Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN / Philharmonie: SILVESTERKONZERT

 
Foto: Monika Rittershaus

Berlin / Spanisch inspiriertes Silvesterkonzert
mit Daniel Barenboim,, 29.12.2018

An diesem Jahresschluss dirigiert Daniel Barenboim, Chef der Staatskapelle Berlin, die drei Silvesterkonzerte in der Berliner Philharmonie. Simon Rattle ist weg, Kirill Petrenko noch nicht da. Also macht das der welt- und gut bekannte Nachbar Daniel Barenboim, der im Juni 1969 erstmals die Berliner Philharmoniker dirigiert hatte. Das gegenseitige Kennen und Schätzen reicht sogar noch weiter zurück: am 12. Juni 1964 gastierte der 21jährige Daniel zum ersten Mal bei den Berliner Philharmonikern als Solist mit Béla Bartóks Erstem Klavierkonzert.

Jetzt ist Barenboim 76, und noch immer huschen seine Finger flink über die Tasten. Regelmäßig spielt er im Pierre Boulez Saal, neulich einige Beethoven-Sonaten, und mit denen geht’s im Februar weiter. Schon im Januar ist dort – mit dem kürzlich von ihm gegründeten Trio – Mozart an der Reihe.

Dessen „Konzert für Klavier und Orchester D-Dur“ KV 537, auch „Krönungskonzert“ genannt, bildet nun den Auftakt dieses Silvesterkonzerts jenseits von Beethovens Neunter. Gut so, ist doch das „Alle Menschen werden Brüder“ heutzutage noch unrealistischer, als es schon zu Schillers Zeiten der Fall war. Versuchen wir also, das Schlimme auszublenden und fröhlich mit Mozart, Ravel und rasanten spanischen Klängen das alte Jahr zu verabschieden und ins nächste hineinzufeiern.  

Dieses Mozart-Werk von 1788 gilt als Nachzügler der 12 zwischen 1784-86 komponierten Klavierkonzerte. Barenboim spielt es mit verkleinerter Orchesterbesetzung, dirigiert den Anfang noch stehend, doch alles weitere nach Kapellmeisterart vom Flügel aus, so wie es damals in Wien (und nicht nur dort) üblich war. Fein und heiter perlen die Melodien vom Pianissimo bis zum kräftigen Zugriff.

Auffallend ist die Wiederholung von Tönen und Tonfolgen im ersten Satz, was sogleich als Hinweis auf den Ravels „Bolero“ am Konzert-Ende gedeutet werden kann. Nach dem romantisch klingenden zweiten Satz schließt dieses Klavierkonzert mit einem tänzerischen Rondo, mit dem Mozart zuletzt nochmals als Pianist glänzen wollte. Auch Barenboim kriegt das hin, und heftiger Beifall belohnt ihn dafür.

Was aber haben Mozart und Ravel mit dem Spanischen gemein? Dazu ist ein Um-die-Ecke-Denken nötig. Maurice Ravel schwärmte für Mozart und sah in ihm sein großes Vorbild, während seine Zeitgenossen ihn als zu leichtgewichtig empfanden. Ravels Satz, dass ein Konzert nicht unbedingt tiefgründig sein und dramatische Effekte haben müsste, sondern „heiter und brillant sein kann“, könnte auch von Wolfgang Amadeus stammen.

Den Faden zur Iberischen Halbinsel knüpfte indirekt Ravels Mutter, eine Baskin, die der Vater in Spanien kennen gelernt hatte. Sie brachte den Hit „Habanera“ von dort nach Frankreich mit. Ravel fügte es abgewandelt als 3. Satz in sein erstes großes Orchesterwerk ein, die „Rapsodie espagnole”.

Auch mit den Sätzen Malagueña und Feria (Jahrmarkt) kommt Ravels Rapsodie, wenn auch raffiniert impressionistisch eingefärbt, generell Spanisch daher, zumal Barenboim und die Berliner Philharmoniker – nun großer Besetzung – dieses Werk in allen Klangfarben durch den Saal schillern lassen. Alles wird aufgeboten, was nun doch Effekt macht, die Streicher, eine stattliche Bläserschar durchmischt von Celesta und 2 Harfen plus Schlagzeug.

Danach zwei kurze Silvesterhappen, beide in Orchesterfassung: Das tänzerische „Alborada del gracioso”, das mitunter orientalisch getönte, durch Gitarren-Imitationen sowie mit Tamburin- und Kastagnettenklängen angereicherte Morgenlied eines Narren, gefolgt von der „Pavane pour une infante défunte“, einer träumerisch eleganten, hoheitsvoll schreitenden und gar nicht trauervollen Erinnerung an eine verstorbene Infantin.

Nun aber der Hauptgang, der Höhepunkt, auf den alle warten – Ravels „Boléro“. Barenboim hält sich anfangs merklich zurück, er weiß, die Berliner Philharmoniker können das bestens. Genau wie das Publikum schaut und hört er konzentriert zu, wie die Grundmelodie tonschön weitereicht wird von einem Bläser oder einer Bläserin zum/zur nächsten. Zumeist markiert Barenboim nur die Übergänge.

Aus dem Pianissimo entwickelt sich sehr subtil und fein abgestuft das wohl berühmteste Crescendo überhaupt. Erst zuletzt, vor dem Harmoniewechsel und dem schrill explodierenden Schluss greift Barenboim mit exzessiver Gestik und Körpersprache ein. Mit „Standing Ovations“ werden er und die Philharmoniker gefeiert. Auch Barenboim selbst klatscht den Instrumentalisten Beifall, ruft sie alle nach und nach lobend auf.

Mit einer Charme-Offensive serviert er nun bestgelaunt ein reichhaltiges, nicht im Programmheft erwähntes „Carmen“-Dessert. Den Taktstock lässt er beim Auf und Ab zwischen Verbeugungen und Abgängen gleich unterm Pult des ersten Geigers (Daishin Kashimoto!). Zu allerletzt und zum Mitklatschen das „Auf in den Kampf, Torero!“ Stolz in der Brust, siegesbewusst, ist zwar vermutlich niemand, doch sicherlich hoch zufrieden mit diesem Spanisch inspirierten Silvester-Menü.

Ursula Wiegand

 

Diese Seite drucken