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BERLIN/ Komische Oper: LE GRAND MACABRE

27.04.2013 | KRITIKEN, Oper

Berlin Ligeti „LE GRAND MACABRE“ Komische Oper Berlin 25.4.2013

 Chris Merritt als Piet vom Fass in einer seiner besten Rollen in einer Fabel vom Sterben des Todes. Die sympathische Moral der Geschichte: Den Weltuntergang kann man auch verschlafen.


Mescalina (Michaela Luca), Astrodamor (Jens Larsen). Foto: Monika Ritterhaus

 Die Komische Oper Berlin bietet mit der Wiederaufnahme der Anti-Antioper Der Große Makabre (revidierte Version von 1996) vortreffliches Musiktheater in einer ein wenig angegrauten Inszenierung des australischen Regisseurs Barrie Kosky aus dem Jahr 2003. Aus der Sicht Koskys ist die Ligeti Oper ein Singspiel aus zerbrochenen Scherben, eine groß-formatige Beckettsche Posse mit Gesang. „Le Grand Macabre“ handelt vom angekündigten Ende der Welt mittels eines auf die Erde stürzenden Kometen und seinem Nicht-Eintritt, weil man den Tod – oder den, der sich unter dem Namen Nekrotzar dafür ausgibt – vorher betrunken machen konnte“ liest man in der Berliner Zeitung vom 24.6.2003.

 Bedauerlicherweise ist weder die ironische Brechung noch die Schärfe der Musik in dem simplen kargen Bühnenbild mit Container und Pappmaschéekometen von Peter Corrigan noch in der Personenregie adäquat umgesetzt. In den eher gewollt als wirklich ausschweifenden Szenen nimmt sich selbst das Skurrile noch zu Ernst. Der Spass kommt ein wenig akademisch daher. Die Sexszenen sind (zu) albern infantil. Besser gelungen ist der 4. Akt, wo die Idee des Regisseurs der Welt als ein lebendiges, atmendes Laboratorium besser aufgeht.

 Insgesamt ist die Aufführung jedoch eine faszinierende Begegnung mit einem der letzten Meisterwerke der Oper des 20. Jahrhunderts. Dank der durchwegs exzellenten musikalischen Qualität von Solisten, Orchester und Chor gelingt dem Dirigenten Baldur Brönnimann eine vollgültige grell launige Interpretation. Der gesamte Zauberkasten der reichen Partitur wird rhythmisch präzis, luzid – und wo es sein muss – deftig dargeboten. Wahrlich nicht einfach bei diesem musikalischen Hauptwerk der Postmoderne, das wie das Leben auf der Suche nach Vereinigung der auseinander gebrochenen Teilstücke der Welt ist.

 Die Besetzung ist großteils hervorragend. Besonderes Lob und Anerkennung gebührt dem ehemals famosen Rossini-Tenor Chris Merritt, der mittlerweile dank seiner musikalischen Intelligenz, einer stupenden Stimmtechnik und darstellerischen Entäußerung ein Geheimtipp im schweren Charakterfach geworden ist. Mit welcher Raffinesse er die vokal vertrackten Passagen des „Weinabschmeckers und Totengräbers“ Piet singt, säuselt, deklamiert, allein das ist der Besuch der Aufführung wert. Freilich steht im dramatischen Zentrum der Aufführung der diabolische Nekrotzar, der Große Makabre, gesungen von dem in Wien ja bestens bekannten Claudio Otelli. Abgesehen von Schwierigkeiten in den tiefen Passagen der Partie bietet Otelli eine schillernde Charakterstudie eines letztlich machtlosen schwarzen Fürsten, dessen Untergangsphantasien sich eben nicht mit dem realen Weltengang decken. So wie er haben sich ja schon so manche Untergangspropheten gewaltig (im Datum) geirrt. Die Frage ist, was man mit der verbliebenen Zeit macht, schenkt man, sei es auch aus purer Langeweile, solchen Stimmen Gehör. Und da führen uns das Libretto und die kongenial darauf gestanzte Musik in einen Reigen an bizarr-egomanen Fetischisten und Erotomanen. Der Hofastrologe Astradamor (Jens Larsen) und seine Dominagattin Mescalina (Michaela Lucas) etwa, als passende Entourage des infantilen und verfressenen Fürsten Go-Go (ganz vorzüglich vom Countertenor Andrew Watts gesungen). In dem von ihm „regierten“ Breughelland tummeln sich den Zustand der Welt darstellend ein streitsüchtiges Gespann schwarzer und weißer Minister (Carsten Sabrowski und Tansel Akzeybek), ein lächerlicher Chef der geheimen politischen Polizei (in einer Doppelrolle mit Venus ist die grandiose heftig akklamierte Koloratursopranistin Eir Inderhaug zu erleben) und die renitenten Soldaten-Raufbolde Ruffiack (Bernhard Hansky), Schobiack (Bogdan Talos) und Schabernack (Hendrik Pitt). Umrahmt werden die Umtriebigkeiten des Endzeitspiels vom Liebespaar Amanda (Julia Giebel) und in einer Hosenrolle als wär‘s der schönste Rosenkavalier Amando (Annelie Sophie Müller). Wunderschön singen sie in harmonischen Duetten kontrapunktisch zu den Kasperliaden von Herrscher und Regierten. Mit ihrem operettenhaften Alt 68-er Lebensmotto schließt denn auch die Aufführung: „Nämlich das Beste, was es gibt, ist, wenn man sich ausführlich liebt. Wenn man das tut, dann steht die Zeit ganz still: Es gibt nur Ewigkeit. Fürchtet den Tod nicht, gute Leut‘! Irgendwann kommt er, doch nicht heut‘. Und wenn er kommt, dann ist‘s soweit… Lebt wohl so lang in Heiterkeit!“ Für mich als heutiger Zuseher bleibt vor allem der Wunsch, mehr von der großartigen Musik des Komponist György Ligeti zu hören. Etwa die unglaublich schönen Werke für Streichquartett, die es durchaus mit dem Schönsten von Janacek aufnehmen können.

 Hörtipp: Le Grand Macabre Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra unter Esa Pekka Salonen oder Streichquartette und Streichduette mit dem Arditti String Quartet. Überirdisch schön etwa das Andante und Allegretto für Streichquartett.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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