Berlin/ Deutsche Oper: „LUCREZIA BORGIA“ konzertant mit Edita Gruberova, 01.05. 2013
Edita Gruberova
Am 18. Februar hat Edita Gruberova in Wien ihr 45-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert. Das auf ihre Weise, d.h. mit einer neuen anspruchsvollen Rolle als Alaide in Bellinis selten gespielter Oper „La Straniera“.
Offenkundig sind einige der langjährig großen Stars unvergleichlich und „unverbesserlich“, hat doch vor wenigen Tagen Plácido Domingo in London als Nabucco debütiert, in einer weiteren Baritonrolle. Eine bewundernswerte Leistung, wie bei der live-Übertragung im Kino zu sehen war. Ist es Glück, Gnade, eine gute Gesundheit oder der disziplinierte Umgang mit der Stimme, dass einige Wenige über Jahrzehnte ihre fabelhaften Fähigkeiten bewahren können?
Das bleibt ein Rätsel, doch anderes ist sonnenklar. Wenn Edita Gruberova – leider sehr selten – nach Berlin kommt und an zwei Abenden in der Deutschen Oper gastiert, ist das große Haus ausverkauft. Vermutlich würde sie sogar mit „Hänschen klein“ ihre Fans in Scharen herbeilocken.
Scherz beiseite. Hier, bei der konzertanten Premiere singt sie die Lucrezia Borgia in Donizettis gleichnamiger Oper. Es ist die 2. Vorstellung, und schon der Zwischenapplaus wird jedes Mal heftiger und heftiger.
Mit allerlei Kosenamen hat man sie schon bedacht, nennt sie zutreffend Primadonna assoluta, slowakische Nachtigall oder Königin der Koloraturen. Und die beherrscht sie nach wie vor tadellos, knallt sie aber keineswegs heraus. Die dienen ihr nicht zur Selbstdarstellung, sondern als Ausdrucksmittel.
Leise und geschmeidig entsteigen sie oft ihrer geübten Kehle, scheinen mitunter am Gaumen zu gurren und erinnern an das Schnurren einer Wildkatze. Eine zärtliche Tigerin ist hier am Werke, auf der Suche nach ihrem geliebten Sohn Gennaro, der nichts von ihr weiß. Doch wehe, wenn sie ihre Krallen ausfährt und vokal attackiert.
Insgesamt kann sie mit ihrer perfekten Technik alles variieren, in den tieferen Bereichen Marksteine setzen und so eine vokale Charakterstudie bieten. Zudem zieht sie als Lucrezia alle Register. Die versierte Giftmischerin, nicht zimperlich bei der Beseitigung von Gegnern, kann erforderlichenfalls auch die Sanfte mimen. So wenn es darum geht, Herzog Alfonso d’Este (ihren 4. Ehemann) um Gnade für Gennaro anzuflehen.
Dass diese Unterwürfigkeit nur gespielt ist, ihre (vom Gatten missverstandenen) Gefühle für Gennaro aber echt sind, lässt ihre Stimmfärbung klar erkennen. Staunenswert sind die Farbnuancen und die allerfeinsten Pianissimi, die sie aufbieten kann. Das macht ihr so schnell keine nach.
Die sehr hohen Töne setzt sie anfangs vorsichtig an, später schweben sie durch den Saal, mitunter im feinsten Pianissimo. In der Cabaletta, der dramatischen Schluss-Szene, in der sie sich dem vergifteten Gennaro als Mutter zu erkennen gibt, sind die Wechsel von inniger Zartheit zum kraftvoll strahlenden Höhenrausch ein echtes Gruberova-Ereignis.
Können die „Gespielen“ mit dieser Tigerin mithalten? Überzeugend gelingt das Alex Esposito in der Rolle des Herzogs. Der gibt tatsächlich einen Mann mit hasserfüllter Seele und einem ebensolchen, fein nuancierten Bass. Nach dem höhnisch-erbitterten Streit mit Lucrezia um die Begnadigung von Gennaro – Szenen einer Ehe um 1500 – braust sofort Jubel auf.
Auch die gesanglichen Diskussionen zwischen Mutter und Sohn (Gennaro) erhalten viel Zwischenbeifall. Allerdings klingt der helle Tenor von Pavol Breslik an diesem Abend etwas überreizt, doch mit seiner Körpersprache macht er solch kleine Schwächen wett. Perfekt und lebhaft singt und gestaltet – soweit letzteres möglich ist – Jana Kurucová (Mezzo) den leichtsinnigen Freund Maffio Orsini.
Generell versuchen alle vier Hauptdarsteller, ihre Gefühle in dieser konzertanten Darbietung durch Mimik und Bewegung zu verdeutlichen, was Ihnen auch gelingt. Die gesangliche Zuspitzung ist schließlich so mitreißend, dass man/frau ein Bühnengeschehen gar nicht mehr vermisst. Unlogisch wirkt es jedoch, wenn Gennaro zwar vom Glück singt, an der Mutterbrust sein Leben auszuhauchen. dabei aber einige Meter von ihr entfernt steht.
Außer Jeppo Liverotto, gesungen von Paul Kaufmann, stehen die übrigen Herren (Andrew Harris, Seth Carico, Jörg Schörner, Simon Pauly, Alvaro Zambrano und Tobias Kehrer ohnehin wie festgezurrt an ihren Notenpulten. Wesentlich temperamentvoller agiert neben ihnen der junge Dirigent Andriy Yurkevych, der das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit Schwung durch die Partitur führt.
Mitentscheidend für den großen Erfolg des Abends sind wieder einmal die Chöre, einstudiert von William Spaulding. Mit stehenden Ovationen feiern die begeisterten Zuhörer schließlich alle Beteiligten und bedanken sich insbesondere bei der großartigen Edita Gruberova für diesen Ausnahmeabend.
Ursula Wiegand