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BERLIN / KONZERT zum einjährigen Bestehen des BOULEZ ENSEMBLES und des PIERRE BOULEZ SAALS

04.03.2018 | Konzert/Liederabende


Foto: Volker Kreidler

BERLIN / KONZERT zum einjährigen Bestehen des BOULEZ ENSEMBLES und des PIERRE BOULEZ SAALS, 4.3.

Daniel Barenboim ist ein besessener Musiker, Dirigent, Pianist, aber auch ein begnadeter Organisator und politischer Kopf. Seine einzigartigen musikalischen Initiativen zum Ausgleich des Konflikts zwischen Israel und Palestina, zwischen Orient und Okzident mündeten in Berlin in die Gründung der Barenboim Said Akademie samt der Einrichtung eines exquisiten Konzertsaals nach Entwürfen von Frank Gehry in den ehemaligen Kulissendepots der Staatsoper Unter den Linden. Talentierte junge Musiker aus dem Nahen Osten und Nordafrika genießen dort eine umfassende Hochschulausbildung, die musikalische Praxis mit Grundlagen in den Geistes- und Sozialwissenschaften kombiniert. Konzeptionelle Ursprünge liegen in der Geschichte des West-Eastern Divan Orchestra, das 1999 in Weimar von Daniel Barenboim und Edward Said gegründet wurde. 

Am 4. März 2018 jährt sich nun zum ersten Mal die feierliche Eröffnung des Pierre Boulez Saals. Mit seiner elliptischen Form, dem flexiblen Bühnenaufbau und einer programmatischen Leitidee, die die zeitgenössische Musik gleichberechtigt neben die großen Kammermusikwerke der Klassik und Romantik und zentrale Kompositionen des 20. Jahrhunderts stellt, ist der neue Saal ein Unikum unter all den ähnlich programmierten Sälen der Hauptstadt. Schon alleine das Netzwerk Barenboims erlaubt eine sensationelle Konzertprogrammatik, die sich liest wie das Who is who der renommiertesten Kammermusiker der Welt. Kein Wunder, dass auch die Publikumszahlen stimmen: Mehr als 85.000 Besucher kamen bisher zu 150 Konzerten, was einer Auslastung von über 95% entspricht. Die Kritiker, die meinten, dass dieser Saal ein zuviel an Angebot in Berlin schafft, hatten also unrecht. Auch die zweite Saison wird von Alter Musik bis zu den Stars von morgen, von Klassikern bis zur Uraufführung, von Streichquartetten bis zu Musik aus dem Nahen Osten und Nordafrika Außergewöhnliches bieten. Alles paletti also? Nein nicht ganz.

Es bleiben immer noch die Probleme des Entrees, das auch als Pausenraum und Büffet dient. Wer die ganz hinten gelegene Kassa oder Garderobe sucht, muss sich an nicht gerade bewegungsliebende Sekt trinkenden Besuchern vorbeidrängeln. Es gibt in Relation zu der Anzahl an Konzertbesuchern  viel zu wenig Platz in dem schmalen Raum, also gehörte überlegt, ob die Kassa nicht doch wie andernorts üblich an den Eingang verlegt werden kann.

Abseits dieses babylonischen Chaos wartet der Konzertsaal mit einer exquisiten Akustik auf, die Künstler konzertieren in der Mitte einer gleichsam demokratisch arrangierten Arena. Es ist immer wieder ein Erlebnis, Gast in diesem Saal zu sein, wenngleich auch nach einem Jahr noch immer niemand das Sitzplatzsystem kapiert und den eigenen Platz ohne Hilfe zu finden ein nahezu aussichtsloses Unterfangen bleibt. Auch sind manche Plätze im ersten Rang gewöhnungsbedürftig, weil die geschwungenen Ränge ein leichtes Schwindelgefühl hervorrufen können. 

Das klug zusammengestellte Jubiläumskonzert wartete als Start mit Hanns Eislers „Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben op. 70“ auf. ein 1941 komponierter Soundtrack zu 1929 entstandenen Experimentalfilm Regen des Joris Ivens. Er besteht aus einer Reihe an Variationen für ein Quintett mit Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier. Etwas spröde, doch voller verstörender Harmonien wird die Musik zur Metapher für das chaotische Großstadtleben schlechthin. Bei Franz Schuberts „Introduktion und Variationen über Trockne Blumen e-moll D 802 für Flöte und Klavier“ waren sowohl Daniel Barenboim als sensibel aufspielender Pianist und der virtuose französische Flötist Mathieu Dufour (seit 2015 Mitglied de Berliner Philharmoniker) ganz in ihrem romantischen Element. Als Höhepunkt nach der Pause sorgte die großartige Donatienne Michel-Dansac als Sprecherin in Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire op. 21“ für Gänsehaut. Wie sei die drei mal sieben Gedichte des belgischen Symbolisten Albert Giraud in vokale Preziosen, hoch artifiziell und packend zugleich das kühne Melodram zu magischem Sprechgesang formte, war atemberaubend.  Das Pierrot-Ensemble besteht außer dem Klavier noch aus Flöte/Piccolo, Klarinette/Bassklarinette, Geige, Villa, und Violoncello, also acht Instrumente gespielt von fünf Musikern. Mathieu Dufour (Flöte & Piccolo), Tibor Reman (Klarinette & Bassklarinette), Michael Barenboim (Violine & Viola), Astrig Siranossian (Violoncello) und Klaus Sallmann (Klavier) sorgten für die packende Begleitung. So feiert man ein Jubiläum, mit Hausgöttern, Raritäten, Begeisterung und großem Können. Das Publikum konnte nach dem Konzert als Ausklang auch das eine oder andere zum Jubiläum spendierte Glas Sekt oder ein Stück von Maestro Barenboim selbst angeschnittenen Kuchen genießen. Selbstverständlich gab es dabei auch großes, redlich verdientes Lob für den beim Konzert anwesenden japanischen Akustiker Yasuhisa Toyota.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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