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BERLIN/ Komische Oper: DIE NASE von Dmitri Schostakowitsch

Wenn Nasen steppen

29.06.2018 | Allgemein, Oper

Die tanzenden Riesennasen

Berlin/ Komische Oper: „DIE NASE“ von Dmitri Schostakowitsch. Wenn Nasen steppen. 28.06.2018


Die tanzenden Riesennasen. Copyright: Iko Freese I drama-berlin.de

„Die Nase“, komponiert vom jungen Dmitri Schostakowitsch, gilt nicht gerade als Besuchermagnet, und an Ohrwürmern fehlt es in dieser Oper gänzlich. Die zumeist schroffe,  grelle Musik dringt oft schrill in die eigenen Hörmuscheln, zumal der neue Generalmusikdirektor Ainārs Rubiķis das fitte Orchester der Komischen Oper Berlin mit straffen Tempi und mitunter stark anschwellender Lautstärke in Extreme treibt, als ginge es um einen Hexensabbat. Per saldo hat er jedoch alles im Griff und leitet das Gewusel von Interpreten/innen sicher durch die ungewöhnliche Partitur.

Denn um eine extreme Situation, grotesk und angefüllt mit diversen Ängsten, geht es in dem von Schostakowitsch und Partnern verfassten Libretto und dessen musikalischer Umsetzung. In der knapp 100 Jahre vorher geschriebenen, gleichnamigen Erzählung von Nikolai Gogol hatte der junge Schostakowitsch den passenden Stoff für seine experimentierfreudige Tonsprache entdeckt.

Zwei Kritiker der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse hatten sich posthum gefunden. Daher verwundert es nicht, dass die 1930 uraufgeführte Oper nur 15 Mal gespielt wurde und danach 44 Jahre lang von den Bühnen Russlands verschwand.

Nun hat Barrie Kosky das Stück aus dem unverdienten Abseits geholt und macht mit der ihm eigenen Energie was daraus. Grotesk und skurril kommt die Oper daher, zynisch und sarkastisch. Die Einfälle überschlagen sich, doch hinter aller Putzmunterkeit werden auch Abgründe sichtbar. Nebenbei kriegen viele, insbesondere die abwiegelnden Polizisten, wie im Original ihr Fett weg.

Das schon so abstruse Geschehen kreiselt – mit Hilfe von Koskys bewährter Crew – alsbald immer schneller und in oft knalligen Farben (Kostüme: Buki Shiff). Der absolute Clou ist das Riesennasen-Ballett, das später sogar als knackige Stepp-Variante (Choreographie: Otto Pichler) auf die von Klaus Grünberg gestaltete Bühne knattert. 


Günter Papendell und Ensemble. Copyright: Iko Fresse I drama-berlin.de

Dass „Die Nase“ ein Knaller wird, ist jedoch vor allem Günter Papendell zu verdanken, der so viel mehr kann, als mit seinem schönen Bariton den ganzen Saal zu füllen. Der kann sich, wie in vielen Jahren beobachtet, alle Rollen überzeugend aneignen. Hier hat er vom angstvollen Kauern bis zum hektischen Slapstick alles drauf.

Seine Nase wird übrigens nicht hinter einer Maske versteckt, sondern nur an der Spitze rot geschminkt. Bei Kosky tragen alle anderen auffallend große Nasen. Jeder und jede fasse sich erstmal an die eigene Nase, bevor sie über andere zu rümpfen, könnte die Botschaft lauten.

Schon eine der ersten Szenen ist voll gelungen. Der eher zierliche Papendell, ein recht eitler Kollegienassessor, sitzt furchtsam beim Friseur im Sessel und zuckt jedes Mal ängstlich zusammen, wenn Barbier Ivan Jakowlewitsch – der kräftige Jens Larsen mit profundem Bass und genau  abgeguckten Gesten – das scharf geschliffene  Rasiermesser ansetzt. (Die Schleifgeräusche sind bereits beim Vorspiel zu hören). Schon diese Minuten sind die halbe Miete.

Kaum daheim, entdeckt des Barbiers Frau in höchsten Tönen zeternd eine Nase im Brotteig, die er – igittegitt – gleich in den Müll wirft. Ein Fehler mit Folgen. Später muss sich Larsen als HNO und Leiter einer Zeitungsredaktion widerwillig um die verlorene Nase kümmern und macht daraus jedes Mal ein Kabinettstückchen. Nach der Zeitungsannonce sucht nun die ganze Stadt (der Chor, einstudiert von David Cavelius) immer hektischer nach dieser Nase, singt aber bei einem Begräbnis weihevoll einen Choral. Auch eine Spitze von Schostakowitsch gegen so manche Scheinheiligkeit.

Andererseits ist da Ivan Turšić, Diener und Sexpartner seines relativ hochrangigen Herrn, der in lang ausgehaltenen Tenortönen das Publikum amüsiert. Das wiederum folgt bald mit Spannung dem unglücklichen Nasensucher, der beim Riechhornspurt – von einer Frau missbraucht und von der Menge – nur noch mit der Unterhose bekleidet – herumgeschleppt wird. Wehe den von der Norm Abweichenden!  

Passend zu den mitunter traurig rülpsenden Posaunen klagt und winselt er auch jämmerlich: „Was ist ein Mann ohne Nase? Ein Nichts“, so stöhnt er. Hätte er sie doch wenigstens als Kriegheld in einer Schlacht verloren. Glaubwürdig und keinesfalls peinlich gestaltet Papendell alle Situationen und erweckt eher Mitleid als Spott.

Derweil allenthalben volle Geschäftigkeit, denn mit rund 100 Rollen hatte Schostakowitsch diese Oper versehen. Hier werden 30 Interpreten/innen in Mehrfachpartien intensiv tätig, so u.a. noch Rosie Aldridge,  Caren van Oijen, Alexander Kravets, Alexander Lewis, Carsten Sabrowski, Samuli Taskinen, Johannes Dunz, Emil Ławecki, Adrian Strooper, Christoph Späth und Tom Erik Lie.

Alle haben letztendlich Erfolg: Plötzlich ist die vermisste Nase wieder da und bammelt als längliches Geschlechtsteil in Papendells Gesicht, fällt aber beim ersten Niesen gleich wieder ab. Die fast richtige Nase, getragen von Lion Sturm, einem kräftig mitsteppen Jungen, findet sich zuletzt auch noch und wird mit viel Mühe wieder angeklebt.

Im roten Anzug speist nun der Kollegienassessor, der sich auch gerne Major nennt, am fein gedeckten Tisch, sitzt steif, damit diese Nase nicht auch noch abfällt. Nein – die ihm von der Mutter zum Dessert angebotene aufgetakelte Tochter (Ursula Hesse von den Steinen und Mirka Wagner) will er garantiert nicht ehelichen. Vermutlich waren die erlittenen Ängste aller Art nur ein böser Traum, doch Kosky hütet sich, das eindeutig zu klären.

Nach der sehr erfolgreichen Premiere in London sowie weiteren Aufführungen in Sydney und Madrid im Rahmen der Ko-Produktion hat nun auch das Berliner Publikum die Chance zum Jubeln, tut das mit voller Begeisterung und feiert vor allem den fabelhaften Günter Papendell.     Ursula Wiegand

Weitere Berliner Termine mit eventuellen Restkarten am 30. Juni sowie am 06. und 14. Juli.

 

 

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