine wie improvisiert scheinende intensive Hingabe an den Augenblick. Vor der Pause spielte Sebastian Bohren (ohne Noten) die Partita II in d-Moll BWV 1004 von Johann ASebastian Bach und gemeinsam mit Thomas Hoppe die erste Violinsonate in a-Moll von Robert Schumann. Bei Schumann ist ebenso die bisweilen kühne Tongebung von Sebastian Bohren zu bewundern, da hauchen und zittern manche Töne wie Espenlaub, andere werden hart kantig angerissen und scharf akzentuiert. Sein Spiel geht ganz im romantischen Kosmos Schumanns auf. So muss diese Musik einst Joseph Joachim gespielt haben. Stilistisch ist Sebastian Bohren ohnedies ein ganz großer Meister auf seinem edlen Instrument aus dem Hause G.B. Guadagnini, Parma 1776.
Bei so viel seltenen musikalischem Glück, für welches das Publikum mit herzlichem Applaus und Bravorufen dankte, konnte auch das etwas eigentümliche Rundherum problemlos verkraftet werden. Ein grantiger Klavierstimmer, der das von einem oder mehreren Gläsern Wein und Bier bereits entspannte Publikum anherrschte, es solle gefälligst zu schnattern aufhören. Oder der dandyhafte Hausherr, ein Neurologe mit Ambition, der ganz nach Gutsherrenart die Künstler und das kommende Programm vorstellte. Umso erfrischender wirkten sodann die charmanten und klug einführenden Worte von Sebastian Bohren, der mit hinreissendem Zürcher Akzent ein packendes Plädoyer für Busoni führte. Was für ein sympathischer, uneitler Künstler und unprätentiöser Musiker. Eine seltene Lehrstunde an hingebungsvoller und individuell mutiger Interpretationskunst. Exzeptionell!
Aktuelle Tipps Sebastian Bohren:
Ein von SONY digital veröffentlichtes Live-Album mit Werken von Pēteris Vasks und Gya Kancheli.
Eine herausragende Einspielung der drei Streichquartette von Robert Schumann (Sebastian Bohren als Teil des Stradivari Quartetts) ist soeben bei RCA Red Seal erschienen.
Dr. Ingobert Waltenberger