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BERLIN/ Festspiele: FOREIGN AFFAIRS „I don’t believe in outer space“

Berliner Festspiele, Foreign Affairs: „I don’t believe in outer space“, 5.6.2013


Forsythe-Company, mit David Kern, Esther Balfe, Ander Zabala, Foto Dominik Mentzos.

Der Große Saal im Haus der Berliner Festspiele ist rappelvoll. Mehr Junge als Ältere füllen die Reihen, und sicherlich hat der Name William Forsythe diesen außergewöhnlichen Ansturm ausgelöst. Seine Company bringt das 2008 entstandene Stück „I don’t believe in outer space“, das er nach einer Installation gleichen Namens entwickelt hat.

Was wir in dieser 70-minütigen „Performance“ erleben, ist tatsächlich außergewöhnlich, ist auch von Anfang an geheimnisvoll außerirdisch und – als Gegensatz dazu – 150prozentig allen irdischen Lustbarkeiten im Dauerlauf zugetan.

Doch was heißt hier bringt und entwickelt? Hier entwickeln und verwickeln sich alle, diese fabelhaften Tänzer-Akrobaten mit ihren übergelenkigen Körpern, ihrem Schauspieltalent und ihrer beweglichen Mimik. Mal verblüffen sie mit marionettenhaft-abstrusen Bewegungen, so als hätten alle Gliedmaßen ein unkoordiniertes Eigenleben, mal agieren sie im irrwitzig-rasanten Miteinander, rappeln und zappeln übererregt und übermotiviert.

Yoko Ando, Cyril Baldy, Esther Balfe, Dana Caspersen, Katja Cheraneva, Frances Chiaverini, Brigel Gjoka, Amancio Gonzalez, Josh Johnson, David Kern, Fabrice Mazliah, Roberta Mosca, Tilman O’Donnell, Inma Rubio*, Jone San Martin, Yasutake Shimaji, Ildikó Tóth, Elizabeth Waterhouse, Riley Watts und Ander Zabala, heißen diese Ausnahme-Künstler.

„I am your neighbour,“ behauptet zunächst mit sanfter Stimme und netten Anspielungen eine sich höchst sonderbar verrenkende Frau, offenbar ein freundlich gesinnter weiblicher Alien. Doch schon sind aus dem Weltraum zahlreiche Meteoriten auf der Bühne (auch William Forsythe’s Idee) gelandet. Die Gefahren lauern, doch umso mehr wird heillos überstürzt das Leben genossen. Auch dieses in zumeist aberwitzigem Tempo. Doch das Durcheinander, Übereinander, Miteinander, so zufällig es erscheint, hat Methode und eine unglaubliche Perfektion. Da stimmt jeder Griff, jede Berührung oder Nichtberührung.

Sie alle tragen Alltagsklamotten, so als hätten sie sich irgendwas aus dem Kleiderschrank gegriffen, mal ein Flatterhemd, mal eine leuchtende Daunenweste (Kostüme: Dorothee Merg). Es sind also Menschen wie Du und ich, und Forsythe veralbert uns alle, hält uns den Spiegel vor, seinen amerikanischen Landsleuten wohl im Besonderen. Überall hat er genau hingesehen und hingehört, zeigt uns mit liebevollem Zynismus das, was wir tun und mit uns geschehen lassen.

Vieles ist auf den ersten Blick sehr amüsant, doch irgendwie immer doppelbödig, so dass manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt. Zum Beispiel beim permanenten „I love you“, das eine Frau skandiert. Doch ihr Mann berührt sie nicht, kümmert sich um sich selbst und auch schon um eine andere. Ein anderer rückt einer neuen Nachbarin gefährlich nahe, so dass sie wie gelähmt dasitzt, angstvoll die Augen verdreht, oder Zuflucht beim Grinsen sucht.

Bekannte Hits nimmt Forsythe ebenfalls aufs Korn. „I will survive,“ kreischt immer wieder eine Tänzerin in todtrauriger Verlassenheit (Musik Thom Willems). Zur erheiternden Speed-Nummer wird die total abgefahrene Aerobic-Stunde. Auch das Gewinnspiel mit dem ständig wiederholten, „take your chance“ veräppelt diese Art Unterhaltung.

Und dann ist da der junge Mann, der mit den (leichtgewichtigen) Meteoriten in wieder mal abstrusen Posen jongliert, da sind die beiden Tischtennisspieler bei ihren imaginären Ballwechseln. Super, urkomisch und aller Bewunderung wert. Auch die Oper wird persifliert. „I will die,“ singt die Diva, „Not I“, schmettert ihr Lover. Das könnte von Loriot sein.

All’ das wilde, wüste (auch mitunter schwule) Gezappel, die überbordende Lebensfreude endet abrupt, wenn Forsythe zuletzt einen Blick ins Jenseits versucht, an das alle dezidiert nicht glauben wollen , dass aber diese überdrehte Spaßgesellschaft in ihrer Lebensgier doch sehr zu fürchten scheint.

Ganz ruhig zählt eine Frau minutenlang auf, was es in diesem Jenseits alles nicht mehr gibt: keine Küsse, keine Kinder, keine Partys, keine Aerobic-Kurse, Kein TV, keinen Stress – einfach gar nichts. Ein unerwartet leiser nachdenklicher Schluss. Umso heftiger ist jedoch der Beifall danach. Immer wieder müssen diese Ausnahme-Tänzer auf die Bühne.

Noch eine weitere Vorstellung an diesem Samstag um 20.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.

Ursula Wiegand

 

 

 

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