BERLIN/ Deutsche Oper: LOHENGRIN am 2.2.2017
Kasper Holtens Inszenierung des Lohengrin ist seit fast fünf Jahren im Repertoire der Deutschen Oper Berlin. Die Romantisierung des Helden und auch des Krieges, der Kriegsbegeisterung, haben ihn und seinen Ausstatter Steffen Aarfing bei ihrem Konzept geleitet. Während des Vorspiels liegen über den ganzen Bühnenboden verteilt kriegsversehrte Männer, von ihren Frauen beweint; die Gräber dieser Männer tauchen auf, wenn sich im dritten Akt die Szene vom Brautgemach zum Schluss hin wendet und Elsa im Anblick dieser Gräber realisiert, dass sie mit ihrer Frage alles zerstört hat. Der Held selbst kommt im bodenlangen, silbernen und weißen Gewand daher, trägt übergroße Schwanenflügel auf dem Rücken, die ihn allerdings weniger wie ein Tier, sondern mehr wie einen Engel aussehen lassen – ein Wesen aus einer anderen Welt eben, mit zwar romantisierenden, aber durchaus eindrucksvollen Lichteffekten bei seinem Auftritt inszeniert, der Hintergrund verschwindet im Nebel, aus dem der vermeintliche Heilsbringer zuerst nur als Silhouette erkennbar ist.
Die dunkle Düsterkeit, die Dämonie am Anfang des zweiten Aktes, aber auch die Enge des Raumes kommen durch ein riesiges schwebendes, schwarzes Kreuz, durchkreuzt von gleißend grünen Fäden, prägnant zum Ausdruck, die Szene auf dem Weg zur Heirat im Münster erscheint mit doppelten Vorhängen auf der Bühne als großes Theater auf dem Theater. Kasper Holten versucht nicht, den Lohengrin in irgendeine bahnbrechend neue Richtung zu entwickeln, er lässt ihn als romantisches Märchen, ohne dabei die wesentlichen Züge der Geschichte aus dem Blick zu verlieren. Eine Inszenierung, die durchaus zeitlos ist und insofern für ein Haus wie die Deutsche Oper sehr repertoiretauglich, auch nach fünf Jahren.
Musikalisch hinterlässt der Abend einen rundum beglückenden Eindruck. Donald Runnicles braucht zwar mit dem Orchester der Deutschen Oper den ersten Akt, um sich ganz frei zu musizieren und die üppigen, aber auch die zarten Seiten dieser vielschichtigen Partitur ganz auszuleuchten, das gelingt dann aber umso eindrücklicher und mit großer klanglicher Schönheit. Vor allem hat Runnicles immer ein sehr aufmerksames Ohr auf der Bühne, so dass die Balance zwischen Orchester, Solisten und Chor nie in Gefahr gerät. Davon profitiert in erster Linie Klaus-Florian Vogt, der den Lohengrin mit so anrührend schönen Piano-Tönen ausstattet, im entscheidenden Moment aber auch groß und stark aufzutrumpfen vermag, dass er damit wohl derzeit wie kaum ein anderer Sänger dem Ideal der Rolle sehr nahekommt. Dazu singt er so textverständlich und klar, ist zudem eine so eindrucksvolle Bühnenpersönlichkeit, dass allein er den Abend zu einem Ereignis macht. An seiner Seite ist Manuela Uhl mit ihrem silbrigen, fast, in manchen Passagen, fragil klingenden, dabei stets gut fokussierten und strahlkräftigen Sopran eine überzeugende Elsa, was sie durch ihr ebenfalls sehr von dieser Welt entrücktes Spiel noch zu unterstreichen vermag. Eine fantastische Bühnenpartnerin findet sie, wie alle, in der famosen Elena Pakratova, für die Ortrud eine Glazpartie ist. Sie verkörpert die abgründige Dämonie der Figur und stattet sie dabei mit üppigen, mal schneidenden, mal bezirzenden, aber stets sicher und klar geformten Tönen aus. Für die großen Ausbrüche im zweiten Akt und am Ende stehen ihr schier endlose Reserven zur Verfügung. Daneben hat es jeder Telramund schwer, doch John Lundgren singt ihn an ihrer Seite mit metallischem, voluminösem Bariton sehr charaktervoll und spielt die Rolle so, dass Telramund nicht darauf reduziert ist, eine Marionette seiner Gattin zu sein, sondern durchaus eigenes Profil besitzt.
Als Einspringer-König ist der Koreaner Sung Ha zu hören, der zwar über ein wohlklingendes und warmes Organ verfügt, aber insgesamt für die Rolle zu jung wirkt und so neben seinen starken Partnern leider wenig Profil gewinnen kann. Kraftvoll und präsent singt Dong-Hwan Lee den Heerufer.
Ein starkes, mitunter überwältigend klangmächtiges Kollektiv ist der Chor der Deutschen Oper unter der Leitung von Raymond Hughes.
Intensiver Beifall und viele Bravos für eine überzeugende Aufführung und ein starkes Plädoyer für das, was “nur” Repertoireaufführungen abseits großer Premieren zu leisten imstande sind.
Christian Schütte