Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Deutsche Oper/Haus der Berliner Festspiele: DIE SCHÄNDUNG DER LUCRETIA von Benjamin Britten. Premiere

15.11.2014 | Allgemein, Oper

Berlin/Deutsche Oper: „DIE SCHÄNDUNG DER LUCRETIA“ von Benjamin Britten, umjubelte Premiere im Haus der Berliner Festspiele, 14.11.2014

Deutsche Oper, Katarina Bradic als Lucretia, Foto Marcus Lieberenz
Deutsche Oper, Katarina Bradic als Lucretia, Foto Marcus Lieberenz

Diese Musik entfaltet eine ungeahnte Sogwirkung und schafft es, sofort das Interesse für diese uralten Geschehnisse zu wecken und wach zu halten. Und das, obwohl sich Benjamin Brittens Werk auf nur acht Personen konzentriert oder wohl gerade deshalb. Der komponierte seine Dunkel-Hell-Bilder nach dem feinsinnigen Libretto von Roland Duncan, der sich das Schauspiel „Le viol de Lucrèce“ von André Obey zum Vorbild genommen hatte.

Britten und die Seinen gingen kurz nach dem 2. Weltkrieg an die Arbeit, in einer Zeit des Mangels, selbst an Material für die Bühnendekoration. Sie mussten sich aufs Wesentliche konzentrieren und schufen eine Kammeroper. Tonschön verwirklichen diese das Orchester der Deutschen Oper (in kleiner Besetzung) unter dem jungen Dirigenten Nicholas Carter.

Nach der Begeisterung über „Peter Grimes“ konnte Britten mit der Lucretia-Oper zunächst einen weiteren Erfolg verbuchen. Schon vor der Uraufführung am 12. Juli 1946 in Mr. and Mrs. John Christie’s Opera House, Glyndebourne, waren die ersten acht Vorstellungen ausverkauft.

Die neue Produktion des Glyndebourne-Festival vom 19. Oktober 2013 hat nun die Deutsche Oper Berlin übernommen und bringt damit nach „Peter Grimes“ und „Billy Budd“ die dritte Britten-Oper. Wegen der noch nicht beendeten Sanierungen in der Bismarckstraße wurde der große Saal im Haus der Berliner Festspiele gemietet.

Doch Brittens Sparversion, die sich die britische Regisseurin Fiona Shaw zu eigen gemacht hat, passt genau hierher, ebenso wie das requisitenarme Bühnenbild von Michael Levine. Durch die Handlung führt nach antiker Sitte ein Chor, bestehend aus einem Mann und einer Frau (Thomas Blondelle und Ingela Brimberg).

Auf einem nachtdunklen Ausgrabungsgelände außerhalb Roms sehen wir ein Zelt mit römischen Generälen in standesgemäßer Soldatenkleidung (Kostüme: Nicky Gillibrand), die sich die Zeit trinkend und redend vertreiben. Unter ihnen ist auch der etruskische Prinz Tarquinius, dessen Vater Rom brutal und ausschweifend regiert.

Da keine Gefechte anstehen, sind einige mal kurz nach Rom geritten, um sich von der Treue ihrer Frauen zu überzeugen. Fehlanzeige. Die haben sich während der Abwesenheit ihrer Männer anderweitig amüsiert, und nur eine, Lucretia, die Gattin des Collatinus, ist treu.

Britten charakterisiert die Generäle mit herben, virilen Gesangslinien, die sehr gut gebracht werden. Der junge Andrew Harris, seit dieser Saison Ensemblemitglied der Deutschen Oper, singt den noblen Collatinus mit ebenso noblem Bass. Seth Carico, dessen dunkler Bariton sich hörbar entwickelt hat, verleiht dem betrogenen General Junius eine ganze Gefühlsscala von Trauer, Enttäuschung, Wut und Neid.

Als Ass erweist sich jedoch Duncan Rock, Einspringer in letzter Minute. Der verkörpert (wortwörtlich) einen Tarquinius, wie er im Buche steht. Diesem jungen, athletischen und wendigen Kerl glaubt man/frau den tigerhaften Wüstling. Ein Kraftprotz, der in einem Parforceritt nach Rom eilt, ein Nachtlager in Lucretias Haus fordert und sie schließlich vergewaltigt. Einen gut gebildeten, elastischen Bariton kann er aber ebenfalls bieten.

Lucretia, von Fiona Shaw mit einem Töchterchen bedacht, ist die Lichtgestalt in diesem düsteren Geschehen, ihr Haus mit dem freundlichen Gesinde eine Insel des Friedens. Bei Ronnita Miller (Mezzo), Lucretias Amme, kommt mir gleich „Porgy and Bess“ in den Sinn, während die blutjunge Elena Tsallagova mit ihrem hellen Sopran wie eine Nachtigall trällert.

Und Lucretia, die Hauptperson? Katarina Bradic, schön, jung und schlank, passt bestens in diese Rolle und gestaltet sie eindringlich. Ihre Sehnsucht nach dem geliebten Gatten singt sie mit Silber-Mezzo. Nach der Vergewaltigung sackt die Stimme in raue Tiefe, als sie dem herbeigerufenen Gatten noch von Schmerzen gebückt, ihre „Schande“ gesteht.

Der, auch ein Liebender, will die Ehe fortsetzen, doch sie will das nicht und erdolcht sich. Mit ihrem Blut will sie sich, die Unschuldige, reinwaschen, so wie Christus durch seinen Kreuzestod die Welt von allen Sünden reingewaschen hat. Ein Gedanke, den Britten – überzeugter Christ und Pazifist – der antiken Tragödie hinzufügt und der Zweipersonen-Chor schon im Verlauf artikuliert hat.

Das bisherige Kammerspiel wandelt sich nun doch noch zur großen Oper. Der Sarg mit Lucretia wird, so heißt es, durch Rom getragen, die römischen Generäle initiieren einen Volksaufstand gegen die Etrusker. Der Mythus Lucretia, jetzt verschränkt mit christlicher Heilsgewissheit, wird durch den vereinten Gesang der Lebenden und begleitet durch vollen Orchesterklang zur Jubelfeier.

Zuletzt buddeln diese beiden Chorsänger aus dem Ausgrabungsfeld zwei Hände und einen Lockenkopf (wohl aus Plastik) hervor und formen auf einem alten Mauerrest aus diesen Teilen einen Jesus am Kreuz. Diese Regie-Idee ist dann doch, zumindest für mich, gewöhnungsbedürftig.

Zuletzt starker Beifall für alle, auch fürs Regieteam, und noch um einige Phon stärker für Katarina Bradic und Duncan Rock.

Ursula Wiegand

2. und letzter Termin am 16.11.2014

 

 

 

 

Diese Seite drucken