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BERLIN/ Philharmonie: EIN DEUTSCHES REQUIEM von Brahms unter Christian Thielemann

Berlin/Philharmonie: Christian Thielemann dirigiert Brahms’ „DEUTSCHES REQUIEM, 23.01.2015

Unbenannt
Christian Thielemann. Foto: Matthias Creutzinger

Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ – diese Startzeile im II. Chor, dieses langsame, erschütternde b-Moll-Thema, das packt und lässt Schauer über den Rücken laufen. Eigentlich müssten sich die Zuhörer angesichts dieses brutalen Hinweises auf ihr unvermeidliches Ende angstvoll ducken. In diesen Schreckensminuten wird der Anfangschor mit der Bergpredigt-Zeile „Selig sind, die da Leid tragen“ (in der „Weihnachtstonart“ F-Dur) beinahe konterkariert.

Christian Thielemann, der an diesem Abend Brahms’ Meisterwerk „Ein deutsches Requiem“ op. 45 in der Berliner Philharmonie dirigiert, bringt diesen dramatisch aufgeladenen Schlüsselsatz – und dessen superbe Harmoniewechsel nach schließlich Ges-Dur – zunächst verhalten, trumpft aber bei der Wiederholung zusammen mit den Berliner Philharmonikern und dem fabelhaften Rundfunkchor Berlin Gänsehaut erzeugend auf. In dieser Klangdüsternis hilft nur die Erinnerung an Teil II des ersten Chores und das Versprechen: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten (in Dur).

Was aber auffällt und immer deutlicher wird – Thielemann kümmert sich um jedes Detail, schlägt ständig den Takt wie ein Metronom. Befiehlt ihm das der eigene Körper, oder soll so der Rhythmus eines schlagenden Herzens nachgestellt werden? Dabei ergibt die dezidierte Betonung des ersten Taktteils, danach die leichte Zurücknahme der folgenden, ein unaufhörliches Auf und Ab. Das bringt eine leise Unruhe in die ansonsten großartige Aufführung.

Selbst der Rundfunkchor Berlin, einstudiert von seinem neuen jungen Leiter Gijs Leenaars, passt sich diesem Betonungsschema – anders als bei seinen bisherigen Aufführungen – weitgehend an. Darunter leidet das Fließen dieses Werkes, das Clara Schumann nach der enthusiastisch gefeierten Uraufführung am 10.04.1868 in Bremen – unter Leitung des 35jährigen Komponisten – als „wunderbar, erschütternd und besänftigend“ bezeichnet hatte.

Bekanntlich ist dieses Requiem ein Trost für die Hinterbliebenen und ein Versprechen künftiger Seligkeit. Anders als in der katholischen Liturgie schickt Brahms, ein liberaler Christ, dem Toten kein Furcht erregendes „Dies irae, dies illa“ hinterher. Schon nach der Wiederholung von „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ folgt mit dem Wechsel von b-Moll nach B-Dur das Versprechen des Propheten Jesaja: „Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen.“

Zweimal tritt der Bariton zusammen mit dem Chor in Aktion, hier Christian Gerhaher in seiner eigenen, durchdachten Diktion. Überzeugend gelingt ihm der Übergang vom bitteren „dass ein Ende mit mir haben muss“ zum vertrauensvollen „Ich hoffe auf dich“. Im Teil VI verrät er allen das Geheimnis der Auferstehung und triumphiert dabei über den aufrauschenden d-Moll-Orchesterklang bei der Erwähnung der letzten Posaune. Das Fazit „Tod, wo ist dein Stachel. Hölle, wo ist dein Sieg?“ aus St. Paulus’ 1. Korintherbrief nimmt Gestalt an.

Den Sopranpart im 5. Teil, den Brahms nachträglich einfügte, hat Siobhan Stagg (für die erkrankte Sibylla Rubens) kurzfristig übernommen. Sie singt ihr Solo mit klarem Wohllaut und spürbarer innerer Beteiligung und beglaubigt die Worte einer Verstorbenen, die die Trauernden tröstet, da sie selbst nach Mühe und Arbeit nun ihren Trost gefunden hat. Dieser Abschnitt bildet die Brücke zum siebten Teil mit der Seligpreisung der im Herrn Gestorbenen durch den Chor, der das wunderbar in alle Herzen singt.

Danach langes, ergriffenes Schweigen, gefolgt von riesigem Jubel für Thielemann und alle Beteiligten. Der Rundfunkchor erntet noch einige Phon mehr an Applaus für seinen Part in diesem, den Tod überwindenden Requiem, das viele Jahre am 13. und 14. Februar in Dresden aufgeführt wurde. Zur Erinnerung an die mehr als 30.000 Opfer, die 1945 an jenen Tagen durch die Bombardierung der Alliierten ihr Leben verloren.

Im Vorjahr hat Thielemann jedoch Verdis „Messa da Requiem“ für dieses Gedenken gewählt. In diesem Jahr wird Myung-Whun Chung Rossinis „Stabat Mater“ in der Semperoper dirigieren. Die heutige letzte Berliner Aufführung von Brahms’ Requiem unter Christian Thielemann ist schon lange ausverkauft.

Ursula Wiegand

 

 

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