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BERLIN / Deutsches Theater: PHÄDRA von Jean Racine

08.01.2018 | Theater

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Alexander Khuon, Corinna Harfouch, Kathleen Morgengeyer. Copyright: Arno Declair

Berlin, Deutsches Theater: „PHÄDRA“ von Jean Racine, 07.01.2018

Da steht sie, im langen tiefschwarzen Kleid auf einem stufenartigen Absatz an der schrägen schlohweißen Wand (Bühne Katja Haß). Das lange schwarze Haar hängt ihr halb übers Gesicht. Das ist Königin Phädra, die Tochter des Minos und der Phasiphae und Enkelin des Sonnengottes Helios.
Phädra bedeutet die Strahlende, doch hier sehen wir eine zutiefst Verzweifelte, die vor Kummer sterben will. Nicht weil sie schon sehr lange auf die Rückkehr des Helden Theseus, ihres Gatten und König von Athen, wartet. Vielmehr hat sie sich haltlos in Hippolyt verliebt, Theseus’ Sohn aus erster Ehe mit der Amazone Antiope.

Zitternd tastet die Hand der Kraftlosen an der Wand empor, sie schwankt. Corinna Harfouch verkörpert die Titelrolle in dieser Inszenierung von Stephan Kimmig. Schon ihretwegen zieht es die Schauspiel-Gourmets zu Scharen ins Deutsche Theater, zur Phädra-Variante von Jean Racine (1639-1699). Er bezog sich vor allem auf Euripides, der den altgriechischen Mythos schon vor rd. 2.000 Jahren zu einem Theaterstück formte.

Den Text dieser Tragödie in fünf Akten hat Friedrich Schiller aus dem Französischen übersetzt und in Blankverse gegossen, das  letzte Werk vor seinem eigenen frühen Tod. In einem wesentlichen Punkt weicht er jedoch von Racine ab, verwandelt die Scham, die Phädra empfindet, in Schuldgefühl. Ein bedeutsamer Unterschied. Scham sei schwerer erträglich als Schuld und „ist in ihrer radikalsten Form vernichtend und irreversibel“, schreibt die Germanistin Prof. Claudia Benthien im Programmheft.

Oenone, ihre Vertraute, fürchtet, dass Phädra dem Tod nahe sei. Intensiv versucht sie – Kathleen Morgeneyer (!) – ihr Mut zu machen. Erstmalig gesteht ihr Phädra den Grund ihres Verfalls – die Wahnsinnsliebe zu Hippolyt. Alexander Khuon spielt ihn als verschlossenen jungen Mann, der mit seinem Vater wohl nie klarkam und am Königshof nur einen einzigen Freund hat: Theramen (Jeremy Mockridge).

Vielleicht hat „die Beichte“ geholfen, denn in den folgenden Szenen erscheint Phädra in diversen rothaarigen Perücken. Als Theseus’ Tod gemeldet wird, brechen ohnehin alle Gefühlsdämme.

Hippolyt erscheint, und schon reißt sich Phädra die Perücke vom Kopf. Liebe begierig nähert sie sich ihm als ältere Frau, tastet nach seinem Gesicht, seinem Körper, umschlingt ihn wie von Sinnen. Er versuchte, sich ihren Liebesattacken zu erwehren, greift sie dann und schleppt sie zurück auf den Absatz an der weißen Wand, seinen Kopf jedoch an ihren Unterkörper drückend. Ganz gleichgültig scheint sie ihm wohl nicht zu sein. Aufwühlende und packend gespielte Minuten sind das.

Doch eigentlich liebt er die junge Aricia, eine Gefangene aus dem Geschlechte der Pallantiden, das Theseus besiegt hatte. Linn Reusse gibt sie als recht aggressive Frau, die mitunter sogar Panope, ihre Vertraute (Mascha Schneider), bedroht. Hippolyt will sie zur Königin machen.
Wider Erwarten ist Theseus (Bernd Stempel) nicht tot und kehrt heim. Wie Phädra ihm mit starrem Lächeln und weit ausgebreiteten Armen entgegenwankt, aber ständig an ihm vorbeigeht, ist eine sehr aufschlussreiche Szene. Auch sein Sohn wirkt nicht gerade beglückt.

Theseus, der Ungeliebte, vermutet ein Verhältnis zwischen ihm und seiner Frau, die freimütig ihre vergebliche Liebe zum Stiefsohn gesteht. Ihre Sucht nach ihm verwandelt sich jedoch in Eifersucht und Hass, als Hippolyt dem Vater seine Liebe zu Aricia gesteht, was der allerdings als Schutzbehauptung abtut.

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Corinna Harfouch. Copyright: Arno Declair

Jetzt werden „Weiber zu Hyänen“, lässt sich, Schiller zitierend (Lied von der Glocke), nun sagen. Eine wird es tatsächlich: die in ihren Gefühlen verletzte Phädra. Sie, nun elegant gekleidet (Kostüme Johanna Pfau), verteidigt nicht mehr Hippolyts Unschuld, worauf der angstvoll flieht.
Der wütende König will sich jedoch nicht selbst die Hände schmutzig machen. Er ruft Neptun als Rächer zu Hilfe. Der schickt – so erzählt es später Theramen – eine Riesenwoge. Die erschreckten Pferde scheuen, Hippolyt verfängt sich in den Zügeln und wird von den rasenden Rossen zu Tode geschleift.

Theseus’ Reue kommt zu spät. Der Sohn ist tot, dessen Freund und die Vertraute von Phädra verüben Selbstmord. Sie, nun in einem roten wippenden Rock überm Petticoat hat nach der Sage Gift genommen und stirbt. Das wird hier nicht dezidiert gezeigt. Ist ja eh alles verloren nach soviel zerstörerischer Leidenschaft. Nicht ganz. Theseus nimmt Aricia, seine Gefangene, nun als Tochter an. Die hat noch Blut an den Lippen – vom letzten Kuss des zu Tode geschundenen Hippolyt.

Nach zwei pausenlosen spannenden Unterrichtsstunden in altgriechischer Sagengrausamkeit und Schiller-Versen heftiger Beifall für die großartigen Interpreten, insbesondere für Corinna Harfouch und Alexander Khuon.

Ursula Wiegand

 

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