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BERLIN/ Komische Oper: DSCHAINAH von Paul Abraham. Konzertante Premiere

23.12.2019 | Operette/Musical


 Hera Hyesang Park und Dirigent Hendrik Vestman. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Berlin/ Komische Oper:  „DSCHAINAH“ von Paul Abraham, eine mitreißende konzertante Premiere, 22.12.2019 

„Was ist eine Dschainah“? fragen sich zunächst wohl viele in der ausverkauften Komischen Oper. Gerne lassen sie sich jedes Jahr von einer vorweihnachtlichen Operette überraschen, mit der Intendant Barrie Kosky das Publikum erfreut und gleichzeitig das Schaffen jüdischer, von den Nazis verfolgter Komponisten aus der Versenkung holt. Diesmal ist das Rätsel besonders groß.  

„Googeln“ Sie mal, empfiehlt der gewandte Erzähler Klaus Christian Schreiber, auch bekannt als Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller. Doch sogleich dämpft er den Versuch, das Handy heimlich aus der Tasche zu holen. „Sie werden nichts finden, der Dramaturg hat auch nichts gefunden, und der findet sonst alles.“

Sich in der Komischen Oper einzufinden, lohnt sich in diesem Jahr besonders. Denn „DSCHAINAH“ Das Mädchen aus dem Tanzhaus – so der komplette Titel, ist eine überzeugend rekonstruierte Große Operette von Paul Abraham aus dem Jahr 1935. Er komponierte sie als Auftragswerk für den schwerreichen Wiener Kaffee-König Julius Meinl II. Der wollte mit dieser Operette seiner jungen japanische Frau und Sängerin Michiko Tanaka zum Start am Theater an der Wien verhelfen. Auch versuchte Meinl II das hoch verschuldete Haus durch Finanzspritzen zu retten. Doch das gelang nicht. Nur 57 Mal wurde das Stück dort aufgeführt, in Berlin gar nicht mehr.

Paul Abraham hat sich für den Sponsor ins Zeug gelegt. Seine Operette ist quasi die Leicht-Version von Puccinis „Butterfly“. Aus seiner Geisha wurde eine vietnamesische Dschainah mit dem gleichen Beruf, Männer gehoben zu unterhalten und/oder weitere Wünsche zu erfüllen.

Von Puccini über Puszta-Klänge zu Jazz-Einsprengseln, außerdem angereichert durch Fernost-Klänge und Glockenspiel, war und ist bei Abraham eigentlich alles drin und dran für einen Erfolg. Auch nahmen seine Texter Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda inhaltlich nur wenige Änderungen vor.

Der junge Offizier ist hier kein Engländer, sondern ein Franzose aus Paris, heißt Pierre Claudel, schreibt auch Romane, und wird vom Tenor Johannes Dunz überzeugend gesungen und gespielt. Er soll und will bis zum 1. April aus Erbschaftsgründen Ivonne heiraten, die Tochter von Madame Hortense Cliqot.

Mit dem Lied „Eine blonde Frau“ himmelt er sie an, und sie – Mirka Wagner – im langen hellblauen Kleid mit tiefem Decolleté (Kostüme: Katrin Kath) reagiert darauf äußerst charmant und mit schillerndem Sopran. Erfreut, aber souverän nimmt die in Frankreich geborene Trans-Schauspielerin Zazie de Paris, bekannt u.a. aus dem Frankfurter „Tatort“,  mit ihrer enorm tiefen Stimme diese gute Botschaft entgegen.

Doch dann der plötzliche Befehl: Der junge Offizier muss sofort per Schiff nach Saigon reisen. Zeit für die Ja-Worte bleibt nicht mehr, und eine unkt schon: „Bei 40 Grad im Schatten schmilzt die Treue“.  Genau!


Talya Lieberman und Dániel Foki. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Ihr eigenes Ding macht das ebenfalls optimale Paar: Musotte (die US-amerikanische Gastsopranistin Talya Lieberman) eine Flirtexpertin sondergleichen, und der flinkfüßige Dániel Foki (Bariton) als der polnische Baron Bogumil Barczewsky.

Zum Stern am Bühnenhimmel wird jedoch die junge bildhübsche koreanische Sopranistin Hera Hyesang Park als Dschainah namens Lylo. Klar, dass sich der gerade in Saigon angekommene Pierre Claudel, nun in weißer Edeluniform – sofort in sie verliebt und sie sich gekonnt flirtend auch in ihn. Geschwind heiratet er sie, um sie vor dem Verkauf nach Saigon zu bewahren.

Doch was könnten sie alle ausrichten, würde sich nicht das fitte Orchester der Komischen Oper diesem wiedergefundenen Schatz mit solchem Engagement widmen. Das ist auch der schwungvollen Leitung durch den estnischen Gastdirigenten Hendrik Vestmann, GMD des Oldenburgischen Staatstheaters, zu verdanken. Der bringt mit Temperament und auf dem Podium wippend Abrahams vielfältige Musik zum Klingen, scheint viel Spaß daran zu haben, auch mal eine Operette zu dirigieren anstatt daheim Wagners Ring. Außerdem trägt ein Chor, einstudiert von David Cavelius,  anders als beim chorlosen „Märchen im Grandhotel“ zur Klangfülle bei.

 Die vietnamesische Geisha-Variante endet auf besondere Art. Die resolute Madame Cliquot chartert ein Luxusschiff, und alle Daheimgebliebenen rücken nun dem Ungetreuen auf den Pelz. Er dreht und windet sich, löst aber die Ehe mit der todtraurigen Lylo auf. Sie gibt nach mit dem Song: „Ich hab’ Dich viel zu lieb, um an mich nur zu denken“, und dabei wischt sich selbst der Erzähler Klaus Christan Schreiber vor Rührung die Tränen aus den Augen.

 Doch anders als Madame Butterfly gibt es für Lylo ein Happy End. Als sich Pierre Claudel und Lylo Jahre später zufällig auf einem Ball treffen, ist sie die Frau eines reichen Mannes und hat ihren einstigen Abschiedssong für sich wahr gemacht. „Ohne Liebe kann ein Herz nicht glücklich sein, ein Herz braucht Sonnensein.“ Dieser Hit hat, wie schön, sogar die gesamte Operette überlebt. Heftiger, anhaltender Applaus für alle. Die zweite und letzte Aufführung findet am 30. Dezember statt.

Schade. Wäre diese melodienreiche Operette in voller Bühnenversion nicht die passende Nachfolgerin von Paul Abrahams „Ball in Savoy“, der nach dieser Spielzeit seinen Tanz beenden wird?

Wenn ja, dann bitte möglichst mit genau denselben Sängerinnen und Sängern, vor allem mit der fabelhaften Hera Hyesang Park, die so hundertprozentig diese Rolle ausfüllt (und in Kürze am Haus die Gilda in Rigoletto singen wird). Und möglichst auch mit diesem energetischen und humorvollen Dirigenten Hendrik Vestmann.          

Ursula Wiegand

 

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