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BERLIN/ Deutsche Oper: PARSIFAL – Premiere

22.10.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin, Deutsche Oper: Premiere „PARSIFAL“, 21.10.2012


Deutsche Oper Berlin. Foto: Ursula Wiegand

Das beste Geschenk zum 100. Geburtstag macht sich die Deutsche Oper Berlin selbst und wird mit diesem „Parsifal“ ihrer Wagner-Tradition bestens gerecht. Was die musikalische Umsetzung betrifft, ist die Premiere ein voller Erfolg. Schon die ersten Töne des Orchestervorspiels sind wahrer Wohlklang. Während der gesamten drei Akte spielt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Donald Runnicles auf hohem Niveau, tonschön, oft zupackend, aber auch, wenn erforderlich, mit lyrischem Schmelz.

Doch wie das mit Geburtstagsgeschenken so ist, kommt die Überraschung oft beim Auswickeln. Für die Zuhörer und insbesondere für die Zuschauer. Und so traue ich kaum meinen Augen, als schon das Orchestervorspiel mit einer stummen Kreuzigungsszene bebildert wird. Christus hängt am Kreuz, bewegt zunächst noch den Kopf, um dann zu verscheiden. Ein Soldat sticht mit der Lanze in seine Seite, das herausfließende Blut wird in einem Gefäß aufgefangen. Die Symbole der Geschichte, Hl. Lanze und Gral, sind damit schon vorgestellt. Dann die Abnahme vom Kreuz. Szenen, wie sie auf unzähligen Gemälden zu sehen sind.

Ausgedacht hat sich das Philipp Stölzl, der schon Videos für Madonna und Rammstein sowie den Film „Nordwand“ gedreht hat. Überdies betätigt er sich an mehreren Häusern als Opernregisseur und lieferte an der Deutschen Oper Berlin mit seinem „Rienzi“ eine schlüssige, wenn auch nicht unumstrittene Übertragung des Stoffs auf das Dritte Reich.

Hier nun scheint er Wagners Bühnenweihfestspiel wortwörtlich zu nehmen und verblüfft damit in jeder Hinsicht. In einer düsteren Pappfelsenlandschaft (mit Verletzungspotentzial) und einer Burg im Hintergrund (Bühnenbild: Philipp Stölzl und Conrad Moritz Reinhardt) agieren die obersten Gralshüter.

Ein Pilgerzug mit sich geißelnden Büßern kommt näher, vollklanglich begleitet vom Chor der Deutschen Oper Berlin unter William Spaulding. Sozusagen finsterstes Mittelalter, die Menschen gewandet wie zu Kreuzritterzeiten (Kostüme: Kathi Maurer), in Historienfilmen immer wieder zu erleben. Das wirkt dermaßen übertrieben und sieht so nach dörflichem Passionsspiel aus, dass ich mich frage, ob Stölzl das genauso meint oder gar karikieren will, speziell in den dramatisch-sakralen Szenen bei der Enthüllung des Heiligen Grals.

Verunglimpfung religiöser Bräuche möchte ich ihm nicht unterstellen, doch lässt er durchblicken, dass ihm solches Tun innerlich fremd ist. Denn Parsifal kommt im Anzug mit weißem Hemd und Krawatte daher. Neugierig, aber mit sichtlichem Unverständnis, schaut er von erhöhter Stelle auf den rätselhaften Karfreitagsritus zu seinen Füßen. Ein Heutiger, der sich darüber nur wundern kann, aber Mitleid mit Amfortas empfindet, der bekanntlich an einer unheilbaren Wunde leidet.

Vielleicht, so mein Eindruck, bezieht Stölzl, was den Inhalt der Oper betrifft, gar keine Stellung, sondern nutzt als Filmemacher diese „Story“ für opulente Bilder. Und die gelingen ihm durchaus, die Massenszenen ebenso wie das Kammerspiel zwischen Parsifal und Kundry. Eindrucksvoll auch, wie der von Schuldgefühlen und Schmerzen gepeinigte Amfortas seine Krone verliert oder sie selbst angewidert wegschleudert. Im intensiven 3. Akt agiert er wie der Kreuz tragende Christus, der immer wieder unter der Last zusammenbricht und dabei vom wütenden Volk verprügelt wird, das endlich wieder den Gral sehen will. Der Chor singt zum Gänsehaut-Kriegen. Und wie die Hl. Veronika wischt ihm die angeblich so böse Kundry Schweiß und Blut vom Gesicht.

Zwischen der der Reinheit verpflichteten Rittergesellschaft und Klingsors lustigem Laster-Reich ist sie die „Doppelagentin“. Stölzl deutet dabei durchaus eine große Zuneigung zwischen Parsifal und ihr an, deutet an, dass ihre Gefühle für den unbedarften jungen Mann echt und nicht auf sein Verderben gerichtet sind. Parsifal wählt zuletzt bekanntlich die Reinheit, greift aber bei Stölzl durchaus selbst- und karrierebewusst nach der Königwürde.

Diese Bilderwelten kann man ablehnen oder für angemessen halten, kann sich in einer Stadt wie Berlin dadurch provoziert fühlen oder sie als sakralen Kitsch empfinden. Das Regieteam muss zuletzt lautstarke Buhs einstecken, während die Sänger, der Chor und Runnicles plus Orchester mit Bravos und kräftigem Beifall belohnt werden.

Die Ovationen gelten vor allem Klaus Florian Vogt, dem Retter dieser Aufführung, der gesanglich und schauspielerisch an diesem Abend überzeugt und beweist, dass er auch kräftige Ausbrüche meistern kann.

„Hut ab“ jedoch vor Matti Salminen, eingesprungen in letzter Minute. Mit seinem noch immer kräftigen Bass und der ruhig-kompetenten Darstellung verleiht er dem Gurnemanz Persönlichkeit und Würde. Im 1. Akt ist er der Fels in der Brandung.

Thomas Johannes Mayer (kurzfristig eingesprungen) als versehrter Amfortas scheint sich anfangs zurückzunehmen, dreht aber ab dem 3. Akt deutlich auf. Albert Pesendorfer nimmt als Titurel ebenso für sich ein wie Thomas Jesatko als lebhafter, hasserfüllter Klingsor. Und Kundry, die eigentliche Hauptperson? Evelyn Herlitzius in dieser anspruchsvollen Partie wird im Verlauf immer besser und eins mit ihrer leicht abgewandelten Rolle. Das Publikum honoriert ihre Leistung mit lebhafter Zustimmung.

Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen am 25. und 28. Oktober, 4. November sowie am 12. Januar, 29. März und 1. April 2013.

 

 

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