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BERLIN/ Philharmonie: DIE WALKÜRE – konzertant

24.05.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin, Philharmonie: „DIE WALKÜRE“, konzertant, 23.05.2012


Sir Simon Rattle. Foto: Monika Rittershaus

Walküre oder Wannsee war an diesem heißen Frühsommertag die Frage. Klar, dass die Wahl auf „Die Walküre“ fällt, und das zahlt sich aus. Noch nie habe ich Richard Wagners Wunderwerk so fabelhaft gehört wie nun in der Philharmonie unter Sir Simon Rattle. Andere, darunter viele jüngere Menschen, gewinnen offenkundig den gleichen Eindruck. „Ja!“, ruft ein begeisterter Zuhörer nach dem spannend herausmusizierten und großartig gesungenen 1. Akt.

Gemeinsam mit den hoch motivierten Berliner Philharmonikern, die auf der Bühne sitzend genau beobachtet werden können, gelingt dem Maestro eine exemplarische Darbietung, an der sich die „richtigen“ Opernorchester messen lassen müssen. Die Belange der Sänger sind ihm ebenfalls bewusst. Deutlich zeigt er ihnen die Einsätze an.

Rattle und die Seinen, die „Die Walküre“ schon 2007 in Aix-en-Provence konzertant aufgeführt hatten, gehen das Stück hier straff und rhythmisch präzise an, aber ohne Hast. Sie alle scheinen innerlich zu glühen. Schon das erste Vorspiel leuchtet und bringt fein dosierte Steigerungen. Im weiteren Verlauf kommt alles mit selbstverständlicher Konzentration und ohne falsches Pathos daher. Lyrik, Schmelz und Innigkeit kommen jedoch auch nicht zu kurz, und manche Tempowechsel öffnen förmlich die Ohren.
Konzertante Opernaufführungen sind inzwischen, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, in Mode. Nur wenige gelingen wirklich. Doch diese „Walküre“ wird zum großen Wurf.

Ein Kritikpunkt bleibt bestehen. Wenn Sängerinnen und Sänger nur an der Rampe stehen und ins Publikum schmettern, ist das im Grunde widersinnig. Eine Attitüde, die wohl auch ihrem konzertmäßigen Outfit zuzuschreiben ist. Eine dem Geschehen angepasste Bekleidung würde Besseres bewirken. Einige Dirigenten und Ausstatter gehen bereits diesen Weg.

Muss also Siegmund, der von Feinden verfolgte Wölfling (!), in Frack und Fliege gemächlich auf die Bühne schreiten und dann seinen Part statuarisch abliefern? Zwar nimmt Christian Elsner mit seinem wohlgeführten, eher lyrischen Tenor für sich ein. Doch etwas mehr Zuwendung hätte die schöne Eva-Maria Westbroek als Sieglinde gewiss verdient. Aufflammende Liebe sieht anders aus.
Erst nach geraumer Zeit, als von ihrem „Wellenhaar“ die Rede ist, wagt der gewichtige Elsner eine vorsichtige Berührung, widmet sich ansonsten aber fast nur seinem – schließlich mit warmem Applaus bedachten – Schöngesang.
Ganz anders die in einem schlichten schwarzen Kleid auftretende Frau Westbroek. Sie beglückt nicht nur mit ihrem nuancenreichen Sopran. Auch schauspielerisch gewinnt sie die Herzen. In Mimik und Gestik stellt sie die von ihrem Mann Erniedrigte ebenso glaubwürdig dar wie die glückstrahlende oder verängstigte Frau. Wie anrührend bringt sie, des noch unerkannten Bruders Stimme lauschend, das „mich dünkt, ihren Klang hört’ ich als Kind…“
Die Bösen haben es bekanntlich immer leichter. Der smarte Mikhail Petrenko als Hunding punktet mit viriler Ausstrahlung, bösartiger Attitüde und einem ebenso bösartigen Bass. Dieser gertenschlanke Sänger stürmt ins Geschehen und beweist Bühnenpräsenz plus Stimmgewalt. Ein Volltreffer.

Aber einer stellt alle in den Schatten: der Norweger Terje Stensvold als Wotan. Mit echt väterlichem Stolz schaut er anfangs, amüsiert schmunzelnd, auf sein Lieblingskind Brünnhilde. Und um es gleich zu sagen: diese Rolle ist mit der zarten Evelyn Herlitzius, einer Kleinen im roten Mäntelchen, sehr passend besetzt.  Endlich mal keine überreife und übergewichtige Brünnhilde, sondern ein mutiges Mädelchen, das nicht trompetet, sondern ihren hellen Sopran klug kalkuliert einsetzt. In Stimme und Darstellung ist sie eine Kindfrau, doch selbst wenn das Orchester Fortissimo spielt, lässt sie sich nicht unterkriegen. Dann wird zwar ihr Organ etwas schärfer, doch das tut ihrer insgesamt erstaunlichen Leistung (und ihrer guten Artikulation!) keinen Abbruch.
Und wie deutlich zerbricht alsbald Wotans Forschheit und Frohsinn gegenüber seiner Frau Fricka, der Lilli Paasikivi mit schillerndem Mezzo unüberwindbare Zielstrebigkeit verleiht. Da wird der Gott zum Weichei, der wider besseres Wissen seinen geliebten Sohn opfert, nur um Frickas Gezeter zu beenden. Nie sah und hörte ich das besser.
Schließlich Wotans Wüten gegenüber Brünnhilde, die sich seinem Willen widersetzt hatte. Gekränkte Eitelkeit, perfekt dargeboten. „Immer auf die Kleinen,“ möchte man/frau dazu sagen. Auch die Philharmoniker dürfen in diesem 3. Akt in die Vollen gehen, das Blech gleißt, die Streicher brillieren.
Die farbig gekleideten Walküren (Heike Grötzinger, Joanna Porackova, Julianne Young, Andrea Baker, Eva Vogel, Anette Bod, Anna Gabler und Susan Foster) schleudern, weiter hinten stehend, ihr „Heiaha“ in den Saal. Ein richtiges Inferno tut sich da auf.

Terje Stensvold ficht das alles nicht an. Sein Bassbariton bleibt in den langen, Atem fordernden Monologen ausdrucksstark und voller Glanz, selbst wenn er in den Sprechgesang fällt. Evelyn Herlitzius hält ebenfalls Stand. Betont schüchtern beginnt sie, den Vater von der Richtigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Ein Kammerspiel inmitten des allgemeinen Aufruhrs. Großartig.
Schließlich Wotans herzerweichender Abschied, sein resoluter Ruf nach Loge. Noch einmal blickt er voller Schmerz auf sein (angeblich) vom Feuer umlodertes Lieblingskind.
Rattle lässt nun den Stab sinken, verharrt längere Zeit regungslos und das Publikum mit ihm. Dann schreit ein Mann „danke“, andere rufen Bravo. Schließlich stehende Ovationen für diese ergreifende „Walküre“.    

Ursula Wiegand

 

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