Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Komische Oper: XERXES – echt Barock

17.05.2012 | KRITIKEN, Oper

Berlin, Komische Oper: „XERXES“, echt barock, 17.05.2012


Stella Doufexis als „Xerxes“. Foto: Karl Forster

Die ungewöhnlich langen Schlangen vor den beiden Kassen der Komischen Oper sprechen Bände. Die sich Drängenden haben offensichtlich die enthusiastischen Premierenkritiken gelesen oder gehört. Nun wollen sie nach zahlreichen Flops auch mal ein Superstück erleben.

Die Rechnung geht auf. Dieser „Xerxes“, uraufgeführt 1738, ist ein Knaller geworden. Die jetzige Darbietung bringt Barock vom Besten und einen springlebendigen Georg Friedrich Händel.

Sonderbarerweise war das Stück seinerzeit kein Erfolg und wurde nur fünfmal aufgeführt. Händel traf mit dieser Oper im italienischen Stil nicht den zu diesem Zeitpunkt in London gängigen Geschmack. Er gab ihr die Bezeichnung „dramma per musica“, doch diese drei Akte bieten neben den dramatischen auch urkomische Momente.

Genau genommen erleben wir hier eine Sonderform der historischen Aufführungspraxis. Nicht dass das famose Orchester, angefeuert von Konrad Junghänel, plötzlich auf alten Instrumenten spielt. Abgesehen von einem Cembalo und einer Barockharfe tut es das nicht. Doch alles klingt so fein, dann wieder so samtig und generell so gekonnt anders, dass man/frau kaum seinen Ohren traut und glücklich Händels herrlicher Musik lauscht.

Den Augen traut man eh nicht, so frappierend und turbulent setzt Regisseur Stefan Herheim das Stück in Szene. Er tut damit genau das, was zu Händels Zeiten üblich war: das Publikum mit aufwändigem Bühnenzauber gut zu unterhalten.

Daher lässt Herheim, der in Bayreuth den Parsifal inszeniert hat, hier alle Puppen tanzen, darüber hinaus auch drei Riesenschafe. Die blöken und wiegen sich mit den Darstellern zum Kreischen komisch im Takt.

Achtung, alles nicht so ernst nehmen, signalisiert der Regisseur. Nichts da von Grübeleien oder Sinnsuche. Der Sinn liegt im überdrehten Unsinn. Das gilt teilweise und mit voller Absicht auch für die Kostüme (Gesine Völlm). Die Soldaten mit ihren goldglitzernden Fantasieuniformen und den roten Helmbuschen sind die perfekte Spielzeugarmee.

Also dürfen wir uns an diesem Abend amüsieren und auch mal kichern. Das Spektakel, das auf der immer wieder in Bewegung gesetzten Drehbühne von Heike Scheele abläuft, ist tatsächlich vergnüglich. Selbst die Pappsäulen beginnen zu swingen. Der größte Clou sind die schwankenden Schiffe und wabernden Wogen zu Beginn der 2. Halbzeit. Xerxes hat eine Brücke von Persien nach Griechenland bauen lassen, doch bei Blitz und Donner kracht alles zusammen.

Dennoch bleibt die Inszenierung trotz dieser Show-Effekte nicht im rein Äußerlichen stecken. Aber ist das weithin bekannte Largo, die Liebeserklärung des Königs an eine Platane (!), wirklich ernst zu nehmen? Zumal diese wunderschöne Melodie gar nicht von Händel stammt, sondern von Bononcini. Allerdings war es damals durchaus üblich, eigene und fremde Elemente erneut zu verwenden. Wie Stella Doufexis ganz zart und innig die ersten Töne ansetzt, nimmt sofort gefangen.

In ihrer Person wird dieser Xerxes zu einem charmanten androgynen Wesen, und das Blitzen ihrer Augen sowie ihr Mienenspiel bringen immer wieder eine ironische Komponente in all’ die Irrungen und Wirrungen. Ihre Zornesarie nach dem letztendlichen Scheitern der Bemühungen um die schöne Romilda (Brigitte Geller!) wird zu Recht mit Bravos belohnt.

Doch diese Oper und ihre Inszenierung lassen auch Raum für echte Gefühle. Diejenigen, die sich von ihren Liebsten betrogen oder verlassen fühlen, leiden wirklich und lassen ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung gesanglich freien Lauf. So Karolina Gumos als Xerxes Bruder Arsamenes, der von diesem verstoßen und wegen seiner Liebe zu Romilda beinahe ermordet wird.

Noch mehr imponiert Katarina Bradic als Xerxes’ Verlobte Amastris, die ihm als Mann verkleidet auf dem Fuße folgt. Sie muss sich anhören, dass er eine andere begehrt und ihre Liebe verschmäht. Das Zusammenspiel und Gegeneinander dieser beiden Personen gehört zu den Höhepunkten. Als Romildas raffinierte Schwester Atalanta, die deren Geliebten für sich gewinnen will, wirbelt Julia Giebel. Insgesamt haben alle Mitwirkenden sichtlich Spaß und lassen die Koloraturen perlen, als stünden tagtäglich Barockopern auf dem Programm.

Was den totalen Ulk betrifft, ist Hagen Matzeit als Diener Elviro, der sich in eine Blumenfrau mit Berliner Slang („Blumen aus meinem Jarten“) verwandelt, unschlagbar. Zumal er von einem Wort zum anderen blitzschnell vom Bariton in den Countertenor und umgekehrt wechselt. Sonderapplaus für ihn, aber auch für Dimitry Ivashchenko als Heerführer Ariodate, ein Kerl wie ein Baum mit derbem Humor und profundem Bass.

Nach soviel verrücktem Trubel gewinnen schließlich Ernst und Vernunft die Oberhand. Der Chor, einstudiert von André Kellinghaus, stoppt mit seinem Schlussgesang das irrwitzige Spiel und besiegelt das Happy End. Auch für den scheidenden Intendanten Andreas Homoki. Zuletzt kräftiger Beifall und Bravos. Bitte weiter so!      

Ursula Wiegand

 

Diese Seite drucken