Berlin/ Deutsche Oper: Neuinszenierung „NABUCCO“, 12.09.2013
Anna Smirnova, Abigaille, Johan Reuter, Nabucco, Foto Bernd Uhlig im Auftrag der Deutschen Oper Berlin
Für wen werden eigentlich Opern gespielt oder neu inszeniert? Für die Berichterstatter, damit wir etwas zu zerpflücken, zu kritisieren oder zu loben haben, oder fürs Publikum?
Jedenfalls ist bei dieser 2. Aufführung des neuen „Nabucco“ in der Deutschen Oper Berlin der Andrang riesig, obwohl es nach der Premiere auch negative Beurteilungen gab. Für nicht wenige ist gerade das ein Grund, sich ein Stück selbst anzuschauen in der Hoffnung, nicht mit Regie-Exzessen konfrontiert zu werden. Diese Rechnung geht hier auf.
Außerdem: Verdi zieht immer, und alle sind auf die neue Nabucco-Variante gespannt. Die vor 13 Jahren geschaffene Inszenierung von Hans Neuenfels verschwand in der Versenkung. Wer will schon auf Dauer Priester im Biene-Maja-Kostüm tanzen sehen? Damals gab es Tumulte, doch auch Skandale nutzen sich ab.
Die Neu-Inszenierung hat Keith Warner, ein international gefragter Könner anderer Art (ihm verdankte Bayreuth einen gelungenen „Lohengrin“) auf die von Tilo Steffens zubereitete Bühne gestellt. Die beiden sorgen für eine bekömmliche, aber keineswegs langweilige Mahlzeit, und der erst 26jährige Dirigent Andrea Battistoni schmeckt sie mit dem versiert aufspielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin saftig ab.
Die Späher der Deutschen Oper haben mit ihm einen guten Griff getan, denn ein Neuling ist er nicht mehr, hat vielmehr schon an Italiens besten Häusern reüssiert. Wenn nicht alles täuscht, dürfte dieser beherzt, aber auch einfühlsam musizierende junge Mann die Karriereleiter bald noch weiter hinaufklettern.
Beim Inhalieren der Verdi-Melodien haben die Besucher immer was zum Gucken und manchmal was zum Grübeln. Auch würzt Warner die ohnehin sonderbare, keineswegs geschichtstreue Nebukadnezar-Story mit einigen modernen Zutaten und versucht, eine Brücke ins Heutige zu schlagen, ohne dem Publikum den Appetit zu verderben.
Wer allerdings der alte Weißhaarige sein soll, der gleich anfangs die halbrunden, warmroten Kulissen schiebt, dann davonschlurft, später nochmals auftaucht, bleibt ein Rätsel, und soll es wohl auch sein. Vielleicht ist er der Schicksalsgott, der traurigerweise weiß, was den sündigen Hebräern nach alten Prophezeiungen bevorsteht.
Und schon versammelt sich die Bevölkerung, vertreten durch den famosen Chor der Deutschen Oper. Immer wieder trägt er das Geschehen, lange bevor die Sängerinnen und Sänger in der Babylonischen Gefangenschaft den Hit „Va, pensiero, sull’ali dorate“ – „Flieg’, Gedanke, auf goldenen Flügeln“, den „Gefangenenchor“ anstimmen (der zu Italiens Freiheitshymne wurde). Diese stimmgewaltige Masse Mensch und Chorleiter William Spaulding erhalten bald Zwischenapplaus und zuletzt verdientermaßen den stärksten Beifall.
Gewandet ist dieser Chor wie zu Verdis Zeiten, und auch sonst gibt es deutliche Unterschiede. Die Juden sind dunkel gekleidet, zugeknöpft bis zum Hals, fest in ihren Traditionen und ihrem Glauben. Nabucco und seine Assyrer tragen beigen Wüsten-Look, der sie wohl als die weniger gebildeten Eroberer klassifizieren soll (Kostüme: Julia Müer).
Doch zurück zum Beginn, an dem der Hohepriester Zaccaria noch Optimismus verbreitet. Bekanntlich setzt er auf eine Geisel: Fenena, die Tochter Nabuccos. Mit einem grellen Magnesiumblitz alter Art wird sie abgelichtet, Plakate mit ihrem Bildnis werden auf einer uralten Druckmaschine vervielfältigt und in ganz Jerusalem aufgehängt. Eine bemerkenswerte Idee.
Mit sicherem, volumigem Bass singt der junge Vitalij Kowaljow den Hohen Priester, eine gelungene Leistung. Gelungen ist auch die Besetzung der Fenena durch Jana Kurucová, einer blonden Schönheit mit klarem geschmeidigem Mezzo. Kein Wunder, dass sich der Jude Ismaele heillos in sie verliebt hat. Attraktive Partnerinnen zeigen offenbar Wirkung. Noch nie habe ich Yosep Kang (Tenor) so überzeugend gehört.
Pech für ihn, dass ihn auch Fenenas wilde Schwester Abigaille unbedingt haben will. Durch seine Zurückweisung wird sie zur Furie, eine Rolle, in der Anna Smirnova brillieren kann. Eine Frau wie eine Bombe mit bombensicheren Höhen, bösartig-kehligen Tiefen und einem mokant-herrschsüchtigen Gesichtsausdruck. Die darf sich niemand zur Feindin machen, wie es ungewollt auch Nabucco durch ein verlorenes Schriftstück tut, das sie als Tochter einer Sklavin ausweist. Nur als sie sich zwischenzeitlich an ihre unbeschwerte Jugend erinnert, findet Frau Smirnova auch leichte, innig-zarte Töne.
Doch welch ein süffisanter Hochmut klingt danach aus ihrem heftigen Sopran, als sie voller Rachsucht Nabucco die Krone (hier eine Maske) entreißt und den gefesselten, dem Wahnsinn verfallenen Vater wie einen Hund an der Kette hin- und herzerrt. Nebenbei muss sie sich voller Geilheit mit dem Oberpriester des Baal (Marko Mimica) inmitten roter Kissen auf dem Boden wälzen.
Und Nabucco? Den gibt Johan Reuter von der Oper Kopenhagen. Sein kultivierter Bariton lässt anfangs die nötige Durchsetzungskraft auf dieser großen Bühne vermissen. Dass er demnächst an anderen Häusern Wagnerrollen gestalten soll, verwundert etwas.
Immerhin bekommt seine Stimme im Laufe des Geschehens mehr an Volumen, so bei der Konfrontation mit Abigaille, muss dabei auf der sich drehenden Bühne Balance halten! Auch schauspielerisch legt er deutlich zu und erhält zuletzt herzlichen Beifall.
Als er sich reuig dem Gott der Juden zuwendet, sein Verstand wieder klar wird, überreicht ihm sein Diener Abdallo (Jörg Schörner) als Waffe ein Buch, vermutlich das Alte Testament. Willkommen im Club der Klugen, deren Glauben und Wissen laut Keith Warner mächtiger sind als Schwerter und assyrische Lanzen. Schön wär’s. Dass sich nun auch Abigaille bekehrt und bereut, müssen wir Verdi und seinem Librettisten abnehmen. Stimmlich siecht die Smirnova – dem Gifttod nahe – nicht dahin.
Zuletzt starker Applaus und rhythmisches Klatschen als Anerkennung für alle Beteiligten und mit besonderer Phonstärke beim Erscheinen von Anna Smirnova. Das Publikum hat eine gute Aufführung erlebt und ist erkennbar zufrieden.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 15.09., 03., 05. und 8.10., 19. und 22. 12. 2013