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BERLIN/ Philharmonie: FAUSTISCHES VON WAGNER UND LISZT: MUT ZU PATHOS, BITTE!

BERLIN: Philharmonie Faustisches von Wagner und Liszt: Mut zu Pathos bitte! 29.11.2013

Riccardo Chailly dirigierte die Berliner Philharmoniker, Nikolai Schukoff war der tenorale Held im abschließenden Chorus mysticus.

 Unbenannt

Liszt gilt es immer wieder neu zu entdecken. Wie bei einem alten Bordeaux kann man bei jedem Öffnen alle paar Jahre feststellen, dass die wertvolle Essenz immer besser wird. Das musikalische Genie mit ähnlich gespaltener Rezeption wie Hector Berlioz, was Stringenz und den musikalischen Gehalt seiner Kompositionen für Orchester betrifft, hat mit der Faust-Symphonie zweifellos ein Schlüsselwerk des 19. Jahrhunderts geschaffen. Wie Beethovens IX. Symphonie endet das Berlioz gewidmete Werk in drei Charakterbildern nach J. W. von Goethe in einer vokalen Apotheose. Eingeleitet durch die erste Zwölftonreihe der Musikgeschichte nimmt die subjektiv bekenntnishafte viersätzige Komposition in ihrer Originalität und dem musikalischen Höllen- und Himmelsturm bereits Gustav Mahler voraus. Nicht zuletzt deshalb gelten die beiden auf Tonträger erhaltenen Interpretationen Leonard Bernsteins als Kult.

 Der wundervoll lyrische Gretchen-Satz zwischen dolce semplice und dolce amoroso gibt den herausragenden Streichern und der Holzbläsergruppe der Berliner Philharmoniker Gelegenheit, ihr einzigartiges Können in wechselnden kammermusikalischen Formationen unter Beweis zu stellen. Das ist der musikalische Höhepunkt der Aufführung. Maestro Riccardo Chailly leitete diesen Satz entspannt und mit Mut zu lyrischer Verinnerlichung. Mit lockeren Zügeln lenkt er den Apollschen Sonnenwagen der Musen durch die Lüfte der Philharmonie. Berückend intensiv dieses schönste symphonische Liebesduett der Konzertliteratur.

 Der erste der Person des Faust gewidmete Satz folgt dem Prinzip des klassischen Sonatensatzes. Etwas kühl und vorsichtig steigt das technisch wohl beste Orchester der Welt in die Lisztschen Klangwelten. Der polierte Klang bleibt durchsichtig transparent, mischt sich aber nicht zu einem emotional konturierten Porträt der zerrissenen Leitfigur. Manches orchestrale Juwel blitzt auf und endet im Nichts, thematische Übergänge weichen schroffen erratischen Blöcken. Dem Dirigenten gelingt damit sicherlich, die Modernität der Komposition eindrucksvoll zu zeigen. Zu diesem intellektuell interessanten Ansatz hätte ich mir aber auch gewünscht, dass mir der musikalisch von Liszt so trefflich gezeichnete Charakter Fausts in Mark und Bein fährt.

 Im dritten Mephisto-Satz zitiert Liszt größtenteils Faust-Themen. Faust und Mephisto als die beiden Seiten derselben Medaille aus menschlicher Hybris, Verführung und Versuchung, Schuld und Sühne, Liebe und Tod. Mephisto erhält außerdem ein persönliches Leitmotiv, das Liszt dem Hexensabbat-Finale der Symphonie fantastique von Berlioz entnahm. Faust wird hier gleichzeitig verzerrt und persifliert. Mephistos Fluch – »Und wie es sich gehört, fluch’ ich euch allzusammen« – wird zur tragenden Idee. Von der Interpretation sicherlich am schwierigsten zu realisieren, ging dem Dirigenten gerade bei diesem Satz der Mut ab, den großen Bogen der Leidenschaften, der Abgründe und enttäuschten Hoffnungen zu spannen. Und ich widerspreche jetzt allen vehement, denen ein sogenannter „entschlackter“ Klang das wichtigste bei der Interpretation von Musik des 19. Jhdts. ist. Mitnichten, nur musikalische Akkuratesse gepaart mit echtem Pathos lässt dem Hörer die Katharsis bis hin zur Erlösung im Finale begreiflich machen. Nicht verwunderlich, ist gerade dieser Satz auch die Schwachstelle der Aufnahme der Faust-Symphonie unter Simon Rattle darstellt. Ich konnte mich ebenso bei Chailly des Eindrucks nicht erwehren, er geniert sich ein bisschen für diesen 3. Satz und will wie bloßfüßig auf glühenden Kohlen sich nur rasch auf die andere Seite hinüberretten.

 Liszt lässt das Werk positiv mit der Verherrlichung des Ewig Weiblichen enden: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis“ erklingt zur Melodie des Gretchen-Themas. Grandios singen die Herren aus dem Rundfunkchor Berlin sowie mit herrlich nuancierendem Prachttenor Nikolai Schukoff den Chorus mysticus. Der von zart schmelzend bis heldisch auftrumpfende, zu Recht ins schwerere deutsche Fach wechselnde sympathische Sänger wurde dafür zuletzt einhellig bejubelt. So lässt Riccardo Chailly den Faust Abend in Berlin doch noch in Glanz und Gloria enden.

 Der Ordnung halber sei vermerkt, dass der Abend mit einer Faust-Ouvertüre in d-Moll von Richard Wagner begann. Wagner soll dazu Liszt geschrieben haben »Sehr richtig hast Du herausgefühlt, wo es da fehlt…..Vielleicht würdest Du schnell aber mein Tongedicht verstehen; wenn ich es ›Faust in der Einsamkeit‹ nenne“. Na ja, Wagner hat schon geahnt, dass das nichts wird: Die Ouverture ist und bleibt ein zaghafter Versuch des bedeutendsten deutschen Musikdramatikers, der Höchstleistungen allein dem Wort verpflichtet schaffen konnte.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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