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BERLIN/ Komische Oper: CASTOR ET POLLUX von J.P. Rameau. Premiere

11.05.2014 | KRITIKEN, Oper

Berlin/ Komische Oper: „CASTOR et POLLUX“, Premiere, 11.5.2014

Was für eine herrliche Musik hat dieser Jean-Philippe Rameau im 18. Jahrhundert komponiert! Da müssen alle Barock-Fans jubeln, sich vielleicht auch die Ohren reiben. Denn bisher haben die Berliner Opernhäuser einen großen Bogen um diesen bedeutenden und – zumindest in Frankreich – einst hoch geschätzten Komponisten gemacht. Einen Spätstarter übrigens, der erst mit 50 Jahren begann, Opern zu komponieren.

Castor et Pollux“ gehört zu seinen Meisterwerken und wurde eines seiner Erfolgsstücke, vor allem nach der radikalen Überarbeitung der ursprünglichen Fassung von 1737 und der damit verbundenen deutlichen Straffung.

Diese Version von 1754 ist nun auch – ja man staune – an der Komischen Oper in der Regie von Barrie Kosky und erstmals in französischer Sprache zu erleben. Kosky, der die Besucher bisher mit schwungvoll-rasanten Operetten-Adaptionen begeistert hat, beweist, dass er auch Tragisches inszenieren kann. Hier mit der Neueinstudierung einer Londoner Produktion vom Oktober 2011, für die er bereits den Laurence Olivier Award erhalten hat, den wichtigsten britischen Theaterpreis.

Mit im Boot ist nun auch in Berlin der Barock-Spezialist Christian Curnyn, der das Orchester der Komischen Oper Berlin mit schwingendem Körpereinsatz engagiert zum Klingen bringt. Die Instrumentalisten widmen sich mit ebensolcher Dreingabe diesen für sie neuen Klängen, wobei die Streicher erstmals mit Barockbögen spielen. Sehr angenehm klingen auch die Bläser, hat doch Rameau auf Flöten und Fagotte besonderen Wert gelegt. Wichtig waren seinerzeit auch Balletteinlagen. Die übernimmt in reduzierter Form, aber bewegungsfreudig der patente Chor des Hauses, einstudiert von David Cavelius.

Inhaltlich (Libretto: Pierre-Joseph Bernard) geht es um die beiden Brüder Castor und Pollux (in Maßanzügen) sowie die beiden Schwestern Télaïre und Phébé (in rotem bzw. grünem Kleid). Außerdem entfaltet sich das Liebes- und Eifersuchtsdrama in einem zunächst leeren Sperrholzraum (Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag). Nichts soll vom Schicksal der Vier und der psychologisch grundierten Schönheit dieser Musik ablenken.  

Wer bisher dachte oder die Erfahrung gemacht hat, dass Barockopern zumeist langatmig und langweilig sind, wird hier schnell eines Besseren belehrt. Die jungen Sängerinnen und Sänger füllen Rameaus Noten mit echtem Leben. Liebe, Eifersucht, Zorn und Verzweiflung werden mit jedem Ton und in jeder Phrase spürbar. 

Auch der körperliche Einsatz ist staunenswert. Sie schmusen und fighten, rollen über den Boden, hechten im Kampfgetümmel unter einem herabgelassenen Holzvorhang hindurch, attackieren sich brutal nach Art von Jugendbanden und laufen immer wieder knallend gegen die Wände. Vermutlich Menschen verdeutlichend, die in ihren Gefühlen gefangen sind, emotional entgleisen und deshalb mit dem Kopf gegen die Wand rennen.

Insgesamt geht es in dieser Inszenierung weniger um die alte Sage von Castor und Pollux und den legendären Abstieg von Pollux in die Unterwelt,  die – im Gegensatz zum stressigen sexbetonten Himmel – als Ort von Frieden und Liebe gezeichnet wird. Es geht auch nicht nur  um die unendliche Bruderliebe, sondern noch mehr um die Hölle in uns.  

Phébé, von Annelie Sophie Müller (Mezzo) intensiv gesungen und gespielt, ist die Ungeliebte, fliegen doch ihrer Schwester Télaïre die Herzen beider Brüder zu, während sie selbst Castor vergeblich liebt. Die junge Amerikanerin Nicole Chevalier, bereits international gefragt, singt die doppelt Begehrte ohne Ermüdungserscheinungen mit mal weichem, mal strahlendem Sopran.  

Den Castor als Genießertyp und doch treuen Bruder gibt, wie schon in London, Allan Clayton mit kraftvoll lyrischem Tenor und expressiver Darstellung. In Rameaus zweiter Fassung ist er nicht von Anfang an tot, sondern kämpft während des Hochzeitsfestes – aber wie! – gegen den von Phébé gedungenen Lyncée (Etienne Röder, stumme Rolle).

Mit überzeugender Empathie und dunkel getöntem Bariton ist der schlanke Günter Papendell ein sehr passender Pollux. Ein Edler, der großmütig zugunsten von Castor auf Télaïre verzichtet hatte, sich nun als Rächer des Bruders auf Lyncée stürzt und den  schließlich besiegt. Auch bei diesem Kampf schont sich niemand.  

Wie sinnlich auch Trauer sein kann, zeigt sich bei Castors Bestattung. Mühsam zerrt Télaïre den ermordeten Geliebten einen schwarzen Berg hinauf und bedeckt seinen Blut beschmierten Körper langsam mit Erde. Durch diese wühlt sich dann auch Pollux, der Zeus-Sohn, in die Unterwelt und opfert sich, damit Castor auf die Erde zu seiner Geliebten zurückkehren kann. Doch Castor will nur noch einen Tag mit Télaïre verbringen und schwört dem Bruder, danach in die Unterwelt zurückzukehren. Das tut er tatsächlich.

Wäre nicht Rameaus Musik so wunderschön und würde das alles nicht mit soviel Engagement gesungen und gespielt – dieser triefende Edelmut wäre kaum auszuhalten. Eine clowneske Auflockerung gibt’s aber auch: den Götterboten Merkur (Aco Aleksander Bišćević!) mit beweglichen Flügeln und einem ebenso beweglichen hellen Tenor, der tatsächlich an Trompeten erinnert, wenn davon die Rede ist.

Der hoch gewachsene Alexey Antonov als Jupiter mit verschleiertem Gesicht und Bernhard Hansky als sein Hoherpriester haben nicht viel zu tun, runden aber das überzeugende Sänger/Schauspieler-Team gut ab. Von soviel Bruderliebe gerührt, führt Jupiter die beiden aus der Unterwelt und setzt sie bekanntlich als ewig leuchtende Sterne an den Himmel.

Und die Frauen? Phébé sitzt schon tot an der Wand, die verzweifelte Télaïre hockt sich zu ihr. Doch ihr Kummer verwandelt sich schließlich in den Jubel über die beiden Brüder, die nun unvergänglich am Firmament leuchten. Die aus der ursprünglichen Fassung übernommene Arie eines Planeten gestaltet nun Nicole Chevalier als leuchtenden Schlussgesang unter einem silbrigen Sternenregen.

Einhelliger und anhaltender Jubel belohnt dann alle Beteiligten mitsamt dem Regieteam für diesen großartigen und überraschenden Abend. Hingehen! Und auch Kosky sollte auf diesem Weg weitergehen. 

Ursula Wiegand

Nächste Termine: 15. und 30.5., 6.6. und 12.7. 2014

 

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