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BERLIN/ Philharmonie: SILVESTERKONZERT mit Daniil Trifonov – der auf den Tasten tanzt –

31.12.2016 | Konzert/Liederabende

Berlin/Philharmonie: SILVESTERKONZERT mit Daniil Trifonov – der auf den Tasten tanzt – 30.12.2016

Silvesterkonzert, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle und Daniil Trifonov, Foto  Stephan Rabold
Silvesterkonzert, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle und Daniil Trifonov, Foto Stephan Rabold.

Seinetwegen bin ich gekommen, wegen Daniil Trifonov, Solist beim Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle. Warum ist dieser 25Jährige russische Pianist inzwischen in aller Munde, wird er nur von den Medien hochgejubelt? Ist er vielleicht nur ein supervirtuoser Schaumschläger? Nein, nichts läge ihm ferner als das.

Zum Anfang des Konzerts ein Muntermacher:  die „Ouvertüre zur Oper Colas Breugnon“ von Dmitri Kabalewsky (1904-1987), ein hier weitgehend unbekannter Komponist, der aber in seiner Heimat laut Programmheft geschätzt wird. Ein voluminöses Stück ohne Dissonanzen mit Krach-Bumm-Ende , dessen knackige Rhythmen Simon Rattle mit sichtlichem Spaß ebenso dirigiert. Diesen Tempo-Fitness-Auftakt können selbst die trainierten Berliner Philharmoniker gut gebrauchen.

Denn nun setzt sich Daniil Trifonov an den Flügel und vergräbt sich 40 Minuten lang ohne aufzuschauen in die Musik. Es geht um Sergej Rachmaninows unglaublich schwieriges „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll“ op. 30, eines der anspruchsvollsten für Pianisten überhaupt.

Der langsame gesangliche Beginn ist Rachmaninows totale Täuschung, denn dann geht es los mit den rasanten, hals- und fingerbrecherischen Akkorden. Trifonov, der sich schon bei der fein differenziert gestalteten Einleitung über die Tasten gebeugt hat, taucht nun noch tiefer ab, widmet sich – selbstverständlich auswendig spielend – nur der Partitur.

Der Tanz auf den Tasten wird jedoch nicht zur Show, jegliche Oberflächenbrillanz ist dem jungen Ausnahme-Künstler fremd.  Aus der Melodik ins Beinahe-Chaos, so ist es komponiert, so spielt er es, aber andererseits so, wie es nachweislich Rachmaninow selbst getan hat, nämlich filigran und ohne süßliches Schwelgen, wie es später längere Zeit Mode war. Trifonov ist nicht nur ein Superstar – er ist ein Super-Musiker! Und er bringt auch die ursprüngliche, äußerst schwierige Kadenz, die Rachmaninow später entschärft und gekürzt hatte.

Überhaupt gibt der junge Totalmusiker die Gangart vor. Bei seinen Solo-Partien schaut ihm Rattle fasziniert zu, und in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal wagt niemand zu husten. Trifonov guckt nicht hoch, um seine Einsätze mit Rattle abzustimmen. Nein, der und die Philharmoniker müssen ihm folgen und haben damit im ersten Satz mitunter einige Mühe. Manchmal wird der Orchesterklang im Eifer des Gefechts auch zu massig, doch der junge Meister behält stets die Oberhand, springt auch einige Male vom Stuhl hoch, um bestimmten Akkorden mit seinem Körpergewicht noch mehr Nachdruck zu verleihen.

Wie sehr er diesem Stück auf den Grund geht, zeigt sich im Adagio. Jeder einzelne Ton kommt singend zum Tragen, auch Scherzhaftes wird mit sichtlicher Lust präsentiert. Der Übergang vom Zarten zum eisenhart Kraftvollen ist pianistisch atemberaubend, nur das Orchester tut vor Begeisterung zuviel des Guten.

Schon vor Beginn des Final-Satzes rinnen dem schlanken Pianisten die Schweißperlen über die Nase. Bei dieser letzten unerhörten Anstrengung tropft es auch aus den Haaren. Er wischt sich nicht die Stirn, es kümmert ihn nicht. Voll konzentriert und nie schwammig bringt er „sein Stück“ treffsicher  ins Ziel. Die Zuhörer springen auf zu „standing ovations“, und Trifonov beweist mit der „Vergessenen Melodie“ von Nicolai Medtner als Zugabe, dass er auch kristallklar mit samtig kitschfrei kombinieren kann. Seinen Rachmaninow werden viele Musikfreunde garantiert nicht vergessen!

Eigentlich soll man/frau gehen, wenn es am schönsten ist/war. Als Berichterstatterin bleibe ich brav, doch wirklich gelohnt hat sich der silvestrige Rest für mich jedenfalls nicht. Weder die 5-minütigen „Orchesterstücke aus Façade“ des Briten William Walton, die Rattle zu einer Suite zusammengestellt hat.  Der britische Humor, der darin enthalten sein soll, ist mir nicht greifbar geworden und den Instrumentalisten auch nur in Maßen.

Anschließend noch 3 ausgewählte „Slawische Tänze op. 72“ von Antonín Dvořák mit passendem Schwung und Silvester-Schmackes. Das haben die Philharmoniker drauf, genau wie den „Galopp“ von Kabalewsky, einen Knaller, den Rattle vorab als  „Zirkusmusik“ bezeichnet hatte.
Zuletzt, von Rattle als „The same procedure as every year” angekündigt: Brahms Ungarischer Tanz Nr. 1 g-Moll. Hierbei schwelgen Rattle und die Seinen zu Recht, diese Musik versöhnt – pardon – mit der vom Programm her schwächlichen zweiten Halbzeit.

Ursula Wiegand
Nochmals heute, und live übertragen ab 17.25 Uhr in der ARD !

 

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