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BERLIN / Philharmonie: Szenischer Barockmusikabend mit Joyce DiDonato. In Krieg und Frieden – Harmonie durch Musik

31.05.2017 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Philharmonie: Szenischer Barockmusikabend mit Joyce DiDonato; 30.5.2017

In Krieg und Frieden – Harmonie durch Musik

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„Mit Händel, Purcell und anderen Meistern an meiner Seite lade ich Sie ein, einen Blick zu werfen auf die ineinander verstrickten Welten äußerer Konflikte und innerer Gelassenheit, Krieg und Frieden – und für sich zu entscheiden, wo Sie selbst sein möchten. Letztlich habe ich in dieser Musikauswahl zu vermitteln versucht, dass es letztlich jeder von uns in seiner Macht hat, die Treppenstufen zum Frieden tapfer hinaufzusteigen.“ Joyce DiDonato

In einem wahrlich düster nebligen Ambiente (Manuel Palazzo Choreografie und Tanz; Ralf Pleger Regie; Henning Blum Lichtdesign; Yousef Iskandar Videodesign) hat sich die wunderbare Mezzo (Anti-) Diva Joyce DiDonato die schönsten Arien von Henry Purcell, Georg Friedrich Händel und Leonardo Leo für einen kontrast- und geistreichen, aber auch sinnlich umwerfenden Abend ausgesucht, um nicht nur Musik, sondern auch die ihr inne wirkende Botschaft mit Licht und Tanz ausstaffiert zu vermitteln. 

Wie schon auf ihrer Programmarien-CD „In War&Peace“ zeigte die sympathische amerikanische Mezzosopranistin die überraschende Nähe dieser Musik zu unserer kontroversen und zunehmend auf Konflikt ausgerichteten Zeit. DiDonato hatte folgerichtig auch eine politische Botschaft mit sich gebracht, die sie in einer langen Ansprache am Schluss des bejubelten Auftritts unter großem Beifall des Publikums vermittelte. Nach den Medienberichten der letzten Zeit (Anm.: über das G7 und das Nato-Treffen) sei es ihr ein Anliegen, jenen eine Stimme zu geben, die nach Versöhnung und Handreichen, Schönheit und Harmonie streben und nicht Zwietracht säen und polarisieren. Gerade Berlin ist deshalb symbolisch so wichtig, wo sich doch die dt.-amerikanischen Beziehungen rasant eintrüben. 

Zurück zum Konzert: Natürlich kann man fragen, ob es nicht gereicht hätte, die Musik als Botschaft ohne das wahrscheinlich marketinggetriebene Rundherum mit eher kargen Lichteffekten und einem Tänzer mit Rock und nacktem Oberkörper aufzuführen. Oder auch, ob die durchwegs kammermusikalische Besetzung (17 Musiker plus Cembalo und Dirigent in Personalunion) plus Singstimme nicht einen intimeren Rahmen gebraucht hätten, um atmosphärisch optimal zu funktionieren. Auch die Akustik des Saals spielte am Anfang nicht alle „Stückln“. Sei es wie es sei, musikalisch war der Abend jedenfalls ein Hochamt des Gesangs, mit einer der herrlichsten Stimmen der Gegenwart, der alles, aber auch wirklich alles gelang. Joyce DiDonato, die in prächtigen anthrazitfarbenen und silbernen Tüllkleidern auch visuell entzückte, stellte im ersten Teil des Programms (Krieg) fünf Heldinnen vor, „denen es nicht gelingt, die Treppenstufen zum Frieden hinaufzusteigen, denn sie sind in todbringende Konflikte verstrickt“, wie Karl Böhmer in seinem informativen Aufsatz im Programmheft weiß. 

Die Ehefrau des biblischen Feldherrn Jephtha aus Händels gleichnamigem Oratorium setzt den Anfang. Noch bevor Jephtha für Israel in die Schlacht zieht, wird sie in ihrer dramatischen Arie „Scenes of horror, scenes of woe“ von düsteren Träumen gequält. Zwar wird ihr Mann als Sieger heimkehren, aber zu welchem Preis? Er muss Gott das erste Wesen opfern, das ihm nach dem Sieg begegnet: seine eigene Tochter Iphis. In Leonardo Leos Arie „Prendi quel ferro, o barbaro!“ aus der Oper „L‘Andromaca“ durchleidet Andromache, die Witwe des Hektor, die ihren kleinen Sohn Astyanax den blutrünstigen Griechen ausliefern oder ihren Feind Pyrrhus heiraten soll, alle inneren Konflikte, die mit solch einer Konstellation einhergehen. Die vielleicht berührendste Arie vor der Pause war das Rezitativ und der Klagegesang  der Dido aus dem dritten Akt „Thy hand, Belinda, When I am laid in earth“ aus  Henry Purcells „Dido und Aeneas“. Aber auch der junge Georg Friedrich Händel zeigt mit der Arie der Agrippina aus dem zweiten Akt „Pensieri, voi mi tormentate“ aus der Oper „Agrippina“ , dass „er sich auf die Kunst der herzzerreißenden Dissonanzen ebenso verstand wie Purcell,“ auch wenn es um die skrupellose und intrigante römische Kaiserin Agrippina ging. Das letzte Highlight vor der Pause stellte die berühmte Arie der Almirena aus Händels „Rinaldo“ „Lascia, ch‘io pianga, mia cruda sorte“ dar, die DiDonato mit beispielhafter Legatokultur und großer Innigkeit interpretierte. Die Instrumentalnummern vor der Pause waren die Sinfonia aus der Oper „Rappresentatione di Anima e di Corpo“  von Emilio de‘ Cavalieri, die Chaconne in g-Moll von Henry Purcell für drei Violinen und Basso continuo sowie das Responsorium zu sechs Stimmen „Tristis est anima mea“ von Carlo Gesualdo di Venosa.

Der zweite Teil war Gesängen des Friedens gewidmet. Den Anfang machte Joyce DiDonato hier mit dem Lied der Orazia „They tell us that you mighty powers above“ aus Henry Purcells unvollendeter Oper „The Indian Queen“. Darauf folgte eine der schönsten Naturarien, die Händel geschrieben hat: „Chrystal streams in murmurs flowing“ aus dem Oratorium „Susanna“. Dass Händel sich auf  Naturidyllen verstand, bewies er auch mit der Arie der Almirena aus seiner Oper „Rinaldo“ „Augeletti, che cantate“. Der Gesang der Vögel wird durch Blockflöten imitiert, und zwar eine ganz hohe flageoletto für die Nachtigall und zwei Altblockflöten für die weniger aufregend trällernden Amseln. Zum Schluss imponiert DiDonato nochmals mit Hochvirtuosem, und zwar der Arie der Cleopatra „Da tempeste illegno infranto“ aus dem dritten Akt der Oper „Giulio Cesare in Egitto“ von Georg Friedrich Händel. Das Intermezzo ist dem Antifon „Da pacem, Domine“ von Arvo Pärt gewidmet. 

Als Zugabe singt Joyce DiDonato „Morgen“ von Richard Strauss. Wir sollen uns nach DiDonatos berührenden Schlussworten jeden Tag darüber freuen, dass die Sonne aufgeht und nicht auf unsere positive Haltung dem Leben gegenüber vergessen. Was für eine schöne Botschaft an diesem außergewöhnlichen Abend. 

Das Ensemble Il pomo d’oro unter dem russischen Dirigenten Maxim Emelyanychev begleitete umsichtig, feinnervig und idiomatisch nach allen Künsten der Originalklangbewegung. Am Schluss Riesenapplaus, Jubel und Standing Ovations

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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