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BERLIN/ Philharmonie: MIDNIGHT SUN. Musik aus Europas Norden begeistert das Publikum. Uraufführung

27.06.2019 | Konzert/Liederabende


Kristjan Järvi dirigiert Midnight Sun, Foto BMEF/ Peter Adamik

Berlin / Philharmonie: „MIDNIGHT SUN“, Musik aus Europas Norden begeistert das Publikum. Uraufführung am 26.06.2019

So etwas hat Seltenheitswert, zumindest in der Berliner Philharmonie. Ein großes, jugendfrisches, mulinationales Orchester beschwört mit Hingabe die fabelhaften Mitsommertage in Europas hohem Norden, an denen die Sonne auch nachts nicht untergeht, was alle Lebewesen elektrisiert. Durch wechselnde Beleuchtung wird versucht, das auch optisch zu vermitteln.

Doch das ist nicht alles. Unter der Leitung von Kristjan Järvi spielen die Musikerinnen und Musiker des von ihm gegründeten Orchesters Baltic Sea Philharmonic das ganze, fast zweistündige Konzert komplett auswendig.

„Beim Auswendigspielen geht es um Chemie und Kommunikation“, sagt Järvi. Auswendig zu spielen intensiviert die Verbindung zwischen den Musikern, bringt sie näher zusammen und ist Ausdruck der Mission des Baltic Sea Philharmonic, Menschen in der gesamten nordischen Region zu vereinen.

Tatsächlich haben diese jungen, superfitten Künstlerinnen und Künstler die Musik in ihren Köpfen und Herzen und verströmen eine Lebendigkeit, die sofort auf das Berliner Publikum überspringt. Auswendiges Spielen von einem Konzert-Ensemble habe ich bisher nur bei Teodor Currentzis und seinem Klangkörper „MusicAeterna“ erlebt.  

„Midnight Sun“ ist keine Sinfonie, sondern eine mit feinem Gespür von Kristjan Järvi erstellte Zusammenfassung von Stücken verschiedener Komponisten, von denen die meisten aus Nordeuropa stammen. Doch auch zwei andere passen bestens in diese gelungene Mixtur: der deutsch-britische, in Berlin lebende Komponist Max Richter mit „Dona Nobis Pacem“ und Igor Strawinsky mit seinem weltbekannten „Feuervogel“.

Auch der wird nun in den Norden versetzt, wo die Mitternachtssonne die Natur fast explodieren lässt. Hier ein Wispern, dort lautes Vogelgeschrei – alle Tiere melden sich zu Wort. Das ist in diesem Konzert deutlich vernehmbar und besitzt etwas Magisches. Wer einmal zu dieser Jahreszeit dort war, hat diese Laute sicherlich noch im Ohr.

Der finnische Komponist Einojuhani Rautavaara hat für seinen „Cantus Arcticus, ein Konzert für Vogelstimmen und Orchester“, vorab sogar die Vogelgesänge im Polarkreis aufgenommen, die in den Sumpfgebieten von Liminka im Norden Finnlands zu hören sind.

Auch die Frösche, das Summen von Insekten und manch geheimnisvolle Laute meine ich zu vernehmen. Um die Artenvielfalt im hohen Norden müssen wir uns wohl noch keine Sorgen machen. Auch hat sich keiner der agressiven Vögel von Herrn Hitchcock in den hohen Norden verirrt. In diesem Konzert wirkt alles wunderbar friedlich.  


Mari Samuelsen, Solistin bei Mdnight Sun, Foto BMEF/ Peter Adamik

Den Anfang macht Järvis eigene Komposition „Aurora für Violine und Orchester“, ein minimalistisch-schwebendes Stück, das die norwegischen Geigerin Mari Samuelsen mal mit zartem, mal mit festem Strich überzeugend interpretiert.

Angemerkt sei, dass der Aurora Borealis – dem Nord- oder Polarlicht – angeblich etwas Animierendes innewohnt. Daher reisen japanische und chinesische Paare im im dunklen Winter gerne in den hohen Norden in der Hoffnung, dass ein beim Polarlicht gezeugtes Kind besonders schön, begabt und glücklich wird. – Tatsächlich umgibt die Aurora Borealis etwas Geheimnisvolles, und das weht auch durch einige der Kompositionen, die an diesem besonderen Abend in der Berliner Philharmonie zu hören sind.

Anderes ist beim Letten Pëteres Vasks (geb. 1946) heraushörbar – die Unterdrückung in der Sowjetzeit und die Selbstrettung durch die Musik. „Ich brauchte meine Musik zum Überleben. Komponieren war ein geistiger Kampf gegen ein idiotisches System. Ich war frei nur in der Musik, “ so seine Worte. Seine Komposition „Lonely Angel für Violine und Orchester“ greift das auf. Auch dabei ist Mari Samuelsen voll engagiert zur Stelle.

Und ebenso bei „Fratres für Violine, Streichorchester und Schlaginstrumente“ von Arvo Pärt (geb. 1935), komponiert 1977. Gerade er, Estlands bedeutendster und bekanntester Komponist, darf in diesem Konzert nicht fehlen. Der sich ständig wiederholende Dreiklang, von ihm als Tintinnabuli-Stil (Glöckchen-Stil) bezeichnet, durchzieht einprägsam den großen Saal.


Mick & Angeelia Pedaja, Foto BMEF/ Peter Adamik

Doch Estlands Musik entwickelt sich weiter, und das zeigen die Stücke des jungen preisgekrönten estnischen Sängers und Song-Schreibers Mick Pedaja, der zusammen mit Angeelia Pedaja das Lied „Valgeks“ (hin zu Licht) mit einer sehr suggestiven Stimme singt. Jetzt ist auch Rock-Rhythmus angesagt, nun kommt Munterkeit und eine neue Stimmung auf.

Die Musiker/innen auf der Bühne und auch Menschen im Publikum swingen mit. Beim letzten Stück, dem estnischen Volkslied „Arg Kosilane“ mit der Violionstin Saimi Kortelainen als Vorsängerin, steigt die Stimmung noch weiter an. Danach anhaltender Jubel in der Philharmonie. „Dieses Konzert würde ich gerne noch einmal hören“, sagt mein 16-Jähriger, Schlagzeug spielender Begleiter und ist damit sicherlich kein Einzelfall.

Dieses inspirierend neue Konzert, das in Berlin bestens angekommen ist, wird vermutlich auch anderenorts begeistern. Die nächsten Stationen und Termine sind am 29. Juni in Ossiach / Österreich und dort im Alban Berg Konzertsaal der Carinthischen Musikakademie, sowie am 2. Juli in der Hamburger Elbphilharmonie. Dieses Konzert war innerhalb von 11 Minuten ausverkauft. 

Das nächste Projekt ist bereits fest eingeplant: die „Divine Geometry“-Tour. Die startet am 20. September bei  den  Meraner Festwochen und erlebt am 21. September beim Usedomer Musikfestival im Kraftwerk Peenemünde ihre Deutschlandpremiere. Zu hören ist dann Steve Reichs neue Komposition „Music for Ensemble and Orchestra“. Auch das dürfte spannend werden.  

  Ursula Wiegand

 

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